Die Zukunft der Mobilität in Kommunen - Die regenerative Stadt II

20 Jahre nach dem ersten Klimagipfel in Rio de Janeiro veranstaltete die Heinrich Böll-Stiftung eine Tagungsreihe zum Thema “Regenerative Stadt”. Sie geht dabei den Fragen nach, was sich seit Rio in den Kommunen getan hat, welche Lösungsansätze sich bewährt haben, welche Kommunen beim Klimaschutz vorn liegen und welche Themenbereiche noch in den Anfängen stecken. Motivation der Veranstaltungsreihe ist es, mit der Idee der “Regenerativen Stadt” die Diskussion um kommunale Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln.

Nachhaltige Mobilität als Baustein der “Regenerativen Stadt”

Im Gegensatz zur Energiewende, die langsam auf den Weg komme, stecke das Thema “Nachhaltige Mobilität in den Städten” weitgehend im Stau, stellte Sabine Drewes von der Heinrich Böll Stiftung fest. Und nicht nur das: Nur wenige kommunale Themen trügen so zur Spaltung der Bevölkerung bei wie die Mobilität. Plakativ formuliert Drewes: “Auf der einen Seite stehen bildungsbürgerliche Familien, die ihre Kinder mit dem Porsche Cayenne in den Montessori-Kindergarten fahren. Auf der anderen Seite entwickelt sich eine junge Generation, die das Auto als Statussymbol längst gegen iPhone und Multimodalität eingetauscht hat.” Eine neue Art der Mobilität wäre nicht nur ökologischer, sondern könne auch Geld und Platz in den Kommunen sparen Die Frage, die aufgeklärte Stadtplaner umtreibt, laute: Wie kann eine intelligente Vernetzung der Verkehrsmittel zur Lösung der urbanen Verkehrsprobleme beitragen?

Stefan Schurig: Die regenerative Stadt

"Hurrikan Sandy führte es der Welt im Oktober 2012 eindrücklich vor Augen: Städte sind, was den Klimawandel angeht, Opfer und Täter zugleich.” Mit dieser Feststellung eröffnete Stefan Schurig vom World Future Council seinen Vortrag zum Thema “Die regenerative Stadt”. Durch Konzentration und exponierte Lage seien Großstädte anfällig für klimabedingte Störungen. Aber sie sorgten mit ihrem immensen Energiebedarf auch selbst kräftig dafür, dass die Klimaerwärmung ungebremst fortschreite.
Von der Agropolis, der kleinen übersichtlichen Kernstadt mit Versorgung aus der direkten  Umgebung, entwickelte sich die Stadt über die Jahrtausende zur “Petropolis”, einer Stadtform, die in hohem Maß von externer Versorgung und der Zufuhr fossiler Energien abhängig ist. “Lebensmittel würden mit einem hohen Einsatz an Energie produziert, weit transportiert und dann in Massen vernichtet.“Je mehr die Menschen sich in Städten konzentrieren, umso mehr Energie benötigen sie für ihren Lebensstil”, sagte Schurig.
Das Zukunftsmodell der regenerativen, selbstversorgenden Stadt bezeichnete Schurig als “Ecopolis”. Statt eines linearen Stoffwechsels, der auf der einen Seite Ressourcen zu- und auf der anderen die Abfallprodukte abführt, habe die “Ecopolis” einen zirkularen biologischen und technischen Kreislauf. Genutzte Ressourcen würden nicht entsorgt, sondern der Stadt wieder zugeführt.
Schurig fasste den Weg zur “Regenerativen Stadt” plakativ in sieben Schritten zusammen: Vom Formulieren eines Leitbilds (zum Beispiel 100 % Quote für regenerative Energie) über Konzepterstellung, interner und externer Überzeugungsarbeit und Implementierung neuer Lebensstile bis zur Beeinflussung überregionaler Gegebenheiten.

Jörg Thiemann-Linden: Regenerative Mobilität in Kommunen

In seinem Vortrag "Regenerative Mobilität in Kommunen” ging Jörg Thiemann-Linden vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) der Frage nach, wie sich Änderung bei den Rahmenbedingungen in den Kommunen auf die Gestaltung der Mobilität auswirken. Seine Beobachtung: Die Ansprüche der Bevölkerung an die Mobilitätsangebote befänden sich im Umbruch. Demografischer Wandel und steigende Energiepreise machten den eigenen Pkw zunehmend unattraktiv. Hinzu käme, so Thiemann-Linden, auch bei jungen und finanziell gut gestellten Menschen eine Veränderung des Lebensstils, die ebenfalls weg vom eigenen Pkw und hin zu Multimodalität weise. Radfahren sei Modetrend und Zeichen eines aktiven, sportlichen Lebensstils. Wer intelligent und flexibel lebe, lege sich nicht mehr auf ein Verkehrsmittel fest.

Für Thiemann-Linden stand außer Frage, dass diese Veränderungen auch die Wohnortwahl und damit die Siedlungsstrukturen der Zukunft beeinflussen werden. Wie genau die Menschen in 20, 30 oder 50 Jahren wohnen und sich fortbewegen werden, sei aber noch nicht absehbar.

Als Beispiel für eine pragmatische, rein an den Rahmenbedingungen orientierte Wohnortwahl führte der Verkehrsexperte zum Beispiel den Hamburger “Wo-Mo-Rechner” an, der den günstigsten Wohnort unter Einbeziehung der Mietpreise und der Mobilitätskosten ermittelt.

Die entscheidende Frage für die Kommunen werde laut Thiemann-Linden sein: Wie kann man in Zeiten schrumpfender Kommunalhaushalte mit einfachen Mitteln möglichst viel Mobilität erreichen? Unter diesem Gesichtspunkt sei der Radverkehr die Mobilitätsform der Zukunft.

Vorfahrt fürs Fahrrad: Was bringt der Ausbau des Radverkehrs mit sich?

Brian Hansen: Kopenhagens Weg zur Fahrradhauptstadt Europas
“Ziel Kopenhagens ist es, bis 2025 den Radanteil auf 50 Prozent zu steigern. Das ist ein Baustein der Strategie zur CO2-neutralen Stadt”, sagte Brian Hansen, Fahrradbeauftragter der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Die Frage, die er und seine Kollegen sich stellen: Wie kann man in einer Stadt wie Kopenhagen, die bereits einen sehr hohem Radfahreranteil hat, noch mehr Menschen aufs Rad bringen? Dazu analysierten die Kopenhagener die Motivation ihrer Radlerinnen und Radler. Das Ergebnis fasste Hansen so zusammen: “56 Prozent der Kopenhagener Rad fahren, weil es ‘easy, quick and convenient’ ist, also einfach, schnell und praktisch. Das Rad ist für die Stadt das bessere Verkehrsmittel. Immerhin 21 Prozent wählen das Rad, weil sie sich bewegen möchten. 12 Prozent schätzen das Rad als günstiges Verkehrsmittel, und gerade mal 1 Prozent der Radfahrer in Kopenhagen ist aus ökologischen Gründen per Rad unterwegs.”
Sein Rat an Nachahmerstädte: “Zerbrecht euch nicht den Kopf über Argumente, Philosophie, Lebensstilwandel. Die Erfolgsformel ist ganz einfach: Mehr Qualität des Angebots bringt mehr Radler, und mehr Radverbindungen bringen ebenfalls mehr Radler”.

Dabei war das Thema Sicherheit für ihn kein Problem und sollte seiner Meinung nach auch nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden. “Wer über Sicherheit redet, verursacht ein Gefühl der Unsicherheit.” Wer das Gefühl habe, Radfahren sei unsicher, radle  nicht. Daher sollten Kommunen nicht über Sicherheit reden, sondern für Sicherheit sorgen. Ein wichtiger Faktor für Hansen: Unfallstatistiken zeigten, dass je mehr Radler es gebe, umso weniger Unfälle mit Radlern passieren.

Ein weiterer Rat von Kopenhagen an den Rest der Welt: “Wer mehr Radverkehr möchte, muss Radverbindungen auch da schaffen, wo es wehtut”, weiß Hansen aus Erfahrung. “Da helfen keine faulen Kompromisse. Manchmal muss man den Autofahrern einfach Platz wegnehmen.”

Hansen zur historischen Entwicklung der Fahrradkultur in Kopenhagen: Vor und während des 2. Weltkriegs sei das Fahrrad das Verkehrsmittel der Wahl gewesen– schon weil es kein Benzin gab. Mit zunehmendem Wohlstand stieg ab Mitte der 50er Jahre der Autoanteil in der Stadt an. Parallel dazu nahm die Zahl der Radfahrer kontinuierlich ab. Dies änderte sich erst mit der Ölkrise in den 70er Jahren wieder. Etwa Mitte der 70er Jahre wurde das Rad als Verkehrsmittel plötzlich wieder wahrgenommen. Die erste Radinfrastruktur entstand. Die große Wende in Kopenhagen wurde laut Hansen jedoch von einer breiten Bürgerbewegung angestoßen. Er zeigte ein Foto der Kopenhagener Innenstadt mit einer riesigen Menschenmenge, die für mehr Platz für Radfahrer demonstriert. Laut Hansen waren es die Kopenhagener Bürger selbst, die es satt hatten, im Stau zu stehen, und ihre Stadt ans Auto zu verlieren. Sie verhalfen mit ihren Protesten Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre dem Rad in Kopenhagen wieder zu Platz und Recht.

Winfried Sagolla: Der lange Weg von der Theorie zur Praxis in Dortmund
Auch Winfried Sagolla, Bereichsleiter Mobilitätsplanung bei der Stadt Dortmund, hat die Erfahrung gemacht, dass der Radverkehr nur vorankomme, wenn man konsequent ein Konzept verfolge und bereit sei dafür auch Einschnitte beim Autoverkehr in Kauf zu nehmen. Sagollas Erkenntnis nach 30 Jahren Einsatz für den Dortmunder Radverkehr: “Die verkehrspolitischen Forderungen, Erkenntnisse und Konzepte sind seit vielen Jahren vorhanden. Sie werden nur nicht umgesetzt – häufig aus Rücksicht auf den Pkw-Verkehr.” Auch in Dortmund konnte sich der Radverkehr laut Sagolla erst entwickeln, als die Stadt konsequent Infrastruktur geschaffen und Gefahren abgebaut hat. Auf knapp der Hälfte des Dortmunder Straßennetzes sei die Fahrgeschwindigkeit mittlerweile auf Tempo 30 beschränkt. Neben der Verkehrsberuhigung setzte die Stadt auf ein Lückenschlusskonzept für den Radverkehr und verband vorhandene Radwege zu einem sinnvollen Netz. Neu geschaffene Radwege wurden grundsätzlich als Radstreifen mit ausreichender Breite auf der Fahrbahn im Blick der Autofahrer angelegt. “Ende der 90er Jahre hatten wir in Dortmund viele Radwege, aber kein Netz”, sagte Sagolla. “2012 haben wir ein Netz – zwar immer noch mit Lücken und Mängeln, aber ein Netz.” Das Budget von 180 Millionen Euro, das Sagolla gerne über 20 Jahre für die Umsetzung seiner ehrgeizigen Pläne ausgegeben hätte, wurde nie bewilligt. Dennoch konnten während der vergangenen 20 Jahre viele Maßnahmen umgesetzt und der Anteil des Radverkehrs von 7 auf ca. 12 bis 13 Prozent erhöht werden.

Kollege Brian Hansen aus Kopenhagen kommentierte die kleinen Budgets der Kommunen für ihre Fahrradinfrastruktur ironisch: “Cycling is to cheap for its own good.” Während andere Verkehrsmittel riesige Headquarter für ihre Verwaltung und riesige Budgets für ihre Maßnahmen hätten, fiele der Radverkehr nicht wirklich ins Gewicht. Dadurch würde er aber oft auch von Bürgern und Parlamenten nicht ernst genommen. Um dem Radverkehr die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die er braucht, riet Hansen: “Don't be afraid of the cheap tricks.” Zu Deutsch: Fürchtet euch nicht vor einfacher Effekthascherei. Wer für das Gute unterwegs ist, muss alle Möglichkeiten nutzen, um aufzufallen und emotional anzusprechen. Vom Babystrampler à la Fußballverein bis zum aufblasbaren rosafarbenen Auto auf dem Parkplatz, das in Wirklichkeit eine Parkgarage für vier Fahrräder ist, sei alles erlaubt, was das Thema Radfahren ins Bewusstsein der Bevölkerung bringt.

Stadt-Umland-Kooperation

Solveigh Janssen: Beispiele aus der Metropolregion Hannover
Solveigh Janssen, Raumplanerin beim Regionalverband Hannover, sieht die Stadt nicht als isolierte Einheit. “Städte, Umlandkommunen und ganze Ballungsräume sind, was die Verkehrsprobleme und -lösungen angeht, eng miteinander verflochten”, sagte sie. Die schönsten Konzepte gingen nicht auf, wenn Pendlerströme aus der Nachbarkommune während der Rushhour die Innenstadt lahm legten oder, wie Norbert Czerwinski, Sprecher der grünen Ratsfraktion in Düsseldorf, berichtete, Stadtbahnlinien ohne ersichtlichen Grund planmäßig an der Stadtgrenze herumstünden und so die Fahrtzeiten unnötig verlängerten. Ballungsräume wie Hannover seien daher dazu übergegangen, die gesamte Region und nicht nur einzelne Stadtgebiete in ihre Planung einzubeziehen. Solveigh Janssen formulierte ihr Leitbild als “Einheit von Siedlung und Verkehr”. Der Verkehrsentwicklungsplan, den die Metropolregion Hannover, Braunschweig, Göttingen und Wolfsburg 2009 verabschiedet hat, sehe für die gesamte Region einen gegenüber 1990 um 40 Prozent reduzierten CO2-Ausstoß im Verkehrssektor vor. Alle Maßnahmen und Ziele seien auf diese Vorgabe hin überprüft worden. Land, Kommunen und Verbände waren in die Erstellung des Verkehrsentwicklungsplans mit einbezogen. Da der Straßenverkehr für 84 Prozent der CO2-Emissionen in der Region verantwortlich sei, müsse auch im Großraum Hannover das Rad nicht neu erfunden, sondern nur mehr genutzt werden. Der vorliegende Verkehrsentwicklungsplan verfolge die klassischen Ziele: Verkehr vermeiden und Verkehr auf umweltschonendere Verkehrsmittel verlagern.

Die vier zentralen Elemente des Verkehrskonzepts in der Metropolregion Hannover sind laut Janssen:

  • Siedlungsentwicklung und Nahmobilität
  • Ausbau des ÖPNV
  • Verkehrsmanagement
  • Parkraumbewirtschaftung

Janssen betonte, dass bei der Nahmobilität dem Radverkehr eine wichtige Bedeutung zukomme. Hier solle über den Bau von Radschnellwegen vor allem das Verlagerungspotenzial vom Pkw aufs Rad bei mittleren Strecken erreicht werden.

Ulrich Heckmann: Mehr Pendler aufs Rad – der Radschnellweg Ruhr
Ulrich Heckmann vom Regionalverband Ruhr sah dank Pedelecs und E-Mobilität im Ruhrgebiet eine große Chance, den Pendlerverkehr auch auf längeren Distanzen aufs Rad zu verlagern. Statt der bisher üblicherweise fürs Fahrrad als optimal angenommenen 5 Kilometer-Kurzstrecke hielt Heckmann tägliche Wege von 10 bis 15 Kilometer für gut mit dem Rad machbar – wenn die Infrastruktur stimme. Hier wolle das Ruhrgebiet mit dem neuen Radschnellweg Ruhr neue Maßstäbe setzen. Durch die großen Entfernungen, die E-Radler inzwischen problemlos bewältigen könnten, werde aber auch das Überschreiten regionaler Grenzen und die Kooperation bei der Radwegeplanung zum zentralen Thema. Es gehe darum, einen Lösungsansatz für die ganze Region und nicht mehr bezogen auf einzelne Kommunen zu verfolgen.

Touristische Radrouten wie die “Route der Industriekultur”, städteverbindende Radachsen wie die “Rheinische Bahn” von Duisburg nach Essen und der Radschnellweg sollen laut Heckmann zukünftig das Rückgrat des Radwegenetzes im Ruhrgebiet bilden. Daran könnten die Kommunen ihre jeweiligen Angebote anknüpfen und so ein möglichst stimmiges lückenloses Netz im Ruhrgebiet schaffen.

Intelligente Vernetzung von Verkehrsangeboten

Michael Adler: Kommunale Verkehrsunternehmen als "Reisebüro der Bürger"
Michael Adler, Geschäftsführer der fairkehr Verlagsgesellschaft, plädierte nicht nur für mehr überregionale Zusammenarbeit. Ihm fehle es an übergeordneten Mobilitätsdienstleistern, die den Nutzerinnen und Nutzern die gesamte Palette der Mobilitätsangebote möglichst einfach und aus einer Hand vermittelt. Nicht nur der Radverkehr müsse gut vernetzt und “easy, convenient and fast” funktionieren, so Adler in Anspielung auf das Radkonzept Kopenhagens. Wer mehr Bürgerinnen und Bürger für den Umweltverbund gewinnen wolle, müsse die Zersplitterung des Umweltverbunds in viele einzelne und schwer verständliche Angebote aufheben. “Wir sind das Reisebüro unserer Bürger”, zitierte Adler den Werbeslogan des Wiener ÖV-Unternehmens “Wiener Linien”. Egal, ob Leihrad oder -auto, Pedelec, Bus, U-Bahn oder Stadtbahn: Der Nutzer müsse das Verkehrsmittel seiner Wahl ohne technische oder tarifliche Zugangshemmnisse zur Verfügung gestellt bekommen – am besten per Buchung übers Smartphone, forderte Adler. Seine Botschaft war klar: Wer seine Kunden im Tarifdschungel allein lässt oder ihnen ein unübersichtliches, unkomfortables Fuß- und Radwegenetz zumutet, verliere sie als Kunden.

Michael Adler verwies auf das Beispiel der Stadt Manchester, wo der überregionale Verkehrsverbund nicht mehr nur für Bus und Bahn, sondern auch für den Radverkehr zuständig ist. Ein weiteres Beispiel: Beim CarSharing zeigten die Autofirmen, wie einfach es gehen kann. Sie hielten sich die junge Kundschaft über ein Netz leicht zu buchender Leihwagen warm, bis sie sich eventuell doch entscheiden, ein eigenes Auto zu kaufen – oder auch nicht.

Adler räumte ein, dass sich seine Vision von zahlreichen über die ganze Stadt verbreiteten Mobilitätspunkten, Beratungspersonal, multimodalem Gesamtangebot, Shared Space, Vorfahrt für Fußgänger usw. verglichen mit  dem aktuellen Stand des öffentlichen Verkehrs weit hergeholt anhört. Für die finanzschwachen Kommunen wäre es, so Adler, die günstigste Lösung: effiziente Mobilität, weniger Kranke, mehr soziale Integration für alle – so könnten Kommunen an anderer Stelle enorme Kosten sparen.

Norberg Czewinski: Düsseldorf auf der Suche nach dem Mobilitätsleitbild
Norbert Czewinski, Sprecher der grünen Ratsfraktion in Düsseldorf, begrüßte Adlers Ansatz: “Bei der Verkehrspolitik muss man dicke Bretter bohren, wenn man Erfolg haben möchte.” Von den Adlerschen Visionen sei man allerdings in Düsseldorf noch sehr weit entfernt, auch wenn man bereits Schritte in die richtige Richtung getan habe.
Ein Beispiel: Düsseldorf habe ein sehr gutes ÖV-Netz, einen dichten Stamm an Abonnenten und ein Mobilitätsticket, das neben der Nutzung von Bussen und Bahnen auch 90 Minuten “Car to go” und 240 Minuten Leihradnutzung einschließe. Das Problem: Die Leistungen, die das Ticket beinhalte, entsprächen nicht der vorhandenen Wegekette. In der Realität fehle noch die Verknüpfung von Angeboten und Leistungen, die das Ticket attraktiv machen würde. Knapp 50 Tickets würden zurzeit verkauft – viel zu wenig, um das Angebot wirtschaftlich betreiben zu können.
Czewinski zeichnete das Bild einer Stadt, die zwar viel Geld für Verkehrsprojekte ausgibt, aber dabei keinem Gesamtsystem folgt. Der Parallelausbau von Stadtbahn und mehrspuriger Straße, ein schwer verständliches Tarif- und Taktsystem, fehlende Übergänge zwischen Stadt und Umland... Die Erkenntnis Czewinskis, die allerdings längst nicht nur für Düsseldorf gilt, sondern von vielen Anwesenden bestätigt wurde: “Es fehlt nicht am Wissen, wie man Verkehrsverlagerung erreichen könnte. Die Erkenntnisse der Stadt- und Verkehrsplanung zu diesem Thema stammen zum großen Teil aus den 80er Jahren. Es fehlt aber nach wie vor der Wille zur Umsetzung und die nötige Entschlossenheit in den Kommunen, um die bekannten Konzepte zum Erfolg zu führen.”

Arndt Klocke: Plädoyer für ein multimodales Verkehrsangebot
Arndt Klocke, verkehrspolitischer Sprecher im Landtag NRW für Bündnis 90/Die Grünen, berichtete über den Aktionsplan Nahmobilität der Landesregierung. Der Plan wurde bereits im März vorgestellt, musste aber wegen der Verzögerung bei der Verabschiedung des Haushalts zurückgestellt werden. Er werde, so Klocke, wohl Ende 2012 in die Tat umgesetzt. Klocke charakterisiert den Aktionsplan als “Titel ohne Mittel”. Er sei eher als Leitfaden zu verstehen, der auf die Verwendung vorhandener Finanztöpfe einwirken soll. Das Neue daran: Der Plan sei mit allen Beteiligten abgestimmt und werde quer durch die Ressorts befürwortet. Anders als beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der fahrradfreundlichen Städte (AGFS) NRWs sei der Aktionsplan Nahmobilität in allen Ministerien verankert, nicht nur im Verkehrsministerium. Die wichtigsten Bestandteile des Plans:

1. Radschnellwege: per Ideenwettbewerb werden die besten Strecken ermittelt. Pro Region soll 2013 je ein Radschnellweg umgesetzt werden.
2. Die AGFS soll von 73 auf 100 Mitgliedskommunen anwachsen.
3. Die Radstationen in NRW sollen von 68 auf 100 Stationen aufgestockt werden.

Der neue Ansatz des Aktionsplans liege laut Glocke vor allem darin, dass er eine “Metaebene für nachhaltige Mobilität” bildet. Maßnahmen werden auf Regierungsebene gebündelt und angestoßen.

Diskussion: Verkehrsmittelwahl als Teil eines neuen Lebensstils

Radfahren muss Spaß machen
Jörg Thiemann-Linden vom DIFU unterstrich, dass Radfahren für die meisten Menschen Teil ihres aktiven Lebensstils sei und in erster Linie mit Spaß in Verbindung gebracht werde. Menschen führen Rad, weil sie sich auf dem Rad unabhängig, frei und aktiv fühlten. Die öffentliche Hand könne jedoch von dieser Spaß-Bewegung profitieren, da das Rad zum einen ein extrem günstiges Verkehrsmittel sei und zum anderen in Kombination mit dem öffentlichen Verkehr dafür sorgen könne, dass Angebote bezahlbar blieben. Ein Beispiel: die Kombination Pedelec und Bus im ländlichen Raum oder die Entschärfung der so genannten Pendlerspitze während der Morgenstunden. Verkehrsunternehmen könnten so einen extra für Hochlastzeiten aufgeblähten Fuhrpark und Personalbestand umgehen.

CarSharing – Zeichen der neuen Flexibilität
Neben dem Radfahren sei laut Jörg Thiemann-Linden auch das CarSharing Ausdruck der neuen flexiblen Mobilität. Stefan Schurig vom World Future Council stellte jedoch die Frage, ob das zurzeit besonders von den Autofirmen vorangebrachte Autoteilen nicht eher als “Anfixen neuer Kunden fürs Auto” zu sehen ist. Herbert Kemming vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) unterstrich diesen Aspekt noch. Er frage sich, ob das starke Engagement der Autofirmen beim CarSharing nicht auch ein Risiko birgt: “Es macht mich nervös, wenn einzelne Akteure diesen Markt und diese Angebote übernehmen.” Sein Vorschlag: Das CarSharing-Angebot in die Palette der kommunalen ÖV-Anbieter zu integrieren.
Thiemann-Linden führte Zahlen an, die zeigen, dass CarSharing-Kunden in Deutschland deutlich weniger Autofahren als Autobesitzer und viele Autofahrten durch andere Verkehrsmittel ersetzen. Er sehe in CarSharing daher eher den “Einstieg zum Ausstieg” als ein Suchtmittel. Aber auch er hielt es für wünschenswert, dass sich auf Dauer ein kommunaler Verkehrsanbieter etabliert, der dem Kunden je nach Wunsch alle Verkehrsmittel aus einer Hand zur Verfügung stellen könnte. Aus heutiger Sicht kämen dafür aber nur die ÖV-Unternehmen und Verkehrsverbünde in Frage.

 “Regenerative Stadt” als kultureller und sozialer Raum
Ein Nebeneffekt der “freien Fahrt für freie Bürger” in den Städten sei, laut Thiemann-Linden, dass je schneller auf einer Straße oder in einem Wohngebiet gefahren würde, um so weniger soziales Leben existiere. Eine Hypothese der Stadtplanung sei also, dass Verkehrsberuhigung nicht nur mehr Verkehrssicherheit und weniger Schadstoffe bringe, sondern auch eine größere soziale Verbundenheit der Bevölkerung, bessere Integration für Senioren, weniger Alterseinsamkeit, mehr soziales Miteinander etc.

Verkehrskonzepte wie Begegnungszonen, Shared Space o.ä. seien daher auch gute Ansätze für eine soziale Wiederbelebung von Stadtquartieren.
In Duisburg-Hamborn wurde beispielsweise mit einfachen Maßnahmen eine Umgestaltung des öffentlichen Raums vorgenommen und damit ein stärkeres soziales Miteinander der Bevölkerung erreicht.

Neue Wege bei der Finanzierung
Ein Thema, das in der Diskussion von verschiedener Seite immer wieder aufgenommen wurde, ist die Frage der Finanzierung. So stellte beispielsweise Ulrich Heckmann vom Regionalverband Ruhr fest, dass die Kommunen am Rand ihrer Belastbarkeit seien. Allein der Erhalt der vorhandenen Infrastruktur schlucke die gesamten kommunalen Verkehrsmittel. Das Geld für die Finanzierung neuer Mobilitätsangebote müsse daher aus anderen Quellen kommen. Jörg Thiemann-Linden begrüßte, dass die Zeiten vorbei seien, in denen Fördermittel ausschließlich für Straßen- oder Trassenbau zur Verfügung stünden. Inzwischen könnten sich Kommunen auch Werbekampagnen für mehr Radverkehr oder Bürgerbeteiligungsprozesse zur Umgestaltung von Stadtquartieren mit EU-, Bundes- oder Landesmittel fördern lassen.

Laut Thiemann-Linden werde der allseits bedauerte finanzielle Engpass der Kommunen aber dazu führen, dass der Entwicklungsstand der Kommunen beim Klimaschutz immer weiter auseinandergehe. “Die einen werden sich mit viel Engagement und charismatischen Frontpersönlichkeiten weiterentwickeln und vorhandene Ressourcen für sich beanspruchen. Die anderen werden immer weiter zurückfallen, da sie ohne zusätzliche Mittel kaum den Bestand wahren können”, prognostizierte Thiemann-Linden.