Verhaltener Optimismus in der arabischen Welt

Präsident Barack Obama bei seiner Rede in Kairo am 04. Juni 2009. Foto: The Official White House Photostream. Lizenz: United States Government Work.

15. Juni 2009
Von Layla Al-Zubaidi und Doreen Khoury
Von Layla Al-Zubaidi und Doreen Khoury

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Der Aufruf von Präsident Barack Obama zu einem „Neuanfang zwischen den Vereinigten Staaten und den Muslimen“ am 4. Juni 2009 fand fast überall im Nahen Osten einen starken Widerhall. Obamas Auftritt an der Kairo Universität, kofinanziert von der Al-Azhar Universität, die weltweit bedeutendste sunnitisch - islamische Bildungsinstitution, war das Hauptereignis seines Nahost-Besuches.

Seine Rede stellte eine deutliche Abwendung von der Rhetorik seines Amtsvorgängers dar. Obama, der sehr gut vorbereitet und aufrichtig wirkte, zeigte sich voll und ganz der drei Hauptprobleme bewusst, die für das gespannte Verhältnis zwischen den USA und der arabischen und muslimischen Welt verantwortlich sind: der israelisch-palästinensische Konflikt, die amerikanische Besetzung des Irak und die Einstellung der Vereinigten Staaten zum Islam. Dies stand in deutlichem Gegensatz zur Bush-Regierung mit ihrer Maxime „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, ihrer Betonung des „internationalen Krieges gegen den Terror“ und ihrer neokonservativ geprägten Nahost-Politik.

In der arabischen Presse, vor allem in den „gemäßigten“ Staaten, erntete Obama reichlich Lob. Regierungsnahe und staatlich finanzierte Zeitungen widmeten ihre Schlagzeilen und Leitartikel dem Inhalt der Rede und ihren Auswirkungen auf die politische Situation in der Region. In Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien konnten die größtenteils regierungstreuen Tageszeitungen nicht schnell genug darauf hinweisen, wie stark ihre „strategischen“ Beziehungen zu den USA sind und welche zentrale Rolle ihr Land in der Region spielt. Jedoch waren auch kritische Stimmen zu hören. Im Zentrum stand die Frage, ob diese neue Rhetorik in konkrete Veränderungen vor Ort umgesetzt werden würde.

Die Reaktion der arabischen Presse auf die Obama-Rede

Al-Hayat, die meistverbreitete Tageszeitung in der arabischen Welt, berichtete sehr positiv über die Rede und sprach von einer wichtigen außenpolitischen Erklärung, die nicht als PR-Aktion mit leeren Versprechungen abgewertet werden dürfe.

Die ägyptischen Zeitungen schlugen in ihren Leitartikeln einen nationalistischen Ton an. Die Entscheidung Obamas, seine „historische“ Rede in Kairo zu halten, sei ein Beweis für die Bedeutung ihres Landes in der arabischen Region und die festen Bande zwischen Ägypten und den USA. Die Tageszeitung Al-Ahram beispielsweise verwies auf „die Stärke der strategischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, auf ihren wechselseitigen Konsens und auf das Vertrauen der USA in die wichtige Rolle Ägyptens als Förderer von Frieden und Stabilität im Nahen Osten.

Die Tageszeitungen in Saudi-Arabien führten ins Feld, dass die erste Station auf der Nahostreise Obamas Saudi-Arabien und ein Treffen mit König Abdullah gewesen sei, das wohlgemerkt vor dem Besuch des Präsidenten in Ägypten stattgefunden habe, ein Indiz für die starke Bindung zwischen den beiden Ländern.

Die Reaktion der libanesischen Presse war etwas gedämpfter. Das lag allerdings größtenteils daran, dass im Libanon drei Tage später wichtige Parlamentswahlen bevorstanden und die Medien damit beschäftigt waren, den potenziellen Wahlausgang zu analysieren. Laut der Kolumnistin Rosana Bu Monsef im pro-westlichen An-Nahar, einer führenden libanesischen Tageszeitung, war man im Libanon so sehr mit den Parlamentswahlen beschäftigt, dass die Rede Obamas wenig Aufmerksamkeit bei den Libanesen fand und man auch danach nicht sofort Zeit hatte, sich Gedanken über ihre Bedeutung zu machen. As-Safir, die andere große und wohl ausgewogenste Tageszeitung des Landes äußerte sich skeptischer. Sie sah in der Rede nicht viel mehr als eine PR-Ansprache und den Versuch, die neue US-Regierung positiv in der arabischen und muslimischen Welt zu vermarkten.

In Syrien wurde so gut wie gar nicht über die Rede berichtet. Es gab keine offizielle Stellungnahme, das offizielle syrische Fernsehen übertrug die Rede nicht und am nächsten Tag stand nichts darüber in den syrischen Zeitungen. Wie jedoch der syrische Politologe Sami Moubayed am 6. Juni in der Asia Times schrieb, verfolgten viele Syrer die Rede auf privaten Satellitensendern und es gab „lächelnde Gesichter angesichts der Erkenntnis, dass sich in Washington D.C. jetzt – schnell – etwas verändert.“ In einem semi-offiziellen Ton erklärte Moubayed, die Syrer seien bereit, Obama eine Chance zu geben, erwarteten dann aber auch, dass er seine guten Absichten in konkrete politische Maßnahmen umsetzt, beispielsweise die Reduzierung der US-Sanktionen gegen Syrien, die Streichung Syriens von der US-Liste der den Terror unterstützenden Staaten und die Entsendung eines Botschafters nach Damaskus (das Amt ist seit 2005 unbesetzt). Moubayed unterstrich auch die Rolle Syriens in der Region und die „vielen gemeinsamen Ziele im Irak wie die Entwaffnung der Milizen, die Bekämpfung der Al-Qaida, die Unterstützung des politischen Prozesses und den Beitrag zum Zusammenhalt des Iraks.“ Am 9. Juni, zwei Tage nach der Rede, erschienen zwei Stellungnahmen in der staatlich finanzierten Tageszeitung Al-Baath, in denen Abeer Abdo und Mohammed Sawwan Skepsis darüber äußerten, ob Obama in der Lage sein werde, Israel und seine rechtskonservative Regierung irgendwelche Bedingungen oder Einschränkungen aufzuzwingen.

Die Berichterstattung über die Obama-Rede in der irakischen Presse war seltsamer Weise äußerst spärlich. Kommentatoren hier gingen lediglich immer wieder auf den für die Iraker wichtigsten Punkt der Rede ein, nämlich das erneute Versprechen Obamas, bis Ende des Monats die US-Truppen aus irakischen Städten abzuziehen und bis 2012 alle US-Stützpunkte im Irak aufzulösen.

Realitätstest: Der israelisch-palästinensische Konflikt

Obamas Bemerkungen zur palästinensischen Frage standen im Mittelpunkt der meisten Analysen in der arabischen Presse. Die Tatsache, dass Obama Saudi-Arabien und Ägypten als erste Stationen für seinen ersten Nahostbesuch gewählt hatte und nicht Israel, den engsten Verbündeten der USA in der Region, wurde von vielen Beobachtern als ein Zeichen dafür gewertet, dass Obama ernsthafte Absichten hat, was die Lösung der Probleme in der Region und der vielfältigen Differenzen zwischen den USA und der arabischen Welt betrifft. Obamas Entscheidung, sich gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft mit dem Konflikt zu befassen (anders als seine Vorgänger George W. Bush und Bill Clinton, die sich dem Problem erst gegen Ende ihrer Amtszeit zuwandten und deren Bemühungen um eine Lösung letztlich scheiterten), wurde als ein Zeichen seiner Entschlossenheit interpretiert.

Obamas Rede habe gezeigt, so die Al-Hayat Korrespondentin Raghida Dergham, dass er nicht gewillt sei, dasselbe Spiel wie seine Vorgänger zu spielen und die Schuld für jeden Rückschlag und für jedes Scheitern des Friedensprozesses den Palästinensern in die Schuhe zu schieben. Dieser neue Ansatz eröffnet ihrer Meinung nach die Möglichkeit, Druck auf Israel auszuüben, ohne dass die USA sofort zu dessen Verteidigung antritt, wie das in der Vergangenheit stets der Fall war. Eventuell würde die amerikanische Regierung auch nicht mehr automatisch bereit sein, die israelische Regierung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu unterstützen, falls diese sich erneut einer Verletzung des internationalen Rechts schuldig macht. Dergham spekuliert sogar über eine mögliche Einfrierung der US-Finanzhilfe für Israel, insbesondere dann, wenn die Vereinigten Staaten durch das Verhalten Israels ihre nationale Sicherheit bedroht sähen. Interessanterweise fordert die Verfasserin die arabischen Staaten auf, sich nicht in die Beziehungen zwischen den USA und Israel einzumischen und erklärt, dass es vielmehr in ihrem Interesse sei, die Wünsche der USA zu erfüllen.

Die von Saudi-Arabien finanzierte Tageszeitung Al-Sharq Al-Awsat, die sich überwiegend feindlich gegenüber der Hamas und dem Iran gibt, befürwortete die in Obamas Rede umrissenen Grundsätze, indem sie sich hinter die palästinensische Autonomiebehörde und ihren Präsidenten Mahmud Abbas stellte und die Einmischung der Hamas und des Irans in arabische Angelegenheiten ablehnte. Die Zeitung hob auch Obamas Bemerkungen zu den atomaren Ambitionen des Irans hervor und betonte die Bedrohung, die diese für die arabische Welt darstellen. Die regierungstreuen Zeitungen in Jordanien (Al-Rai und Al-Dustour) begrüßten die Rede als einen Neuanfang und betonten die Rolle von Jordanien und von König Abdullah bei der Intensivierung der Bemühungen zur Unterstützung der Rechte der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Die Zeitung Al-Ghad, die eine unabhängigere Linie verfolgt, beurteilte die Rede Obamas dagegen eher kritisch. „Die Rede erfüllte nicht die Hoffnungen der arabischen Straße“, war in ihrem Leitartikel zu lesen.

Die palästinensische Presse reagierte recht zurückhaltend auf die Rede und betonte, es bleibe abzuwarten, ob den großen Worten auch wirklich konkrete Taten folgten.

Die populäre palästinensische Tageszeitung Al-Quds äußerste sich verhalten optimistisch und bezeichnete die Rede Obamas als eine „Tough-Love-Botschaft an die Araber“.  Im israelisch-palästinensischen Internet-Rundbrief bitterlemons weist der Politikwissenschaftler Ali Jarbawi darauf hin, dass die Rede viele Indizien dafür enthalte, dass Obama wirklich offen und fair sein wolle:
„Er befürwortete eindeutig einen eigenen Staat für die Palästinenser und verwendete das Wort ’Palästina’ – was von seinen Vorgängern im Präsidentenamt stets vermieden wurde. Er forderte ausdrücklich einen Siedlungsstopp und sprach nicht von der Unterstützung eines jüdischen Staates sondern zog es vor, vom ’Jewish homeland’ zu sprechen. Er rief die Palästinenser zu gewaltlosem Widerstand auf und verglich ihren Kampf um Rechte und Freiheit mit dem der Farbigen in Amerika und in Südafrika. Sogar die Legitimität der Hamas als eine Vertretung des palästinensischen Volkes erwähnte er. Und er benutzte nicht ein einziges Mal das Wort „Terrorismus“ – in einer 6.000 Wörter langen und 56 Minuten dauernden Rede. Das alles sind keine Zufälle oder Versehen. Dieser Präsident und seine Redenschreiber wissen genau, wie neuartig diese Botschaften aus dem Mund der US-Führung klingen, und sie wissen auch, dass sie die politische und militärische Führung sowie die Siedler in Israel beunruhigen werden.“

Andere nahmen einen kritischeren Standpunkt ein. Wie Talal Awkal in Al-Ayyam (Palästina) bemerkte, versäumte es Obama, die wichtigsten Punkte für das palästinische Volk anzusprechen, nämlich das Rückkehrrecht palästinensischer Vertriebener, die Grenzen eines palästinensischen Staates und die Grenzmauer im Westjordanland. Nach Meinung von Awkal werden die Palästinenser den USA nicht so leicht verzeihen, dass sie sich bisher immer hinter Israel gestellt und israelischen Vergehen gegen die Palästinenser geduldet haben. Er fragt ob die Veränderungen in der amerikanischen Rhetorik auch mehr Fairness in ihrem Verhalten gegenüber Palästinensern und Israelis bedeuten und ob die USA ihre Interessen in der internationalen Gemeinschaft von denen Israels trennen wird.

Die palästinensischen und einige arabische Tageszeitungen konzentrierten sich auch auf israelische Reaktionen auf die Rede, insbesondere was ihre negative Wirkung auf die israelischen Siedler betrifft. Sie warnten jedoch davor, den Differenzen zwischen Obama und Netanjahu zu viel Bedeutung zuzumessen. In Bezug auf die israelischen Siedlungen, gab Jamil Nimri von der Zeitung Al-Ghad (Jordanien) die allgemeine Ansicht wieder, es reiche nicht aus, dass Obama erneut an Israel appelliert habe, seinen Siedlungsausbau zu stoppen. Er fragte sich, ob der amerikanische Präsident wohl auch bereit wäre, konkrete Maßnahmen gegen Israel in dieser Angelegenheit zu ergreifen.  In der syrischen Zeitung Al-Baath befasste sich Abeer Abdo ausführlich mit dem Siedlungsproblem und stellte fest, dass es mit einem Siedlungsstopp nicht getan ist. Ihrer Meinung nach muss Obama, wenn er beweisen will, dass er ernsthaft einen eigenen Staat für die Palästinenser befürwortet, die völlige Aufgabe aller israelischen Siedlungen im Westjordanland fordern.

Kritisiert wurde auch Obamas unterschiedliche Behandlung der beiden Seiten in Bezug auf Gewalthandlungen. Viele Kommentatoren bemerkten, dass er zwar die einseitige Maxime „Israel hat ein Recht, sich zu verteidigen“ vermied, dass er Israel aber auch nicht offen für seine ungerechtfertigte Gewaltanwendung rügte. Obama forderte die Palästinenser auf, sich vom bewaffneten Widerstand abzukehren und es der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den 1950er und 1960er Jahren gleich zu tun, die mit politischen Aktionen nicht mit Gewalt für ihre Rechte kämpften, forderte jedoch nicht ausdrücklich einen Gewaltverzicht von Israel. Nach Meinung vieler ließ Obamas Rede erkennen, dass die USA in der Region weiterhin auf der Seite Israels steht, worüber auch die versöhnlichen Worte an Araber und Muslime nicht hinwegtäuschen konnten. Rosana Bou Monsef schreibt in An-Nahar, dass Obama, indem er die besondere Beziehung zwischen den USA und Israel als kulturell und historisch bedingt bezeichnet, die USA und Israel auf eine Seite und die islamische Welt auf die andere stellt und sich damit fast als Anhänger der These vom „clash of civilizations“ präsentiert.

Eine neue Einstellung zum Islam? Applaus und Verärgerung

In vielen arabischen Zeitungen wurde auf die muslimische Herkunft von Obama hingewiesen, die zu seinem tiefen Verständnis der islamischen Kultur beitrage, ganz im Gegensatz zur „Cowboy-Logik“ eines George W. Bush, für den Islam gleichbedeutend mit Terrorismus war. Kommentatoren priesen ihn auch dafür, dass er Jerusalem das Zentrum aller monotheistischen Religionen nannte und indirekt versicherte, dass es nicht die Hauptstadt von Israel sein wird. Die saudi-arabischen Tageszeitungen waren voll des Lobes. Sie berichteten über die muslimischen Familienhintergründe Obamas und wiederholten ausführlich seine Bemerkungen über seine Kindheit in Indonesien und seine Zitate aus dem Koran.

Auch in Kuwait wurden die Rede und die Eloquenz Obamas sehr gelobt, insbesondere seine Koranzitate. In den Kuwaiter Zeitungen wurde er mit seinem vollen Namen „Barack Hussein Obama“ genannt, um seine muslimische Herkunft zu unterstreichen. Die Tageszeitung Al-Qabas hob seine Toleranz und Akzeptanz des Hijab (das muslimische Kopftuch) im Westen hervor und interpretierte dies als indirekte Kritik der französischen Politik in Bezug auf das Kopftuch. Dass die US-Außenministerin Hillary Clinton in der Sultan Hassan Moschee in Kairo ein Kopftuch anlegte wurde in den Kuwaiter Zeitungen nahezu überschwänglich berichtet.

Obamas Rede wurde auch als eine Drohung an islamistische Extremisten und Hardliner (sowohl in der arabischen Welt als in Israel und im Iran) beschrieben. Mohammad Yaghi bemerkte in Al-Ayyam (Palästina), dass sich Al-Qaida sehr wohl durch das clevere und intelligente Zugehen Obamas auf die muslimische Welt bedroht sehen könnte:
„Seine versöhnlichen Worte und seine Fähigkeit, Herz und Verstand von Arabern und Muslimen zu gewinnen, könnten zu einer Stärkung der gemäßigten Araber führen und, indem er die Vorwände für die Existenz extremistischer Gruppierungen schwächt, viele Muslime dazu bewegen, sich von diesen abzuwenden.“ In ironischem Ton beschreibt der Al-Hayat Kolumnist Ghassan Charbel Obama als einen „verwirrenden“ Besucher, der den Charme und die Anziehungskraft des „Großen Satans“ [wie Extremisten die USA allgemein nennen] demonstrierte.

Der syrische Politikbeobachter Moubayed schreibt in der Asia Times:
„Obwohl sich Obama nicht auf Syrien bezog, sprach er über seine Bereitschaft ohne Vorbedingungen in den Dialog mit dem Iran einzutreten. Er sprach über palästinensische Staatlichkeit, was auf der arabischen Straße freudig aufgenommen wurde, besonders in Syrien. Sein Lob Israels war nicht neu – es wurde sogar von jedermann erwartet, sogar von durchschnittlichen Arabern. Es wurde jedoch von Osama Bin Laden als Vorwand genutzt um den amerikanischen Präsidenten bereits einige Stunden vor der Rede abzulehnen und ihn zu beschuldigen, nicht anders zu sein als Bush.“ Optimistisch fügt er hinzu: „Sicherlich haben mehr Menschen in Syrien und der arabischen Welt Obama zugehört als Bin Laden Aufmerksamkeit zu schenken.“

In einem Artikel mit dem Titel „Goodbye 11. September“ in der Kuwaiter Zeitung Al-Qabas wird argumentiert, die Rede Obamas habe einen Schlussstrich unter das Kapitel des 11. September gezogen und werde die Grundlagen des islamischen Fundamentalismus (speziell der von Osama bin Laden und Ayman al-Zawahiri gepredigten Ideologie) schwächen, indem sie ihm seinen wichtigsten Angriffspunkt, die Vereinigen Staaten, nimmt. In der palästinensischen Zeitung Al Ayyam stellt Mohammad Yaghi fest, dass Obama, genau wie der überwiegende Teil der Muslime, „Krieg gegen den Terror“ enger definiert, d.h. den Begriff nicht im Zusammenhang mit der Hamas, der Hisbollah oder anderen islamischen Gruppierungen ohne Verbindung zu Al-Qaida benutzt, ganz im Gegensatz zur Vorgängerregierung, die ihn völlig unterschiedslos verwendete.

Kritischere Einschätzungen erschienen in einer Reihe von Beiträgen. Nabil Abdel Fattah, ein Kolumnist der ägyptischen Zeitung Al Ahram, weist auf die Verärgerung einiger über den „belehrenden Ton“ von Obama hin. In defensiver Manier schreibt er: „Braucht die ägyptische Nation wirklich Lektionen in Demokratie oder in politischer und religiöser Reform von den Zentren der Weisheit und der politischen Bildung in Washington?“ Redefreiheit, Gleichheit, Bürgerrechte und politischer Liberalismus seien schließlich alles Konzepte, die von bedeutenden Denkern islamischer Jurisprudenz seit den Anfängen des ägyptischen Staates formuliert wurden, erklärt er. Insbesondere kritisiert er Obamas verflachendes Konzept vom „imperialistischen Wir“ auf der einen Seite und dem „islamischen Anderen“ auf der anderen Seite.

In der einzigen ausführlichen Reaktion in der libanesischen Presse, lobte Rami G. Khouri Obama im Daily Star dafür, dass er den Nahen Osten nicht sehe wie „Fox Television, israelische Eiferer und neo-konservative Einfältige“, sondern als eine Region in ihrer ganzen Komplexität und ihren Differenzen mit dem Westen. Nicht beeindruckt dagegen war Khouri von der „vagen Substanzlosigkeit“ der Rede, die keine konkreten Hinweise dafür enthalte, dass den Worten auch praktische politische Maßnahmen folgen werden. Er schreibt:
„Die zentrale Schwäche der Rede und des Konzepts von Obama war die ständige Vermischung von Religion und Politik. Obama sprach überzeugend von der Bedeutung des Islams und der muslimischen Bürger in der amerikanischen Gesellschaft und Geschichte sowie in seinem eigenen Leben – eindrucksvoll, aber völlig irrelevant. Wir, die wir beide Gesellschaften kennen und lieben, wissen selbst, dass der Islam und Amerika seelenverwandt sind; eine Religion und ein Land, tief verbunden durch Werte und Glauben. Indem er uns das predigte, verschwendete Obama unsere und seine Zeit. Er hätte besser daran getan, sich auf die politischen Probleme zu konzentrieren, die der Grund für die Spannungen zwischen der Politik der Vereinigten Staaten und vielen Muslimen sind. Was wir hier brauchen, sind Taten, nicht nur schöne Worte. Trotzdem war es gut, zur Abwechslung einmal eine positive, sensible und umfassende Rede zu hören.“

Khouri fügt hinzu: „Die Tatsache, dass fast alle lobenswerten Grundsätze, die Obama in Kairo vertrat, im krassen Gegensatz zu der harten Politik Amerikas in der Region standen, darf nicht von der Bedeutung seines Besuches und von der potenziellen Wirkung der Ideen in seiner Rede ablenken.“ Deshalb rät er: „Lasst uns also jetzt Bibel- und Koranunterricht beiseite lassen und uns der schweren Aufgabe widmen, eine bessere Politik zu schaffen. Obamas Geste verdient Gesten gleicher Größe von Arabern, Iranern und anderen in der islamischen Welt, und auch von den Israelis [...]”

Die arabische Blogosphäre

Interessanterweise waren es nur die arabischen Blogger, die auf das Thema Demokratie eingingen, obwohl dieses ein Hauptpunkt in der Ansprache Obamas war. Die arabische Bloggerszene (meist junge Erwachsene) beurteilte die Rede sehr negativ.

In einem Kommentar in der New York Times am Tag zuvor kritisierte Hossam el-Hamalawy, ein ägyptischer Blogger, den Besuch Obamas als ein „eindeutiges Votum für Präsident Hosni Mubarak, den kränkelnden 81-jährigen Diktator, der mit Hilfe von Kriegsrecht, Geheimpolizei und Folterkammern regiert.“ Abseits von dem glamourösen PR-Image des „historischen“ Appells Obamas an die muslimische Welt, berichtet el-Hamalawy in ernüchterndem Ton von Karim Amer, einem Al-Azhar-Studenten, der „im Gefängnis sitzt, nachdem Mitarbeiter der Universität seine ‚ungläubigen, unislamischen’ Ansichten der Regierung meldeten, wofür er 2007 zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt wurde.“

Auf Twitter lief eine Life-Diskussion über die Rede Obamas, in der viele Teilnehmer sein Zitieren von Koransuren oft als „kitschig sentimental“ und „herablassend“ beschrieben sowie seine pro-Israel-Tendenz kritisierten (ein typischer Kommentar lautete: „Dieselbe alte Holocaust-Rechtfertigung für Israel. Alter, kapier’s doch endlich - wir waren’s nicht, es war Deutschland.“)

Asaad Abu-Khalil kritisiert Obama in seinen Angry Arab Blog stark dafür, dass er sich nicht von der Rhetorik der Vorgängerregierungen gelöst habe: „Die Rede war aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, die schon in Ansprachen früherer US-Präsidenten vorkamen, einschließlich der Reden von keinem anderen als George W. Bush.“ Wie el-Hamalawy verurteilte auch Abu-Khalil die Wahl von Al Azhar als Gastgeber der Veranstaltung, weil sich „Al-Azhar unter den amerikanischen Marionetten Sadat und Mubarak zu einer Macht des Obskurantismus, des Fanatismus, der Frauenfeindlichkeit, der religiösen Intoleranz und der Gewalt entwickelt hat.“

Werden den Worten Taten folgen?

Alles in allem äußerte sich die arabische Presse anerkennend über das tiefe Verständnis Obamas und seinen sprachlichen Ausdruck, die zusammen eine deutliche Abkehr vom Stil der Vorgängerregierung darstellten.

In bitterlemons schreibt Ghassan Khatib:
„Die politische Ideologie und die Ereignisse des 11. September führten dazu, dass die Vorgängerregierung die Probleme in der Region – einschließlich des ’Terrorismus’ – lediglich als Probleme technischer, sicherheitsbezogener und militärischer Natur sah. Diese Sichtweise führte zu oberflächlichen und falschen Diagnosen und Maßnahmen und verstärkte die negative Einstellung gegenüber der US-Regierung in der Region. In seiner Rede analysierte Obama die Probleme weit tiefgehender als andere, indem er beispielsweise auf die negativen Folgen der Globalisierung hinwies, durch die die Region von westlicher Kultur überflutet wurde, was sich negativ auf Gesellschaft und Wirtschaft auswirkte. Dieses Zugeständnis und die Aufforderung zu Verbesserungen und Investitionen in Bildung und in Frauenfragen beweisen ein Verständnis für die Menschen in der Region, wie sie diese in amerikanischer Rhetorik nicht gewohnt sind.“

Viele Zeitungen stellten fest, dass die Vereinigten Staaten jetzt mehr auf Partizipation setzen und bereit sind, Länder in der Region, vor allem Ägypten und Saudi-Arabien, aber auch die Türkei, an der Entwicklung von Lösungen für die vielen Krisen im arabischen Bereich zu beteiligen. Rajab Abu Sarya von Al-Ayyam (Palästina) fragt: „werden die Vereinigten Staaten ihre Außenpolitik in Bezug auf die Region von einem reinen Krisenmanagement (oder ’kreativen Chaos’) in Richtung tatsächlicher Lösungen entwickeln?“

Es gab jedoch auch Kommentare, die zur Vorsicht mahnten. In der jordanischen Zeitung Al-Ghad warnt Samih Moaytah die Araber ausdrücklich davor, den Wandel in der US-Außenpolitik als revolutionär darzustellen und Obama zum Retter zu stilisieren: „Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten wird nicht von den Gefühlen Obamas bestimmt, sondern von den nationalen Interessen seines Landes, und wir dürfen nie die Macht der zionistischen Lobby in Israel und ihren Einfluss auf die US-Außenpolitik vergessen.“ Unter dem Titel „Ein Mann allein genügt nicht!“ appellierte Moaytah an die Araber, Obama nicht als „Saladin“ – einen Helden, der angeritten kommt, um ihre Probleme zu lösen – zu sehen, und betonte, dass die arabischen Staaten selbst Verantwortung für die Lösung der Hauptkonflikte in der Region übernehmen müssen. Eine ähnliche Ansicht vertrat das ägyptische Blatt Al-Gomhuria in einem Leitartikel, in dem es hieß, die Rede eröffne den arabischen Staaten zwar die Möglichkeit, Fortschritte auf dem Weg zur Lösung der viele Probleme in ihrer Region zu machen, serviere ihnen die Lösung aber nicht auf einem „goldenen Teller“.

Am häufigsten wurden die Worte Obamas in der regionalen Presse mit dem Attribut „honigsüß“ bedacht. Dies spiegelt die allgemeine Meinung der arabischen Welt – der Befürworter und der Gegner Obamas – wider, dass die von Obama in seiner Rede präsentierten Grundsätze durch Taten bestätigt werden müssen. Anders gesagt, Obama wird letztlich nicht nach seiner eloquenten Rhetorik beurteilt werden, sondern nach dem, was er im Nahen Osten konkret erreicht. Ein Kolumnist spitzt es zu in der Frage: „Besitzt der amerikanische Präsident magische Lösungen hinter der Maske der Sprache?“


Layla Al-Zubaidi ist Direktorin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.
Doreen Khoury ist Program Manager des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.