City Tax for the Arts? - Eine Berliner Diskussion

Teaser Bild Untertitel
Eröffnungsaktion der Kampagne der Koalition der Freien Szene vor der Berliner Philharmonie am 23. August 2013










Eröffnungsaktion der Kampagne der Koalition der Freien Szene vor der Berliner Philharmonie am 23. August 2013. Bild: Roger Rossel/Freie Szene. © Alle Rechte vorbehalten





30. August 2013

Patrick Wildermann




Was bisher geschah…


Am Anfang herrscht noch Aufbruchsbereitschaft.

Nachdem im Juli 2012 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine sogenannte Bettensteuer auf touristische Übernachtungen grundsätzlich für rechtens erklärt hat, wittert man auch in Berlin Morgenluft. „Wir haben jetzt Klarheit – die Einführung einer City Tax ist möglich“, freut sich Finanzsenator Ulrich Nußbaum. Angepeiltes Datum: der 1. Januar 2013. Klar, die Stadt kann die erwarteten Millionen dringend brauchen. Besonders unter den Kulturschaffenden keimt Hoffnung auf: endlich frisches Geld für einen chronisch unterfinanzierten Bereich der freien Szene, der maßgeblich die Attraktivität Berlins ausmacht? Schöne Aussichten.

  • Auf Initiative der Heinrich-Böll-Stiftung diskutieren am 19. September 2012 in den Sophiensälen unter dem Titel „City Tax fort he arts?“ Vertreter der politischen Parteien, der DEHOGA und der freien Kunstszene über die Steuer und ihre mögliche Verwendung. Die Idee einer Kulturförderabgabe – in Städten wie Weimar oder Köln bereits eingeführt – findet Fürsprecher wie den Radialsystem-V-Gründer Jochen Sandig und die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sabine Bangert. Allein Christina Aue, unter anderem DEHOGA-Vorstandsmitglied, meldet Zweifel an. Der Hotelier als Kassenwart? Da fürchtet sie die massenhafte Bettenflucht der Touristen. Dafür machen sich die anwesenden Haushaltspolitiker Frederic Verrycken (SPD) und Christian Goiny (CDU) im Rahmen des Möglichen für die Position der Kultur stark. Goiny beteuert: „Die Bedeutung der Kultur und gerade auch der Freien Szene für Berlin ist uns klar. Nötig ist jetzt ein kulturpolitisches Konzept, wofür Mehreinnahmen aus der City Tax verwendet werden sollen." Die Ausarbeitung eines solchen Masterplans wird zu Recht an die zuständigen Fachpolitiker verwiesen.
  • Die sitzen am 13. November 2012 im Deutschen Theater auf dem Podium.

    Der Rat für die Künste hat zu einer neuerlichen Diskussion geladen. Titel: „City Tax for the arts!“ Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der Freien Szene, und Kay Wuschek, Intendant des Theaters an der Parkaue und Sprecher des Rates für die Künste, erhoffen sich klare Aussagen von den Berliner Kulturpolitikern: wofür sollen die möglichen City-Tax-Einnahmen verwendet werden? Versammelt sind die Kulturausschuss-Sprecher Brigitte Lange (SPD) und Stefan Schlede (CDU), die Grüne Sabine Bangert, der kulturpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Wolfgang Brauer, sowie Dr. Margaretha Sudhof, Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Finanzen. Einmütigkeit herrscht auf dem Podium darüber, dass 50 Prozent der City Tax im weitesten Sinne in den Kulturbereich fließen sollen. Über konkretere Konzepte hat sich niemand Gedanken gemacht. Margaretha Sudhof dämpft ohnehin alle Begehrlichkeiten mit dem Hinweis, dass erstmal ein Gesetzentwurf zur City Tax vorliegen müsse. Darüber werde im ersten Quartal 2013 beraten. Einführungsdatum 01. Januar.2013? Adieu!
  • In einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa kündigt der Regierende Kultursenator Klaus Wowereit am 31. Dezember 2012 an: „Die City Tax kommt 2013“. Was die mögliche Verwendung der Millionen betrifft, ist ihm immerhin zu entlocken: „Ein Teil der Gelder soll der Förderung von Tourismus und Kultur zugute kommen. Das haben wir immer gesagt, daran halten wir fest“.
  • Am 21. Januar 2013 wird die dritte Diskussionsrunde im Radialsystem V eingeläutet. Kämpferisch überschrieben: „Wir sind die 95 % - City Tax für die Freie Szene Berlins“. Kulturstaatssekretär André Schmitz trifft auf seine Hamburger Kollegin, die Senatorin Barbara Kisseler. Gemeinsam mit Burkhard Kieker (Geschäftsführer visit berlin), Radialsystem-Betreiber Jochen Sandig und Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard wird über das mögliche City-Tax-Vorbild Hamburg und die Bedeutung der Freien Szene als Image- und Wirtschaftsmotor Berlins debattiert. Als Metapher des Abends wählen sämtliche Beteiligte den Bären. Er verkörpert die City Tax und ist noch nicht erlegt worden. Neue Erkenntnisse aus der Runde: keine. Allerdings gibt Schmitz als neues Einführungsdatum für die City Tax den 1. Januar 2014 aus. Und bekennt sich dazu, dass 50 Prozent der Einnahmen in die Kultur fließen sollten. Über mögliche Verteilungen könne ja in einer Arbeitsgruppe mit dem Rat für die Künste und der Koalition der Freien Szene beraten werden. Warum sollen nicht die Künstler den Job der Politiker erledigen? Sie sind schließlich die Experten.
  • Am 14. April 2013 gibt der Rat für die Künste ein Positionspapier unter dem Titel „Berlins Kultur: Großbaustelle mit schlechter Prognose“ heraus. Darin heißt es unter anderem: „Die Einführung der City Tax darf nicht vertagt werden. Die Einnahmen sollen zum überwiegenden Teil der Kunst und Kultur und insbesondere der Freien Szene zugute kommen“.
  • In einem offenen Brief an Klaus Wowereit fordert die Initiative „Haben und Brauchen“ am 19. April 2013 symbolisch „100% der City Tax-Einnahmen für freischaffende KulturproduzentInnen, Projekträume und Spielstätten sowie prekär arbeitende Kunst- und Kulturinstitutionen“. Wowereit lässt über Andre Schmitz in einem Schreiben vom 16. Mai seinen Dank ausrichten. Schmitz versichert: „Wie Sie bin ich der festen Überzeugung, dass der Freien Szene Berlins besondere finanzielle Aufmerksamkeit beigemessen werden muss und dass die Einnahmen aus der City Tax daher auch diesem Bereich zukommen sollten“.
  • Am 23. April melden verschiedene Berliner Zeitungen, dass die City Tax überraschenderweise bereits zum 1. Juli 2013 eingeführt werden soll. Finanzsenator Nußbaum kündigt an, die Hälfte der Mittel solle in „Tourismus und Kultur“ investiert werden. Die andere Hälfte in den Haushalt. André Schmitz freut sich für den Kulturstandort Berlin: „Das wird die international hoch angesehene Kulturszene der Stadt nachhaltig stärken. Nun kommt es darauf an, mit den zusätzlichen Geldern die große Vielfalt der Berliner Kultur zu sichern und wo immer es geht auszubauen“ (Berliner Morgenpost 23.4.2013). Freilich will der Staatssekretär kein Weihnachten versprechen: „Wir werden nicht alle Wünsche erfüllen können, aber haben einen wichtigen Schritt getan“. Andere Kulturpolitiker reagieren gedämpfter, da nach wie vor kein stichhaltig ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur City Tax vorliegt. Sabine Bangert fragt angesichts des überstürzten Einführungstermins: „Ist die Absicht dahinter, das Vorhaben ein für allemal zu beerdigen?“
  • In der Pressemitteilung Nr. 13-017 des Berliner Senats vom 25. Juni 2013 heißt es nun: „Spätestens mit Inkrafttreten des Doppelhaushalts am 01.01.2014 soll die City Tax eingeführt (…) werden.“ Am gleichen Tag wird bekannt, dass die Berliner Regierungskoalition im Entwurf für den kommenden Doppelhaushalt keine Mittelerhöhung für die Freie Szene vorgesehen hat. André Schmitz sieht das als Erfolg: „Die Zuwendungen an die Freie Szene konnten mit ca. 10 Millionen Euro auf dem bisherigen Niveau gehalten, im Bereich der Stipendienförderung sogar erhöht werden“.
  • Am 18. August sagt André Schmitz im Interview mit der BZ: „So katastrophal können die Arbeitsbedingungen für junge Künstler in Berlin nicht sein, sie würden sonst wohl nicht in die Stadt kommen“. Von der „besonderen finanzielle Aufmerksamkeit“, die der Freien Szene beigemessen werden müsse, ist unterdessen keine Rede mehr.
  • Am 22. August kündigt die Koalition der Freien Szene auf einer Pressekonferenz eine Protestkampagne an, die bis zum 28. September unter dem Titel „Geist ist noch flüchtiger als Kapital – haltet ihn fest“ auf die Anliegen der Freien Szene aufmerksam machen soll. In einem Papier dazu wird nach wie vor gefordert, „50 Prozent der Einnahmen aus der City Tax für die Freie Szene einzusetzen“.

Was läuft schief?


Die Koalition der Freien Szene hat erst jüngst einen Zehn-Punkte-Plan für eine neue Förderpolitik aufgelegt, der zusätzliche Mittel in Höhe von 18,8 Millionen Euro pro Jahr vorsieht. Astronomisch oder realistisch? Was die Forderungen betrifft, herrscht jedenfalls weitgehend Einmütigkeit zwischen der Koalition der Freien Szene, dem Rat für die Künste und dem Landesverband freie darstellende Künste (LAFT). Sie verlangen von der Politik unter anderem die Schaffung eines Eigenmittelfonds, der die Akquise von Drittmitteln erleichtern soll. Honoraruntergrenzen für senatsgeförderte Projekte. Die Schaffung und Förderung von Orten mit eigenen Produktionsetats. Sowie die vermehrte kulturelle Nutzung von Liegenschaften. Das Problem: selbst die größten Optimisten werden nicht glauben, dass aus den City-Tax-Einnahmen – wie hoch auch immer sie ausfallen mögen – 18,8 Millionen Euro in die Freie Szene fließen.

Prinzip Gießkanne?

Für den Fall, dass beispielsweise nur die bestehenden Fördertöpfe aufgestockt würden, existieren keine Pläne. Nicht zu reden vom Szenario des fortbestehenden Status quo. Die bislang geschlossen auftretende Künstlerfront würde vermutlich gespalten, es drohen die bekannten Verteilungskämpfe. Ein grundsätzliches Dilemma. Soll das waltende Prinzip Gießkanne forciert werden? Oder wird der Tabubruch gewagt und über Qualität in der Freien Szene diskutiert? Sprich: Darüber, ob nur bestimmte Gruppen und Produktionsstätten mit besonderer Strahlkraft so ausgestattet werden, dass sie sozial etwa im Sinne von Mindestgagen arbeiten können? Bislang scheut die Szene davor. Dennoch sollten gerade aus den Reihen der unabhängig produzierenden Künstlerinnen und Künstler konkrete Vorschläge kommen. Sonst droht am Ende eine Verteilung nach vielfach erprobtem Berliner Schema: die Institution mit der hartnäckigsten und lautesten Lobbyarbeit in eigener Sache erhält den Zuschlag.

Abwesende Kulturpolitik

Die verantwortlichen Politiker haben freilich erst recht keine Konzepte zur Hand. Einen möglichen Verteilungsschlüssel legt keine der Berliner Parteien vor. Besonders die kulturpolitischen Sprecher der Berliner Regierungsparteien agieren seltsam unbeteiligt. Noch im Juni 2013 zeigte sich CDU-Mann Stefan Schlede lediglich bereit, über einen Eigenmittelfonds für die Freie Szene nachzudenken, der aus der City Tax finanziert werden könnte. Amtskollegin Brigitte Lange ließ sich mit dem Satz zitieren, sie könne sich vorstellen, im Falle des Frischgeldsegens „die bestehenden Fördertöpfe aufzustocken“. Eine vorausschauende Politik sieht anders aus. Auch André Schmitz und Klaus Wowereit fallen – wenn überhaupt – nur durch Lippenbekenntnisse für die Freie Szene auf. Gerade Wowereits nachhallendes Diktum von der Kultur als Chefsache wird unter Künstlern längst als Hohn empfunden. Er bleibt der große Abwesende.

Wie machen es die Anderen?

In Hamburg, wo die Kultur- und Tourismustaxe seit dem 1. Januar 2013 in Kraft ist und die Einnahmen mit 5,6 Millionen Euro jährlich veranschlagt werden, hat die allein regierende SPD ihre Gestaltungsfunktion wahrgenommen. Neben Ausgaben für Marketing, Tourismus und Sport sind im Bereich von Kultur und Neuen Medien sinnvoll Schwerpunkte gesetzt worden (vgl. Kulturbehörde Hamburg): neben einem Ausstellungsfonds für Museen (2,5 Millionen Euro) hat Hamburg den Elbkulturfonds mit 500.000-Euro-Etat geschaffen, sichert einem kleinen, bis dato unterfinanzierten Festival wie dem „Bitfilm Festival“ mit 30.000 Euro das Überleben und bindet den „Chaos Communications Congress“ – den Jahreskongress des Chaos Computer Clubs – mit 50.000 Euro pro Jahr an die Stadt. Hier hätte Berlin, als vergleichbare Veranstaltung, die re:publica zu bieten.

Auch in Köln haben SPD und Grüne die sogenannte Kulturförderabgabe gezielt eingesetzt. Unter anderem durch eine Anschubförderung in Höhe von 100.000 Euro für das „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ , einen spartenübergreifenden Projektraum für Theater, Tanz und Bildende Kunst. Wo ein Wille ist, da ist auch eine fördernswerte Institution. Beide Städte finden die Balance zwischen Substanzerhalt, Investitionen und frischen Projektmitteln. Warum sollte ein vergleichbares Konzept nicht für Berlin auszuarbeiten sein?

Wie geht es weiter?

Es wäre indes fatal, die Idee einer „City Tax for the Arts“ verloren zu geben. Eine Steuer darf zwar nicht zweckgebunden eingeführt werden. Das sollte bei der Diskussion um die City Tax nicht aus dem Blick geraten. Am Ende entscheiden die Haushälter über die Verwendung der Einnahmen. Aber wie bereits die erste Diskussionsveranstaltung in den Sophiensälen gezeigt hat, sind die Haushaltspolitiker im Zweifelsfall für Vorschläge ihrer Fachkollegen aus der Kultur offen. Die Vorschläge müssen nur kommen.

SPD-Mann Frederic Verrycken sagte auf dem Podium: „Was die Verwendung der Einnahmen aus der City Tax betrifft, glaube ich, dass die Politik mittlerweile verstanden hat, wie schwierig das Arbeiten für Künstlerinnen und Künstler in Berlin sein kann, wie empfindlich und gefährdet die Kunstszene in Berlin ist und dass die Politik dort auch handeln muss." (19.9.2012, Heinrich-Böll-Stiftung)

Die Proteste der Koalition der Freien Szene sind ein Anfang, um die Verantwortlichen – besonders Schmitz und Wowereit – unter Handlungsdruck zu setzen. Momentan liegt der Gesetzesentwurf zur City Tax in den zuständigen Ausschüssen: unter anderem dem Hauptausschuss, dem Ausschuss für Wirtschaft, Forschung und Technologie sowie dem Ausschuss für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit. Die zweite Lesung steht bevor, ein Termin wird noch benannt. Es ist nicht zu spät, der Kultur zu ihrem Anteil zu verhelfen.

------

Patrick Wildermann ist freier Kulturjournalist