Paradigmenwechsel: Der US-Sport ist stark politisiert – Auch im Hinblick auf die Wahlen

Hintergrund

Der US-Sport ist so politisch wie nie. In Anbetracht von Polizeigewalt und Rassismus gegen schwarze Menschen, treten zahlreiche Athlet*innen für stärkeres politisches Bewusstsein und gesellschaftlichen Wandel ein. Schließlich stehen die Wahlen im November im Fokus.

Staples Center
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Normalerweise spielen hier die Los Angeles Lakers, aber am 3. November wird hier gewählt.

In der prominentesten US-Sportliga, der National Football League (NFL), wurde der Saisonstart durch Buhrufe vonseiten einiger Fans bei einem Akt der Solidarität beider Teams begleitet. Dieser Vorfall ereignete sich als die Gäste der Houston Texans und die Kansas City Chiefs vor Spielbeginn mit eingehakten Armen nebeneinander auf dem Spielfeld standen. Der Moment der Stille galt der Demonstration von Einheitlichkeit im Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt. Zuvor wurden die Spieler aus Houston beim Betreten des Platzes ausgebuht. Bei der für die US-Sportligen üblichen Zeremonie der amerikanischen Nationalhymne vor jeder Partie nahmen sie aus Protest nicht teil.

Als Reaktion auf die anhaltenden Protestbewegungen in der Gesellschaft gegen strukturellen Rassismus lässt die NFL zudem „Lift Every Voice and Sing“ in der ersten Saisonwoche spielen. Dieses geschichtsträchtige Lied wird als Ausdruck von Hoffnung, Ungerechtigkeiten und als symbolische Nationalhymne der schwarzen Bevölkerung betrachtet.

Wandel der NFL: Eingeständnis von Fehlern und gesellschaftspolitischer Blindheit

Auch wenn das Football-Team aus Miami im Abspielen zweier Hymnen lediglich eine „leere Geste“ sieht, kann diese Handlung dennoch als Ausdruck einer veränderten politischen Einstellung der eher als konservativ geltenden NFL aufgefasst werden. Roger Goodell, Chef der NFL, hat sich 2016 noch deutlich gegen Colin Kaepernicks politischen Aktivismus des Kniens während der Nationalhymne positioniert. Unpatriotisch und respektlos hieß es von Goodell. Donald Trump schloss sich dieser Sichtweise in beleidigender Manier an. Der damalige Quarterback der San Francisco 49ers startete den knienden Protest, um auf die Polizeigewalt und die systematischen Mechanismen der Unterdrückung von People of Color aufmerksam zu machen. In der Folge durfte er seit 2017 kein Spielfeld mehr betreten, da ihn kein Verein unter Vertrag nehmen wollte; vermutlich auch wegen Bedenken öffentlicher Kritik.

Mittlerweile ist Bewegung in die Debatte gekommen. In einer Videobotschaft verurteilte Roger Goodell im Namen der NFL - eine Liga mit einem 70-prozentigen Anteil von Players of Color - die rassistische Unterdrückung schwarzer Menschen in der US-Gesellschaft. Er räumte Versäumnisse ein, nicht schon früher auf die politischen Anliegen der NFL-Spieler gehört zu haben. Er ermutigte zum friedlichen Protest und das öffentliche Anprangern von gesellschaftlichen Missständen wie Rassismus und Polizeigewalt. Zudem zeigte sich Goodell bestärkend gegenüber Football-Teams, Kaepernick wiedereinzustellen. Falls Kaepernicks Football-Karriere nicht wieder anlaufen sollte, begrüße die Liga die Zusammenarbeit mit ihm in Fragen sozialer Gerechtigkeit und der Bekämpfung von Rassismus. In diesem Zusammenhang hat die Liga verkündet, innerhalb der nächsten Dekade 250 Millionen Dollar in unterschiedliche Initiativen zu investieren. Dadurch sollen Fortschritte für die schwarze Bevölkerung bei Justiz- und Polizeireformen und im Bereich der Ökonomie und Bildung erlangt werden. Das Motto der aktuellen NFL-Saison lautet „It takes all of us“ und auf den Spielfeldern werden die symbolischen Worte - mindestens in der ersten Spielwoche - „End Racism“ aufgemalt.

Es scheint, als ließe sich bei der NFL-Führung eine erhöhte Sensibilität und Fürsprache hinsichtlich politischer Aktionen ihrer Athleten und das Eintreten für die schwarze Community ablesen.

Die Basketballer*innen als Vorreiter mit Vorbildfunktion für die US-Sportwelt

Der erkennbare Sinneswandel der NFL kommt nicht von ungefähr. Die unter den professionellen Sportligen als besonders progressiv angesehene National Basketball Association (NBA) hat den Anfang gemacht. Nach einigen Monaten Spielpause aufgrund der COVID-19 Pandemie hat die Liga Ende Juli 2020 ihren Spielbetrieb in Orlando auf dem Disney World Gelände - abgeschirmt von der Öffentlichkeit und hoffentlich der Pandemie - wieder aufgenommen. Die Fortsetzung der NBA-Saison unterliegt einer klaren Zielsetzung: Es gilt, das Bewusstsein für strukturellen Rassismus und soziale Ungleichheiten zu schärfen. Politischer Aktivismus von Seiten der Spieler, von denen sich drei Viertel selbst als schwarz identifizieren, soll dabei explizit unterstützt werden. Auslöser hierfür sind die landesweiten Protestbewegungen gegen Rassismus und Polizeigewalt als Reaktion auf den tragischen Tod des schwarzen George Floyds im Mai durch einen weißen Polizisten. Floyd ist ein weiteres Todesopfer von schwarzen Menschen durch Polizeikräfte innerhalb der letzten Jahre.  Dieser Tatbestand gleicht einem Muster, welches die öffentliche Entrüstung über rassistische Strukturen im Polizeiapparat bekräftigt.

Zuvor haben einige Spieler ihre Skepsis über den Neustart der NBA und dessen Schlagkraft für mehr soziale Gerechtigkeit geäußert. Spiele mit politischen Slogans in Hallen und auf Trikots würde nicht ausreichen, um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten aufgrund der Hautfarbe auszuhebeln. Zudem könnte das Basketball-Entertainment eine zu große Ablenkung von den dringlichen Problemen wie Rassismus und Polizeigewalt sein, so die Vorbehalte.

Letztlich wird jedoch gespielt in Orlando. Der politisch-aktivistische Nachdruck der Liga ist unübersehbar. Die Worte der gleichnamigen Organisation und Protestbewegung, Black Lives Matter (Schwarze Leben zählen), gegen Gewalt an schwarzen Menschen zieren das Spielfeld. Hervorzuheben ist hier, dass bereits 2016 die Basketballerinnen der WNBA - als Protestreaktion auf zwei schwarze Todesopfer durch die Polizei - die Worte der politischen Bewegung auf ihren Aufwärmshirts trugen. Trotz Verstoß gegen den offiziellen Kleidungskodex und der von der Liga verhängten Strafzahlungen, waren die Spielerinnen so ausdauernd, dass die WNBA-Führung nachgab und den Teams ihren politischen Aktivismus erlaubte.

In der NBA tragen derzeit nahezu alle Spieler auf den Trikots anstatt ihrer Namen politische Botschaften wie etwa Equality, Justice oder How many more. Bis auf einzelne Ausnahmen weniger Spieler knien die gesamten Teams Arm in Arm beim Abspielen der Nationalhymne und führen Colin Kaepernicks ‚zivilen Ungehorsam‘ fort.

Einen beispiellosen historischen Moment politischen Protests im US-Sport initiierte kürzlich das Team der Milwaukee Bucks. Die Spieler streikten aufgrund eines erneuten Vorfalls von Polizeigewalt, ihr angesetztes Play-off Spiel für den 26. August abzuhalten. Der schwarze Jacob Blake wurde in Kenosha - einer US-Stadt unweit von Milwaukee - von einem Polizeibeamten vor seinem Auto, in welchem seine Kinder saßen, sieben Mal in den Rücken geschossen. Blake überlebte, ist nun jedoch querschnittsgelähmt. Vier weitere Teams schlossen sich dem Streik an und die Liga steht hinter ihnen, und das, obwohl ein Spielerstreik laut NBA-Regularien untersagt ist. Somit wurden drei fest angesetzte Partien verschoben. Die Welle der Spielerstreiks schwappte daraufhin auch auf die Profi-Ligen des Fußballs (MLS), des Baseballs (MLB), der weiblichen Basketballliga (WNBA), des Tennis (ATP/WTA) des Eishockeys (NHL) über. Einige Spiele wurden ausgesetzt, um die Plattform Sport nicht für Entertainment zu nutzen, sondern den gesellschaftspolitischen Blick auf Rassismus und Polizeigewalt zu schärfen.

Die Kongress- und Präsidentschaftswahlen sind ein Hauptanliegen der Athlet*innen

Die NBA-Leitung und ihre Spielergewerkschaft einigten sich, die nicht angetretenen Wettkämpfe einige Tage später nachzuholen - auch wenn sich die beiden Teams aus Los Angeles für die sofortige Beendigung der Saison aussprachen. Die Wiederaufnahme des Spielbetriebs steht jedoch unter folgenden und gemeinsam entschiedenen Prämissen:

  1. Eine Koalition für soziale Gerechtigkeit arbeitet an nachhaltigen Polizei- und Justizreformen und fördert den Zugang für die Stimmabgabe bei den bevorstehenden Kongress- und Präsidentschaftswahlen.
  2. Es werden vermehrt Werbespots eingespielt, die zur Wahlbeteiligung anregen und über die unterschiedlichen Beteiligungschancen in der Gesellschaft aufklären.
  3. Sofern möglich sollen unbenutzte Basketballstadien für die Wahlen zur Verfügung stehen, um den persönlichen Stimmenabgabeprozess trotz der COVID-19 Pandemie zu gewährleisten.

Einige NBA-Clubs haben ihre Arenen bereits für die Wahlen zugesichert. Wie wichtig so eine Maßnahme für eine faire und hohe Wahlbeteiligung inmitten einer Virus-Pandemie sein kann, zeigt das Beispiel aus Georgia Anfang Juni. Im potentiellen republikanisch regierten Swing-State kam es bei den lokalen Vorwahlen der demokratischen Kanditat*innen für die Hauptwahl am 3. November 2020 zu äußerst langen Warteschlangen vor den Wahllokalen. Neben technischen Problemen und Versäumnissen bei der Briefwahl war die Ursache vor allem die Pandemie: Weniger Wahlhelfer*innen, weniger benutzbare Wahlmaschinen wegen Abstandsregeln und weniger Wahlstationen. Kritische Stimmen monierten, dass die Wartezeiten in Wahlbezirken mit einem hohen Bevölkerungsanteil schwarzer Menschen im Vergleich zu eher weißen Wahlgegenden auffällig hoch waren. Die Befürchtung: Covid-19 bietet ein Einfallstor für Wahlunterdrückung der schwarzen Community. So auch der Basketball-Superstar Lebron James „What about asking if how we vote is also structurally racist?“ („Wie wäre es damit zu fragen, ob die Art und Weise, wie wir abstimmen, auch strukturell rassistisch ist?“)

James hat nun mit vielen weiteren schwarzen Athlet*innen und Künstler*innen die Organisation More than a Vote ins Leben gerufen. Ihr Anliegen ist es, die Barrieren des Wahlzugangs - verstärkt durch die Pandemie - für schwarz stämmige Bevölkerungsgruppen auszuhebeln. Die Initiative versucht die Menschen über ihre Rechte aufzuklären und sie zum Wählen zu motivieren. Sportstadien sollen zu Wahlzentren für eine gewährleistete persönliche Stimmabgabe umgerüstet werden. Spendengelder fließen in den weiteren Swing-State Florida, um die Straf- und Gerichtsschulden ehemaliger inhaftierter Personen abzuzahlen. Dies ist die Bedingung, damit sie im republikanisch regierten Bundesstaat ihr Wahlrecht wieder wahrnehmen dürfen.

Einige Athlet*innen fokussieren in ihrem Aktivismus vor allem die Mobilisierung der tendenziell demokratisch gesinnten schwarzen Wählerschaft für November 2020, deren Wahlbeteiligung 2016 einen Tiefstand erreicht hatte. Wer die nächsten vier Jahre im Weißen Haus regiert, ist unvorhersehbar. Klar ist hingegen, dass Amerikas Sportbühnen politisiert sind und sich der Wahlkampf nun auch dort abspielt.