Testfall für die Demokratie im Irak

Waschtag, Provinz Diwaniyah, Irak. Foto: James Gordon. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

Der Streit um Frauenrechte und das Personenstandsrecht

25. März 2009
Von Layla Al-Zubaidi
 

Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Mittlerer Osten, Beirut / Libanon

Krieg, internationale Sanktionen und die zunehmende Politisierung ethnischer und religiöser Identitäten seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahre 2003 haben zu erheblichen Rückschlägen für die soziale Position der Frauen im Irak geführt. Darüber hinaus drohen im Rahmen der Auseinandersetzungen über die neue irakische Verfassung und des fundamentalen Konflikts über die Rolle religiöser Normen weitere empfindliche Rückschritte durch die von religiösen Parteien geforderte Einführung eines in der Sharia begründeten Familien- bzw. Personenstandsrechts.

Einfluss der religiösen Parteien

Personenstands- oder Familienrecht im muslimischen Kontext sind diejenigen Gesetze, die basierend auf islamischem Recht (Sharia) Angelegenheiten der Eheschließung und -scheidung, des Sorgerechts für Kinder und der Erbfolge und -anteile regeln. Im Gegensatz zu vielen anderen, oft symbolischen Debatten über den Einfluss der Religion auf Staat und Gesetz wirken sich Entscheidungen über das Personenstandsrecht ganz praktisch auf das Alltagsleben und Miteinander der Menschen in der arabischen Welt aus - besonders und überwiegend nachteilig auch auf die Rechte von Frauen.

„Reformen“ in diesem Sinne implizieren die Möglichkeit, dass die religiösen Autoritäten Autonomie in der Festlegung und Implementierung der Normen des Familienrechts für die verschiedenen religiösen Gemeinschaften erhalten. Diese Debatte wird im Irak ausgesprochen kontrovers geführt. Religiöse und politische Sprecher der schiitischen und sunnitischen Gemeinschaften und säkulare Akteure streiten sich erbittert über die Frage, ob die bis heute zuständigen staatlichen Personenstandsgerichte in Sharia-Gerichte umgewandelt werden sollten.

Hintergrund dieser Auseinandersetzungen ist die grundsätzliche Frage, wie der neue irakische Staat in Zukunft seine Bürger definieren wird: Werden sie vor Staat und Gesetz in erster Linie individuelle Staatsbürger sein, oder vor allem Angehörige religiöse Gemeinschaften und tribaler Verbände? Bei dem politischen Tauziehen um Personenstandsfragen und Frauenrechte handelt es sich damit nicht „nur“ um einen Streit über Ehe- und Familienangelegenheiten, sondern vor allem auch um ein Ringen um die Prinzipien von Demokratie, gleichberechtigte Staatsbürgerlichkeit und Rechtsstaatlichkeit.

Frauen im Irak: Zurück in die Zukunft

Die Dynamik der mit dem Sturz des Baath-Regimes im Jahre 2003 entfesselten Konflikte setzt besonders Frauen Gewalt und Diskriminierung aus. Politische Gewalt nimmt oft die Form systematischer Misshandlung und Vergewaltigung von weiblichen Angehörungen politischer Widersacher an (durch Milizen ebenso wie durch „Sicherheitskräfte“ des irakischen Staates). Allzu oft ist allein schon die Zuordnung zu der einen oder anderen konfessionellen oder ethnischen Gruppe Motivation für solche Gewalt.

Gruppierungen, die die Durchsetzung regressiver Auslegungen religiös begründeter Verhaltensnormen als Teil ihrer politischen Agenda betrachten, haben den Spielraum für die Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum dramatisch reduziert. Irakische Frauen sind heute gezwungen, sich an einen konservativen Kleidungscode zu halten; viele wurden bereits aufgrund „unislamischen“ Verhaltens und/oder Bekleidung ermordet.

Frauen mit öffentlichem Profil wie Politikerinnen, Ärztinnen, Akademikerinnen und Aktivistinnen werden ebenso gezielt bedroht und zuweilen ermordet wie Frauen und Männer die sich der zunehmenden Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum widersetzen. Frauen werden zudem Opfer sexueller Gewalt durch die irakischen Sicherheitskräfte, Besatzungstruppen und bewaffnete Banden  sowie von Entführungen und Verschleppung in die Prostitution, insbesondere in die Nachbarländer.

Entführungen und Verschleppung

Laut Statistik sind ca. 90 Prozent aller Opfer der (bürger)kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak Männer; im Ergebnis ist eine wachsende Anzahl von Frauen allein für das Auskommen ihrer Familien zuständig.  Dies gilt auch für die irakischen Flüchtlinge: Dem Iraqi Red Crescent zufolge sind ca. 70 Prozent der Flüchtlinge Frauen und Kinder unter 12 Jahren.  Da dem Großteil der Flüchtlinge in den Aufnahmeländern der Region der Arbeitsmarkt verschlossen ist, sehen zahlreiche Frauen ihren einzigen Ausweg darin ihre Familien durch Prostitution zu ernähren bzw. zwingen Familien ihre Töchter in die Prostitution.

Gewalt in der Familie ist ein alarmierendes, im Anstieg begriffenes Phänomen und sowohl Ausdruck patriarchaler Machtverhältnisse als auch Spiegel der trüben Realität. Trotz der verbesserten Sicherheitslage scheinen Ungewissheit über die Zukunft, desolate Lebensbedingungen, hohe Arbeitslosigkeit und folglich ein generelles Gefühl der Frustration und Ohnmacht zur Zunahme häuslicher Gewalt zu führen. Bereits kurz nach Kriegsende - und nach 12 Jahren internationaler Sanktionen - berichteten bei einem von Physicians for Human Rights durchgeführten Survey im Südirak 50 Prozent der Befragten von familiärer Gewalt in der Form von Schlägen, Folter oder gar Mord.

Soziale Ausgleichsmechanismen versagen

Laut einer jüngeren, im Jahr 2008 durchgeführten Umfrage unter irakischen Frauen bezeugten zwei Drittel der Befragten dass Gewalt gegen Frauen stark zugenommen habe und führten als Gründe an, dass der Respekt für Frauenrechte gesunken sei und das Besitzdenken gegenüber Frauen zugenommen habe. Auch in den Flüchtlingshaushalten wird familiäre Gewalt dem UNHCR zufolge in Besorgnis erregendem Ausmaß beobachtet. Wenn in Krisensituationen soziale Ausgleichsmechanismen versagen, scheint die Familie der Bereich zu sein, in dem Männer ihr unterminiertes Selbstwertgefühl durch Betonung ihrer Machtstellung erhalten. Der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung im Irak, die Unterwanderung staatlicher Institutionen durch Milizen und die Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit unterstützten solche Trends.