Leipziger Autoritarismus-Studie 2018: Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf

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Dies ist das zweite Kapitel der "Leipziger Autoritarismus-Studie 2018". Hier beschreiben Oliver Decker, Johannes Kiess, Julia Schuler, Barbara Handke & Elmar Brähler Methode und zentrale Ergebnisse der Studie und zeigen, wie sich die Einstellung zur Demokratie sowie Muslimfeindschaft, Antiziganismus, Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern über die Jahre entwickelt haben.

Kapitelinhalt:

 


Methode und Stichprobe

Wie messen wir "rechtsextreme Einstellungen"?

Unsere Studiengruppe erfasst seit 2002 die rechtsextremen Einstellungen in Deutschland und führt dazu im Zweijahresrhythmus repräsentative Erhebungen mit 2.500 bis 5.000 Personen durch. Die Untersuchungsreihe geht von einem Rechtsextremismusbegriff aus, der rechtsextreme Einstellungen als Bestandteil eines autoritären Syndroms versteht und der demokratischen dichotom gegenüberstellt (Kiess, 2011; Decker et al., 2012a; vgl. Kap. 1). Wir definieren rechtsextreme Einstellungen als »Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen« (u.a. Decker et al., 2012a, S. 18).

Die Befragung ist auf die Erhebung von Einstellungen ausgelegt, nicht auf die Beobachtung von Verhalten. Allerdings sind antidemokratische und dementsprechend auch rechtsextreme Einstellungen Voraussetzung für ein antidemokratisches Verhalten. Einstellungsuntersuchungen lassen zwar keine Verhaltensprognose, aber Rückschlüsse auf das Verhaltenspotenzial zu, wie zum Beispiel auf die Bereitschaft, extrem-rechte Parteien zu wählen. Außerdem geben sie Hinweise darauf, welche Motive für ein Verhalten als akzeptabel gelten.

In diesem Kapitel stellen wir die Verbreitung und Ausprägung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland dar. Zuerst beschreiben wir das methodische Vorgehen für die aktuelle Erhebungswelle und berichten dann die zentralen Ergebnisse. Zuletzt richten wir den Fokus auf die Einstellung zur Demokratie und die Akzeptanz demokratischer Normen, aber auch auf die damit verbundenen Einstellungsdimensionen Muslimfeindschaft, Antiziganismus, Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sowie Gewaltbereitschaft.

Seit Beginn der Untersuchungsreihe 2002 bildet der Leipziger Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung (FR-LF) den Kern der Leipziger Autoritarismus-Studie (Decker et al., 2013) (1). 2018 werden die rechtsextremen Einstellungen wieder durch dieselben sechs Dimensionen erfasst wie bisher: Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Dieser Fragebogen wird in den Erhebungswellen durch weitere Fragebögen ergänzt, die zusätzliche Einstellungsdimensionen erfassen oder zur Ursachenbestimmung beitragen. 2018 waren das zunächst Fragen zur Akzeptanz der Demokratie. Außerdem haben wir die Erfassung autoritärer Persönlichkeitselemente erweitert, da sich unser Fokus in den letzten Jahren mehr und mehr auf die autoritäre Dynamik in der Gesellschaft verschoben hat (vgl. auch Kap. 1): Erhoben wurden 2018 zum einen die autoritäre Aggression, die autoritäre Unterwürfigkeit und die Betonung konventioneller Werte (Beierlein et al., 2014), zum anderen die Verschwörungsmentalität (Imhof & Decker, 2013).

Diese beiden Fragebögen erfassen die autoritäre Persönlichkeit über Forderungen nach Strenge und Härte in der Gesellschaft bzw. über das Wirken geheimer Mächte im Hintergrund. Der dritte Fragebogen zur autoritären Persönlichkeit fokussiert dagegen stärker auf die Selbstbeschreibung der Befragten (Oesterreich, 1998). Die Ergebnisse zu diesem Themenkomplex stellen wir in Kapitel 4 dar.

Die Bereitschaft, bestimmte Personengruppen abzuwerten, wurde mit Fragen zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (Heitmeyer, 2012) erfasst, wie zuvor schon 2014 und 2016. In diesem Jahr richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Einstellung gegenüber Muslima und Muslimen (Muslimfeindschaft) (2), Sinti und Roma (Antiziganismus) sowie Asylbewerberinnen und Asylbewerbern (bzw. ihre Aufnahme) (3). Außerdem kam, wie schon 2006 und 2016, ein Fragebogen zur Erfassung von Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft zum Einsatz (Ulbrich-Herrmann, 1995).

Zur besseren Differenzierung werden in jeder Untersuchungswelle standardmäßig verschiedene soziodemografische Merkmale erfasst: neben Alter, Geschlecht und Wohnort (Bundesland) auch der höchste erreichte Bildungsabschluss, die Religionszugehörigkeit, das monatliche Haushaltsnettoeinkommen, der Familienstand sowie die Berufstätigkeit (siehe Tab. 1). Zusätzlich wurden die Befragten um ihre Einschätzung zu Politik und wirtschaftlicher Situation (des Landes und individuell) gebeten. Diese Fragebögen dienen als Indikatoren für die subjektive politische und wirtschaftliche Deprivation.

Wer wurde wann und wie befragt?

Wie alle bisherigen Erhebungen unserer Untersuchungsreihe wurde die Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut USUMA durchgeführt. Sie bestand aus zwei Teilen: Im ersten wurden die soziodemografischen Merkmale face-to-face von den Interviewenden erhoben und in ein Listenheft eingetragen. Im zweiten Teil füllten die Befragten die Einstellungsfragebögen eigenständig aus, ohne dass die Interviewenden Kenntnis von den Antworten erhielten. Bei diesem »Paper-Pencil«-Vorgehen ist die Offenbarungsbereitschaft höher als bei Befragungen, in denen die Aussagen vom Interviewenden vorgelesen werden und dieser die Antworten notiert (z.B. in Telefonbefragungen). Da das Verfahren seit 2002 konstant geblieben ist, bietet es zudem den Vorteil, dass die Ergebnisse der Untersuchungen von 2002 bis 2018 miteinander verglichen werden können.

Insgesamt wurden 215 Interviewende eingesetzt, die damit im Durchschnitt je zwölf Interviews führten. Die Interviewenden führten zudem die Auswahl der zu befragenden Personen nach den Vorgaben von USUMA durch. Außerdem beschrieben sie den Befragten knapp den Forschungsauftrag und die Studienziele und klärten sie über die datenschutzrechtlichen Vorkehrungen gemäß der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) auf. Dabei holten sie die informierte Einwilligung zur Teilnahme ein, für Personen ab 14 und unter 18 Jahren in Absprache mit einem Erziehungsberechtigten.

Die Teilnehmenden wurden mit einer geschichteten Zufallsstichprobe ausgewählt. Dazu wurden auf Grundlage einer überschneidungsfreien Flächenaufteilung des Bundesgebietes 258 Sample Points gezogen (für die alten Bundesländer 210, für die neuen 48). Dann nahmen die Interviewenden die Auswahl der Haushalte im Random-Walk-Verfahren vor und ermittelten per Schwedenschlüssel die Zielperson im Haushalt. USUMA erhielt die ausgefüllten Fragebögen von den Interviewenden zurück und bereitete sie zu einem digitalen Datensatz auf, der unserer Studiengruppe zur Auswertung übergeben wurde.

Sämtliche Interviews wurden im Zeitraum vom 7. Mai 2018 bis 8. Juli 2018 geführt. Die Rücklaufquote betrug 47,3% und ist damit als hoch einzuschätzen, besonders im Vergleich zu anderen Verfahren wie Telefonbefragungen. Um das Untersuchungsziel von 2.500 Interviews zu erreichen, wurden insgesamt 5.418 Haushalte aufgesucht. Bei 2.516 von ihnen konnte die Befragung durchgeführt werden. In die Auswertung gingen allerdings nicht alle Interviews ein, sondern nur jene mit Personen, welche über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügten (N = 2.416).

 

Tabelle 1: Soziodemografische Beschreibung der Stichprobe (nur deutsche Staatsangehörige, 14-91 Jahre)

Für den Bericht über zentrale Ergebnisse und im weiteren Verlauf geben wir die Werte für Ost-, West- und Gesamtdeutschland an. Zwar wählen wir diese Darstellungsweise schon seit 2002, aber die Entscheidung zu diesem Vorgehen wird jeweils neu diskutiert. Rechtsextreme Einstellungen sind bundesweit ausgeprägt, während im gesamten Bundesgebiet auch viele Menschen mit einer stabilen anerkennenden und demokratischen Einstellung leben.

Dass wir auch in diesem Jahr an der Ost-West-Differenzierung festhalten, hat verschiedene Gründe. Wie schon in den Vorjahren lässt die Stichprobengröße eine repräsentative Aussage vor allem für die Bundesrepublik, Ost- und Westdeutschland bzw. bevölkerungsstarke Bundesländer zu. Außerdem lassen sich auch Unterschiede zwischen den nord- und süddeutschen Bundesländern im Westen finden, allerdings sind diese nicht so deutlich ausgeprägt wie zwischen Ost- und Westdeutschland.

Es geht uns keinesfalls darum, die Bevölkerung in einem Teil der Republik besonders herauszustellen. Aufgrund der deutschen Geschichte finden wir zwar viele Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen in der politischen Kultur zwischen Ost- und Westdeutschland (Pickel & Pickel, 2006; Mannewitz, 2016). Auf der Einstellungsebene sind zwar die Werte der rechtsextremen Einstellungen im westdeutschen Bundesland Bayern ähnlich hoch wie in Mecklenburg-Vorpommern (Decker et al., 2015), aber auf der Handlungsebene lässt sich zurzeit eine stärkere Mobilisierung der extremen Rechten in Ostdeutschland beobachten.

Dadurch wird auch die Einstellung der dortigen Bevölkerung als Indikation für die Anschlussfähigkeit der extremen Rechten in einem besonderen Maße interessant. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass wir auch 2018 die Ergebnisse oft getrennt nach Ost- und Westdeutschland vorstellen.

Die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie 2018

Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018 - die Skala

Für die Darstellung der zentralen Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie soll zunächst der Rechtsextremismus-Fragebogen (FR-LF) im Mittelpunkt stehen: erstens die Zustimmungswerte zu den Aussagen des Fragebogens, zweitens die Veränderungen der extrem-rechten Einstellungen im Zeitverlauf von 2002 bis 2018 und drittens die Zusammenhänge zwischen diesen Einstellungen und soziodemografischen Merkmalen.

Der Rechtsextremismus-Fragebogen (FR-LF) erfasst die rechtsextremen Einstellungen anhand der sechs Dimensionen Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Zu jeder dieser Dimensionen gehören drei Aussagen (siehe Grafiken 1 bis 6). Die Befragten wurden gebeten, diese Aussagen auf einer fünfstufigen Skala zu bewerten, die von »lehne voll und ganz ab« (Wert = 1) bis »stimme voll und ganz zu« (Wert = 5) reichte. Höhere Werte bilden damit stärkere Zustimmung ab als niedrigere. Tabelle 3 listet die Zustimmungswerte zu den 18 Aussagen jeweils mit den fünf wählbaren Antwortkategorien auf. Der Einsatz der fünfstufigen Skala ermöglicht es, das Maß der Zustimmung graduell abzubilden. Zum besseren Verständnis fassen wir jedoch die Antwortkategorien »stimme überwiegend zu« und »stimme voll und ganz zu« in den dann folgenden Grafiken zusammen.

Dabei gerät allerdings schnell aus dem Blick, dass Befragte, welche die Antwortmöglichkeit »teils/teils« wählen, bereits eine gewisse Nähe zum Inhalt der jeweiligen Aussage bekennen. Die Option, sich mit der mittleren Antwortkategorie nicht eindeutig festzulegen, ermöglicht es den Befragten, ihre Zustimmung an die soziale Norm anzupassen, indem sie ihre – sozial unerwünschte – Ansicht in der Kommunikationslatenz halten, wie es für den Antisemitismus formuliert worden ist (Bergmann & Erb, 1986). Die »teils/teils«-Antwort gibt den Befragten aber auch Raum, eine Unentschiedenheit zuzugeben, die auf ein latentes Potenzial für den Rechtsextremismus in Deutschland schließen lässt. Deshalb möchten wir eine Unterscheidung, die wir bereits in der Vergangenheit vorgenommen haben, nun stärker betonen: die zwischen den manifesten und latenten rechtsextremen Einstellungen.

 

Tabelle 2: Übersicht der Antwortkategorien des Fragebogens zu rechtsextremen Einstellungen

Als »manifeste Zustimmung« bezeichnen wir die offen geäußerte Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen (»stimme zu«). Ihr steht die Ablehnung solcher Aussagen gegenüber: Die beiden Antwortkategorien »lehne völlig ab« und »lehne überwiegend ab« ordnen wir als Ablehnung rechtsextremer Aussagen ein. Als »latente Zustimmung« bezeichnen wir die Positionierung zu extrem-rechten Aussagen, die sich schon teilweise zum Inhalt bekennt (»stimme teils zu, teils nicht zu«). Im weiteren Verlauf werden die manifesten Aussagen in den Dimensionen zusammengefasst. Wer im Durchschnitt allen Aussagen je Dimension zustimmt, hat eine geschlossene Einstellung (also etwa eine geschlossene ausländerfeindliche Einstellung).

Im Folgenden werden bei Aussagen oder Dimensionen Einstellungsunterschiede zwischen Gruppen oder im Jahresvergleich 2016 zu 2018 sichtbar. Wenn diese Unterschiede signifikant sind (also statistisch bedeutsam sind), wird dies durch Sternchen markiert und unter den Abbildungen und Tabellen erläutert.

 

Tabelle 3: Der Fragebogen zu rechtsextremen Einstellungen – Zustimmung auf Item-Ebene (in %; N = 2.416)

1. Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur

Die erste Dimension »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur« wurde mit drei Aussagen erhoben, die für antidemokratische Positionen stehen und deren Begründung mit faschistischen, nationalistischen oder völkischen Motiven die Zuordnung zur extrem-rechten Gesinnung erlaubt (»Diktatur« im »nationalen Interesse«, »Führer« als Begriff mit eindeutigem historischem Verweischarakter auf den Nationalsozialismus und »Volksgemeinschaft« als Beschreibung einer durch Abstammung definierten, homogenen Schicksalsgemeinschaft). Grafik 1 zeigt sowohl die prozentuale manifeste Zustimmung (»stimme überwiegend zu« und »stimme voll und ganz zu«) als auch die prozentuale latente Zustimmung (»stimme teils zu, teils nicht zu«).

 

Grafik 1: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur«

Die stärkste manifeste Zustimmung erfuhr die dritte Aussage: Etwa 20% der Deutschen wünschen sich eine »einzige starke Partei«. Bei den ersten beiden Items, mit denen 8% und 11% einverstanden sind, sticht der große Unterschied zwischen den Landesteilen hervor: Über 13% der Befragten aus den neuen Bundesländern (»Ost«) stimmen diesen Aussagen manifest zu, 20% latent. Unter den Befragten aus den alten Bundesländern (»West«) wird die Diktatur als Staatsform zwar ebenfalls nicht durchgehend abgelehnt, doch sind die Zustimmungsraten niedriger (6,5% manifest, 16,6% latent), und auch die Aussage, dass ein Führer das Land »zum Wohle aller mit starker Hand« regieren sollte, wird noch mit einigem Abstand von 10,3% (manifest) und 15,6% (latent) befürwortet. Für diese Frage haben wir 11% manifeste Zustimmung im gesamten Land gemessen.

2. Chauvinismus

In der nächsten Dimension »Chauvinismus«, die ein übersteigertes und gegenüber Dritten aggressives Nationalgefühl erfasst, sind die Zustimmungswerte bundesweit hoch, aber auch diesmal in den alten Bundesländern etwas niedriger als in den neuen (Grafik 2). Bei der ersten Aussage kommt es besonders auf die Formulierung »endlich« an, denn sie impliziert, dass hierzulande jegliches Nationalgefühl unterdrückt werde. Bei der zweiten und dritten Aussage steht die Durchsetzung gegenüber anderen im Vordergrund, die von dem Gefühl getragen ist, dass das Land weniger erhalte, als »ihm zusteht«. Obwohl die Bundesrepublik eine hegemoniale Stellung in Europa innehat und trotz der wirtschaftlichen Erfolge als sogenannter Exportweltmeister, stimmt ein Drittel bzw. ein Viertel aller Befragten diesen Aussagen manifest zu.

 

Grafik 2: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Chauvinismus« (in %)

3. Ausländerfeindlichkeit

In der Dimension »Ausländerfeindlichkeit« fallen die Zustimmungswerte in ganz Deutschland besonders hoch aus (Grafik 3). Komplementär zur Aufwertung der Eigengruppe (»Chauvinismus«) misst die Ausländerfeindlichkeit die Abwertung und Aggression gegenüber einer konstruierten Fremdgruppe, »den Ausländern«, denen pauschal und kollektiv das Ausnutzen des Sozialstaates unterstellt wird, die auf dem Arbeitsmarkt nur auf Zeit geduldet werden und deren Anwesenheit als »Überfremdung« der Bundesrepublik wahrgenommen wird. Auf der einen Seite wird in dieser Dimension also rassistisch motiviertes Konkurrenzdenken auf dem Arbeitsmarkt (ökonomisch motivierte Ausländerfeindlichkeit) erfragt, auf der anderen Seite eine völkische Überfremdungsvorstellung.

 

Grafik 3: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Ausländerfeindlichkeit« (in %)

Die Aussagen dieser Dimension treffen besonders in den neuen Bundesländern auf beträchtliche Zustimmung: Zum Teil werden sie von fast jedem Zweiten manifest bejaht. Doch auch in den alten Bundesländern hält sie jeder Dritte bis Vierte für zustimmungswürdig. Außerdem fällt auf, dass diese drei Aussagen nur von einer Minderheit der Befragten explizit abgelehnt werden. Die Ausländerfeindlichkeit ist damit weiterhin im gesamten Land stark verbreitet und überdies die Einstellung, die in der Forschung als »Einstiegsdroge« in den Rechtsextremismus gilt: Die Hemmschwelle, rechtsextremen Gruppierungen in dieser Frage zuzustimmen, ist besonders niedrig.

4. Antisemitismus

Grafik 4 zeigt die Zustimmungswerte zur Dimension »Antisemitismus«. Die drei Aussagen decken klassische judenfeindliche Stereotype ab. Da für den Antisemitismus die Kommunikationslatenz am besten dokumentiert ist (Bergmann & Erb, 1986), kann mit einem Dunkelfeld gerechnet werden. Deshalb wurde in diesem Jahr eine umfassendere Untersuchung verschiedener Ausdrucksformen des Antisemitismus aufgenommen (vgl. Kap. 5). In der in jeder Untersuchung verwendeten Dimension zur Messung des Antisemitismus sind 10% der Deutschen manifest der Ansicht, dass der »Einfluss der Juden« »heute noch« zu groß sei, fast 21% sind es latent. Während das manifeste Vorurteil in Westdeutschland stärker verbreitet ist als in Ostdeutschland, ist es bei der latenten Zustimmung umgekehrt.

 

Grafik 4: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Antisemitismus« (in %)

Außerdem sind fast 8% der Deutschen manifest der Ansicht, dass die Juden mit »üblen Tricks« arbeiteten, und über 9% halten Jüdinnen und Juden für »besonders« und »eigentümlich«, weshalb sie auch nicht »zu uns« passen würden. Diese beiden Aussagen erhalten von Ostdeutschen eine manifest höhere Zustimmung. Insgesamt sind die klassischen antisemitischen Vorurteile bei mindestens jedem zehnten Befragten manifest, während die latenten Ressentiments in der Bevölkerung noch größere Verbreitung haben: In den neuen Bundesländern entschlossen sich nahezu 30% zu »teils/teils«-Antworten, in den alten Bundesländern nahezu 20% (vgl. hierzu auch Kap. 5).

5. Sozialdarwinismus

Grafik 5 stellt die Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Sozial­darwinismus« vor. Beim Sozialdarwinismus wird eine Erkenntnis, zu der Charles Darwin für die Evolution gekommen war, ungerechtfertigt auf die Gesellschaft übertragen. Dieser Biologismus, der ein Bestandteil fast aller völkischer Ideologien ist, betont das Überleben des »Starken«, also die Idee, der Mensch sei umso besser an die Anforderungen des Lebens angepasst, je stärker er ist. Damit werden Unterschiede zwischen Menschen als soziale Imperative verstanden.

Fast 10% der Befragten sind der Auffassung, dass sich die Stärkeren im menschlichen Zusammenleben durchsetzen sollten, wobei die Zustimmung in den neuen Bundesländern mit 15,1% höher liegt als in den alten (9,8%). Noch deutlicher sind die latenten Unterschiede: Gegenüber 19,3% im Westen entschieden sich 30,4% der Befragten im Osten für die Antwortkategorie »teils/teils«.

 

Grafik 5: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Sozialdarwinismus« (in %)

Außerdem glauben über 11% der Befragten, die Deutschen seien anderen Völkern »von Natur aus« überlegen – eine klar rassistische Position. Die dritte Aussage formuliert explizit die dem rechtsextremen Weltbild zugrunde liegende Ungleichwertigkeitsideologie, indem sie von »unwertem Leben« spricht. Doch auch dieser Aussage stimmt noch jeder Zehnte zu, wobei wiederum der Unterschied zwischen den Landesteilen ins Auge fällt: 9% der Westdeutschen, aber fast 15% der Ostdeutschen sind mit dieser Aussage einverstanden.

6. Verharmlosung des Nationalsozialismus

Grafik 6 schließlich bildet die Zustimmungswerte zur letzten Dimension »Verharmlosung des Nationalsozialismus« ab. Die drei geschichtsrevisio­nistischen Aussagen wenden sich gegen die offene Aufarbeitung der deutschen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus, die stattdessen he­runtergespielt und beschönigt werden. Fast jeder Zehnte stimmte 2018 der Aussage zu, dass Hitler – wenn man den Holocaust beiseiteließe – heute als »großer Staatsmann« gelten würde. Weitere 18% schätzten ihre Zustimmung zu dieser Aussage »teils/teils« ein. Jeweils gut 8% der Befragten fanden außerdem die Aussagen zustimmungswürdig, die Verbrechen der Nationalsozialisten würden stark übertrieben und der Nationalsozialismus habe auch »seine guten Seiten« gehabt. Bei zwei der drei Fragen zeigen sich zwar leicht erhöhte Werte im Osten der Bundesrepublik, sie sind jedoch statistisch nicht signifikant.

 

Grafik 6: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Verharmlosung des Nationalsozialismus« (in %)

Die Entwicklung der rechtsextremen Einstellungen in Deutschland von 2002 bis 2018

Wir wenden uns nun der Frage zu, wie sich der Anteil an Deutschen mit extrem-rechten Einstellungen seit 2002 entwickelt hat. Für die Darstellung der Zeitreihen blicken wir erneut auf die sechs Dimensionen und fassen die drei Items pro Dimension zusammen. Nur jene Befragten gehen in die Darstellung ein, die in der jeweiligen Dimension eine rechtsextreme Einstellung bekannt haben. Ermittelt werden sie durch die Berechnung ihrer Antworten: Wie bereits beschrieben, verläuft die Skala von 1 bis 5, bei drei Aussagen pro Dimension kann der Wert also zwischen 3 und 15 liegen.

Berücksichtigt wird hier nur, wer je Dimension einen Wert von 12 erreichte oder überschritt und damit den Aussagen im Durchschnitt mindestens überwiegend zustimmte (manifeste Zustimmung). Daraus ergeben sich teils niedrigere Zustimmungswerte als für die Einzelitems. Doch ist aus unserer Sicht dieser Wert geeignet, den Anteil an manifest-rechtsextremen Eingestellten mit geschlossener Einstellung je Dimension im Zeitvergleich abzubilden.

Grafik 7 zeigt den Verlauf der Zustimmung zur Dimension »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur«. Mit 3,6% manifesten Befürwortern im Jahr 2018 erfasst die diesjährige Studie einen relativ niedrigen Wert, besonders im Vergleich zu den Jahren 2002 und 2004. Jedoch ist die Zustimmung nur in den alten Bundesländern gesunken (2002: 6,5% vs. 2018: 2,7%), während für die neuen Bundesländer kein dauerhafter Rückgang ermittelt wurde (2002: 8,9% vs. 2018: 7,0%).

 

Grafik 7: Anteil der geschlossen manifesten Zustimmung zur Dimension »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur« 2002–2018 (in %)

In der Dimension  »Chauvinismus« (Grafik 8) war der starke Anstieg in Ostdeutschland 2008, 2010 und 2012 bemerkenswert, der 2014 von einem rapiden Rückgang abgelöst wurde. Anstieg und Abfall hatten wir 2014 mit der Finanz- und Weltwirtschaftskrise erklärt, die ähnliche Verläufe auch bei der »Ausländerfeindlichkeit« (Grafik 9) und beim »Antisemitismus« (Grafik 10) hervorbrachte.

Vor dem Hintergrund der umfassenden Transformationsprozesse der 1990er-Jahre fällt die Reaktion auf wirtschaftliche Krisen im Osten offenbar heftiger aus. 2014 schaffte die »ökonomische Insellage« Deutschlands eine vorübergehende Akzeptanz demokratischer Grundwerte in beiden Landesteilen (Decker et. al., 2014). Für die Jahre 2016 und 2018 ist ein Wiederanstieg auf das Niveau von 2002 zu beobachten sowie eine Angleichung zwischen Ost und West. Abgesehen von dem wichtigen, bereits benannten Ausreißer in der Mitte der Zeitreihe, scheint sich die Zustimmung in dieser Dimension langfristig im Bereich um die 20% zu bewegen.

 

Grafik 8: Anteil der geschlossen manifesten Zustimmung zur Dimension »Chauvinismus« 2002–2018 (in %)

Ähnlich verläuft die Kurve bei der Dimension »Ausländerfeindlichkeit« (Grafik 9). Auch hier sind der starke Anstieg in Ostdeutschland von 2008 bis 2012 sowie der anschließende Abfall bemerkenswert. Doch wie beim »Chauvinismus« war auch dieser Rückgang – so muss heute konstatiert werden – zeitlich begrenzt. Sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern (hier etwas schwächer ausgeprägt) ist die Ausländerfeindlichkeit wieder auf dem Ausgangsniveau und insgesamt mit 24,1% sehr hoch: Ein Viertel der Bevölkerung ist geschlossen ausländerfeindlich eingestellt. Positiv formuliert, liegt die Zustimmung trotz der allgegenwärtigen Krisenrhetorik und der überhitzten Debatte um die Zuwanderung nicht über früheren Werten. Negativ formuliert, scheint die Normalisierung interkulturellen Austausches nicht dazu zu führen, dass flächendeckend Vorurteile abgebaut werden. »Die Ausländer« bleiben ein gewohntes Feindbild.

 

Grafik 9: Anteil der geschlossen manifest ausländerfeindlich Eingestellten 2002–2018 (in %)

Wie aus Grafik 10 hervorgeht, sinkt im Zeitverlauf der Anteil der geschlossen antisemitisch Eingestellten (2002: 9,3% vs. 2018: 4,4%). Damit ist nicht gesagt, dass der Antisemitismus auch tatsächlich abgenommen habe. Da antisemitische Äußerungen einer hohen sozialen Ächtung unterliegen, ist das Dunkelfeld vermutlich größer. Hier sehen wir nur mit Sicherheit, dass diese Ächtung noch immer greift (vgl. zur manifesten und latenten antisemitischen Einstellung Kap. 5). Was den Ost-West-Vergleich betrifft, war der geschlossene Antisemitismus unter Westdeutschen von 2002 bis 2016 fast durchgängig verbreiteter als unter Ostdeutschen.

Allerdings war die Zustimmung im Osten im Zeitraum von 2008 bis 2012 stark angestiegen. Ab 2008 lagen die Werte in Ost und West nah beieinander, während der Zeit der Finanzmarkt- und anschließenden Weltwirtschaftskrise stieg der geschlossene Antisemitismus sogar deutlich über das westdeutsche Niveau. Nach der Angleichung 2014 und 2016 haben wir für den Osten in der aktuellen Erhebung mit 5,2% wieder etwas höhere Zustimmungswerte ermittelt als für den Westen (4,2%).

 

Grafik 10: Anteil der geschlossen manifesten Antisemiten 2002–2018 (in %)

Die Zustimmung zur Dimension »Sozialdarwinismus« ist relativ gering und tendenziell rückläufig (2002: 5,2% vs. 2018: 3,2%; Grafik 11). Während die Abnahme in den alten Bundesländern über die gesamte Zeitreihe hinweg langsam und kontinuierlich vonstatten ging, zeigt die Kurve in den neuen Bundesländern große Schwankungen. Auch insgesamt ist die Zustimmung zu sozialdarwinistischen Aussagen im Osten – mit der Ausnahme des Jahres 2008 – deutlich höher als im Westen, was auch auf die aktuelle Erhebungswelle zutrifft (West: 2,8% vs. Ost: 4,6%).

 

Grafik 11: Anteil der geschlossen manifesten Zustimmung zur Dimension »Sozialdarwinismus« 2002–2018 (in %)

Der Verlauf der Zustimmungsraten in der letzten Dimension »Verharmlosung des Nationalsozialismus« zeigt eine leicht rückläufige Tendenz, doch aktuell wieder einen Anstieg (von 2016: 2,1% auf 2018: 2,7%). Ähnlich wie beim Sozialdarwinismus fallen die Werte im Westen (bis 2016) relativ kontinuierlich ab, während die Kurve im Osten stark ausschlägt. Im Osten war die Zustimmung zunächst niedriger als im Westen, doch inzwischen haben sich die Landesteile angeglichen. 2018 liegen die in Ostdeutschland erhobenen Werte zum zweiten Mal (nach 2012) etwas über den westdeutschen (Grafik 12).

 

Grafik 12: Anteil der geschlossen manifesten Zustimmung zur Dimension »Verharmlosung des Nationalsozialismus« 2002–2018 (in %)

Ein weiterer Indexwert für die Stärke und Verbreitung der untersuchten Einstellungen ist der Anteil der Befragten mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild. Wir definieren jene Befragten, die über alle Dimensionen einen Wert von mindestens 63 erreichen, als Personen mit einem solchen Weltbild. Damit kommen sie bei den Einzelaussagen auf einen mittleren Wert von 3,5 und stimmen damit durchschnittlich allen 18 Aussagen des Fragebogens zu rechtsextremen Einstellungen zu. Als manifest bezeichnen wir diese Ausprägung, weil diese Befragten ausdrücklich zustimmen und die Möglichkeit ungenutzt lassen, eine ausweichende Antwort (»teils/teils«) zu wählen. Sie ist geschlossen, weil sie sich über alle sechs Dimensionen erstreckt.

 

Grafik 13: Anteil an Befragten mit geschlossen rechtsextremem Weltbild 2002–2018 (in %)

Der Anteil an Befragten mit manifester, geschlossen rechtsextremer Einstellung ist im Jahr 2018 mit 6% etwa auf dem Niveau der beiden vorangegangenen Wellen geblieben (2014: 5,7%, 2016: 5,4%; Grafik 13). Das ist bemerkenswert, denn im Gegensatz dazu ist die Anzahl politisch motivierter Straf- und Gewalttaten gegen Andersdenkende und Geflüchtete in den Jahren von 2014 bis 2016 (4) sprunghaft angestiegen: von 17.020 politisch motivierten Straftaten rechts im Jahr 2014 über 22.960 im Jahr 2015 auf 23.555 im Jahr 2016 (Bundesministerium des Innern, 2017, S. 3). Dass diese Zunahme auf der Handlungsebene nicht mit einem entsprechenden Zuwachs an rechtsextremen Personen einhergeht, begründeten wir in unserer vorigen Erhebung mit der Radikalisierung in den autoritären politischen Milieus (Decker & Brähler, 2016), die den Übergang von der Einstellung zur Handlung vollzogen.

Im Vergleich der beiden Landesteile fällt der Peak des Jahres 2012 in Ostdeutschland auf (15,8%), der sich aber schon in der darauffolgenden Erhebung nicht wiederholte (2014: 7,4%). Allerdings ist seither der Anteil der manifest Rechtsextremen in den neuen Bundesländern wieder auf 8,5% gestiegen, eine leichte Zunahme von 4,8% auf 5,4% ist auch im Westen festzustellen. Der Ost- und Westunterschied ist 2018 jedoch signifikant (p < .01).

Rechtsextreme Einstellungen und Soziodemografie

Im Folgenden blicken wir auf die Verteilung der rechtsextrem Eingestellten nach ausgewählten soziodemografischen Merkmalen. Wir dokumentieren sie als Hinweis auf die Verbreitung antidemokratischer Einstellungen in den Bevölkerungsgruppen, nicht aber als ihre Ursache. So ist zum Beispiel das Geschlecht für sich genommen kein Einflussfaktor, auch wenn rechtsextreme Einstellungen bei Männern häufiger sind.

Wenn unter den Tabellen signifikante Unterschiede angegeben sind, wurden diese mit Pearsons Chi-Quadrat-Test berechnet, die Signifikanz­niveaus entsprechen den angegebenen Werten. Keine Signifikanztests wurden durchgeführt, wenn die Anzahl der Zellen zu groß war oder diese zum Teil nicht gefüllt waren (vgl. z.B. Tab. 8). In diesen Fällen lassen sich die gefundenen Signifikanzwerte nicht sinnvoll zuordnen oder interpretieren, da Unterschiede zwischen allen Zellen getestet werden. Die Angaben unter den Tabellen beziehen sich auf diese Chi-Quadrat-Tests.

West- und Ostdeutschland

Beginnen wir mit dem Wohnort der Befragten in den neuen oder alten Bundesländern (Tab. 4). Für einige der Dimensionen zeigen sich deutliche Differenzen: Vor allem die Ausländerfeindlichkeit, die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur und der Sozialdarwinismus sind in Ostdeutschland stärker verankert.

 

Tabelle 4: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellungen je Dimension in West- und Ostdeutschland (in %)

Umgekehrt heißt das aber nicht, dass alle Westdeutschen demokratisch eingestellt wären. Vielmehr ist der Unterschied zwischen den Landesteilen ein gradueller, und der Anteil an Personen, die auch im Westen zum Beispiel chauvinistischen und ausländerfeindlichen Aussagen zustimmen, ist keineswegs gering (Tab. 4).

Bildungsgrad

Der Zusammenhang von Bildungsgrad und rechtsextremen Einstellungen ist wohl am eindrücklichsten (Tab. 5). Menschen, die als höchsten Abschluss mindestens das Abitur angeben, sind (bis auf den Sozialdarwinismus) über alle Dimensionen hinweg signifikant seltener rechtsextrem eingestellt als jene ohne Abitur. Damit verbindet sich die Hoffnung, ein höheres Bildungsniveau und die Aufklärung über Geschichte und Gesellschaft könne geeignet sein, menschenfeindliche Einstellungen abzubauen.

 

Tabelle 5: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellungen je Dimension und Bildungsgrad (in %)

Zu bedenken ist allerdings, dass mit dem höheren Bildungsabschluss auch ein größeres Wissen um sozial erwünschte Aussagen erworben wird (Rippl, 2002; Heyder, 2003; für Antisemitismus Beyer & Krumpal, 2010): Personen mit Abitur offenbaren demnach seltener rechtsextreme Einstellungen als Personen ohne Abitur – auch in anonymisierten Befragungen. Dies in Rechnung gestellt, ist der Effekt der Bildung womöglich schwächer.

Männer und Frauen

Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern (Tab. 6) haben sich 2018 im Vergleich zu früheren Erhebungswellen vertieft. Männer erreichen über alle Dimensionen höhere Werte als Frauen.

 

Tabelle 6: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellung je Dimension bei Männern und Frauen (in %)

Alter

Da wir bereits im Jahr 2013 auf die unterschiedliche Altersstruktur der rechtsextrem Eingestellten in Ost- und Westdeutschland aufmerksam gemacht haben, interessiert uns auch in diesem Jahr diese Verteilung besonders (Decker et al., 2013, S. 104f.). Aufschlussreich ist die Betrachtung der rechtsextremen Einstellungen im Vergleich der Generationen, besonders wenn man den Ost-West-Unterschied miteinbezieht (Tab. 7).

Bei der ersten Dimension »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur« steigt die Zustimmung im Osten mit dem Alter, während es im Westen umgekehrt ist. Bei der Dimension »Chauvinismus« hingegen macht Ost oder West keinen Unterschied: Hier wie dort sind es die älteren Jahrgänge, die chauvinistischer eingestellt sind, während die Jüngeren dem Nationalismus vergleichsweise ablehnend gegenüberstehen. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim »Antisemitismus«. Bei der »Ausländerfeindlichkeit« – der Dimension mit den höchsten Werten – ist unter den jüngeren Westdeutschen der Anteil mit 15,8% am niedrigsten, während ihr Anteil mit dem Alter steigt (bei Westdeutschen, die mindestens 61 Jahre alt sind, auf 26,8).

In der Dimension »Sozialdarwinismus« ist es allein diese Gruppe, die mit erhöhten Werten hervorsticht (6,3%). In der Dimension »Verharmlosung des Nationalsozialismus« sind die jüngsten Ostdeutschen am wenigsten zustimmungsbereit, während ihre Altersgenossen im Westen relativ hohe Werte erreichen.

Tabelle 7: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellungen je Dimension in Abhängigkeit vom Alter (in %)

Erwerbsgruppen

Tabelle 8 schlüsselt auf, wie sich die rechtsextremen Einstellungen auf die unterschiedlichen Erwerbsgruppen verteilen. Arbeitslose stimmten den vorgelegten Aussagen am häufigsten zu, in den Dimensionen »Ausländerfeindlichkeit«, »Chauvinismus« und »Antisemitismus« allerdings dicht gefolgt von den Ruheständlern. Bei beiden Gruppen sind starke Überschneidungen mit den Faktoren Bildung und Alter zu erwarten. Für die Befragten, die sich noch in Ausbildung befinden, gelten diese Überschneidungen ebenfalls, aber umgekehrt. Unter ihnen ist der Anteil der rechtsextrem Eingestellten in allen Dimensionen am niedrigsten. Die größte Gruppe, die der Erwerbstätigen, weist mittlere Werte auf. Hausfrauen und -männer zeigen sich einerseits vergleichsweise selten manifest chauvinistisch, andererseits ausländerfeindlicher und antisemitischer als die Vergleichsgruppen.

 

Tabelle 8: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellungen je Dimension nach Erwerbsgruppen (in %)

Parteienwähler/innen

Von besonders großer gesellschaftspolitischer Relevanz ist die Frage, wie sich die rechtsextremen Einstellungen auf die Wählerinnen und Wähler der Parteien verteilen (Tab. 9). Daher wurden die Befragten gebeten anzugeben, ob sie zur Wahl gehen würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, und wenn ja, für welche Partei sie stimmen würden. Obwohl wir hier die »Sonntagsfrage« einsetzten, stellen wir keine Wahlprognose (da wir beispielsweise mit den unter 18-Jähringen auch Personen befragt haben, die noch nicht wahlberechtigt sind). Vielmehr wollen wir den Zusammenhang zwischen politischen Einstellungen und Parteipräferenz überprüfen.

Zunächst fällt auf, dass sich der Anteil an manifest-rechtsextrem eingestellten Anhängerinnen und Anhängern von SPD und CDU/CSU kaum unterscheidet. Unter diesen Wählern, wie auch bei denen der FDP, ist vor allem die Ausländerfeindlichkeit relativ hoch, die sich jeweils um die 20% bewegt. Die FPD hat darüber hinaus eine vergleichsweise große Anhängerschaft (6,5%) mit sozialdarwinistischen Ansichten. Überraschend ist der Anteil an Wählerinnen und Wählern der Linken, die geschichtsrevisio­nistischen Aussagen zustimmen. Die Anhängerschaft der Grünen weist die geringsten Werte auf, wenngleich auch sie bestimmte rechtsextreme Aussagen nicht durchgehend ablehnt (Chauvinismus: 11,6%, Ausländerfeindlichkeit: 11,0%).

Die Wählerinnen und Wähler der AfD unterscheiden sich dagegen eklatant von denen der übrigen Parteienlandschaft. Wie schon in unserer Erhebung 2016 (Decker et al., 2016b, bes. S. 74–77) sind ihre Werte auch 2018 in sämtlichen Dimensionen mit deutlichem Abstand am höchsten. Damit bestätigt sich nochmals ein Befund, den auch andere jüngst erschienene Studien nachgewiesen haben: Wer die AfD wählt, unterscheidet sich nicht in erster Linie durch soziodemografische Merkmale wie Wohnort oder Einkommen von den Wählerinnen und Wählern anderer Parteien, sondern vor allem in den politischen – und das heißt sehr häufig ausländerfeindlichen und antidemokratischen – Einstellungen (vgl. Kap. 1; siehe vor allem Schröder, 2018; aber auch Eversberg, 2017; Lengfeld, 2017).

 

Tabelle 9: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellungen je Dimension unter den Parteiwählerinnen und -wählern (in %)

Was wählen Rechtsextreme?

Tabelle 10 zeigt, wie die Befragten, bei denen wir von einem geschlossen rechtsextremen Weltbild ausgehen, die »Sonntagsfrage« beantworten. Die Grundlage der Berechnung bilden also diesmal nur jene Befragten, die den Wert (≥ 63) für den gesamten Fragebogen zu rechtsextremen Einstellungen überschritten, insgesamt 138 Personen. Von diesen gaben 73,2% an, zur Wahl gehen zu wollen. Ein Drittel würde für die AfD stimmen. Der CDU/CSU würden knapp 20%, der SPD knapp 10% ihre Stimme geben.

Zum Vergleich: 2014 hatte noch jeweils ein Viertel von ihnen angegeben, diese beiden Parteien zu wählen. Insofern bestätigt sich eine Beobachtung aus der vorangegangenen Erhebung: Wählerinnen und Wähler mit manifestem, geschlossen rechtsextremem Weltbild haben in der AfD eine politische Ausdrucksform gefunden. Während sich ältere rechtsextreme Parteien wie die NPD im politischen Spektrum nicht durchsetzen konnten, ist es der AfD gelungen, das schon lange vorhandene – und von uns seit 2002 nachgewiesene – Potenzial für sich mobilisieren.

Unsere Zahlen zeigen zudem, dass die (beabsichtigte) Wahlbeteiligung der Personen mit geschlossen rechtsextremem Weltbild etwa der (realen) Beteiligung der Gesamtbevölkerung entspricht. Das widerlegt die Ansicht, dass Rechtsextreme in dieser Hinsicht politisch ausgeschlossen sind. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass bei Wahlen vielmehr eine soziale Exklusion greift: Es sind die Menschen aus den unteren sozialen Schichten, die seltener von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen (Schäfer, 2013, 2014). Nicht Rechtsextreme, sondern sozial Benachteiligte sind politisch marginalisiert.

 

Tabelle 10: Was wählen Rechtsextreme (in %)?

Kirchenzugehörigkeit 

Tabelle 11 zeigt die Zusammenhänge zwischen dem soziodemografischen Merkmal der Kirchenzugehörigkeit mit den Dimensionen rechtsextremer Einstellungen. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen Angehörigen der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche und Personen ohne Kirchenzugehörigkeit gering. In einigen Dimensionen finden sich unter den Konfessionslosen häufiger manifest-rechtsextrem Eingestellte – so bei der »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur«, beim »Antisemitismus« und bei der »Verharmlosung des Nationalsozialismus«.

In anderen Dimensionen sind es dagegen die konfessionell Gebundenen, die häufiger zustimmen; so sind zum Beispiel »Chauvinismus« und »Ausländerfeindlichkeit« unter den Katholiken am stärksten ausgeprägt. Die Unterschiede sind bis auf eine Ausnahme (»Verharmlosung des Nationalsozialismus«) statistisch nicht signifikant, sodass davon auszugehen ist, dass rechtsex­treme Einstellungen unter Kirchenmitgliedern etwa die Verteilung in der Gesamtgesellschaft widerspiegeln.

 

Tabelle 11: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellungen je Dimension und Kirchenzugehörigkeit (in %)
Tabelle 11: Geschlossen manifest-rechtsextreme Einstellungen je Dimension und Kirchenzugehörigkeit (in %)

Demokratie, Pluralität und Egalität, Muslimfeindschaft, Antiziganismus und die Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern

Neben rechtsextremen Einstellungen erfassen wir seit 2006 auch die Akzeptanz der Demokratie in der Bevölkerung. Gefragt wurde nach der Zustimmung zur »Demokratie als Idee«, zur Verfassungsnorm (»Demokratie, wie sie in der Verfassung festgelegt ist«) und zur Verfassungsrealität (»Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik funktioniert«).

Akzeptanz der Demokratie

Insgesamt äußerte die Mehrheit der Befragten Zufriedenheit mit der Demokratie (Grafiken 14, 15 und 16). Es zeigt sich aber auch, dass die Zustimmung umso höher ausfällt, je abstrakter die Demokratie gefasst wird. So findet »Demokratie als Idee« die höchste Zustimmung in der Bevölkerung: Insgesamt 93,3% der Befragten sprechen sich für die Demokratie im Vergleich zu anderen Staatsformen aus (Grafik 14). In den neuen Bundesländern ist die Zustimmung zur »Demokratie als Idee« seit 2016 weiter angestiegen und fällt mit 95,2% höher aus als in Gesamtdeutschland. Für Westdeutschland ist ein leichter Rückgang auf insgesamt hohem Niveau zu beobachten. Allerdings handelt es sich hier um eine abstrakte Norm (darauf stellt auch die Formulierung »Idee« ab), die sehr unterschiedliche Vorstellungen beinhalten kann.

 

Grafik 14: Zustimmung zur »Demokratie als Idee« 2006–2018 (in %)

Die konkretere Frage nach der Zufriedenheit mit der Form der Demokratie, wie sie in der deutschen Verfassung verankert ist, beantworteten 2018 76,4% der Befragten positiv, also ein deutlich geringerer Anteil als oben (Grafik 15). Über die gesamte Zeitreihe sind die Veränderungen in den alten Bundesländern nur geringfügig, in den neuen ist die Zufriedenheit seit 2010 langsam angestiegen (von 2010: 55,3% bis 2018: 76,5%). Auch im Vergleich zu 2016 stieg der Anteil der Zufriedenen im Osten signifikant und liegt nun sogar über dem gesamtdeutschen Niveau.

 

Grafik 15: Zustimmung zur »Demokratie, wie sie in der Verfassung festgelegt ist« 2006–2018 (in %). Signifikanter Anstieg in Ostdeutschland zwischen 2016 und 2018

Die »Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert«, gefällt hingegen nur 53,2% der Befragten (Grafik 16) – der niedrigste Wert unter den drei Items zur Demokratie. In den neuen Bundesländern setzt sich der langfristige Anstieg der vergangenen Jahre fort, obgleich die Zustimmungsraten in den alten Bundesländern auch 2018 deutlich höher bleiben (Ost: 46,9% vs. West: 54,9%).
Vergleicht man die Zustimmungswerte zur Demokratie über die Items hinweg, wird dreierlei deutlich. Erstens trifft die Idee der Demokratie auf breite Zustimmung und scheint weiterhin als normatives Ideal zu gelten. Zweitens ist auch 2018 nur die Hälfte der Befragten mit der konkreten Umsetzung der Demokratie zufrieden, die andere Hälfte nicht. Drittens hat die Zustimmung zur Demokratie nur in den neuen Bundesländern kontinuierlich zugenommen.

 

Grafik 16: Zustimmung zur »Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert« 2006–2018 (in %). Signifikante Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland 2018

Politische Deprivation

Die deutlichen Unterschiede zwischen der Bewertung der Idee der Demokratie, der Verfassungsnorm und zu guter Letzt der Verfassungsrealität zeigen ein Problem für die repräsentative Demokratie an. Das Gefühl, selbst Einfluss auf die Politik nehmen zu können, also die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft mit Leben füllen zu können, ist gering ausgeprägt (Tab. 12). Die Erfahrung, von diesem relevanten Lebensbereich ausgeschlossen zu werden, wird als politische Deprivation bezeichnet. Obwohl die Verfassung wie auch das demokratische Gemeinwesen zahlreiche Mitgestaltungsmöglichkeiten bieten, ist die politische Deprivation in Deutschland sehr ausgeprägt. In Ostdeutschland ist sie noch einmal deutlich häufiger anzutreffen als in Westdeutschland.

 

Tabelle 12: Politische Deprivation (in %)

Gleichheits- und Pluralitätsnormen

Da mit dem Wort »Demokratie« sehr unterschiedliche Vorstellungen verbunden sein können, haben wir einen weiterführenden Fragebogen entwickelt, den wir in dieser Erhebung erstmals eingesetzt haben und dessen Gegenstand die Identifikation mit (konkreteren) Egalitäts- und Pluralitätsnormen ist. Die Befragten wurden gebeten, fünf Aussagen (Tab. 13) auf einer fünfstufigen Skala zu bewerten (von 1 »trifft überhaupt nicht zu« bis 5 »trifft voll und ganz zu«).

 

Tabelle 13: Bewertung von Aussagen zu Gleichheits- und Pluralitätsnormen (in %)

Jene Aussagen, die auf die gleichen Rechte und Möglichkeiten aller in der Gesellschaft zielen, werden von einer klaren Mehrheit befürwortet (Aussage 1: 80,9%, Aussage 4: 76,5%). Diesem Befund steht allerdings gegenüber, dass die Forderung, bestimmte Gruppen davon auszunehmen, ebenfalls von einer Mehrheit unterstützt wird. So stimmte mit 53,7% über die Hälfte der Befragten Aussage 2 zu: »Manche Gruppen sollten sich nicht wundern, dass der Staat ihre Rechte einschränkt«. Diesen Widerspruch deuten wir so, dass die Befragten die Forderung nach Freiheitsrechten für jede und jeden wohl auf die eigene Person und Gruppe beziehen, während sie bei der Verweigerung dieser Rechte an andere denken. Fassen wir die Aussagen 1 und 4 als Egalitätsnormen und die Aussagen 2, 3 und 5 als Anti-Pluralitätsnormen (5) zusammen, ergibt sich folgende Verteilung (Tab. 14).

 

Tabelle 14: Unterstützung von Gleichheitsgrundsätzen und Ablehnung von Pluralität in der Gesellschaft (in %)

Die Prozentsätze in Tabelle 13 geben den Anteil derer an, die den Aussagen jeweils durchschnittlich zustimmen (Egalität > 6; Anti-Pluralität > 9). Dabei ergibt sich das gleiche Bild wie auf Itemebene: Zwar möchte die Mehrheit der Befragten universelle Freiheitsrechte gewahrt sehen, würde es aber dennoch begrüßen, wenn sie nicht für alle Menschen Gültigkeit hätten. Im Osten ist die Zustimmung sowohl zu den egalitären als auch zu den anti-pluralen Forderungen geringfügig höher als im Westen, wo die Zustimmung zu letzteren die Mehrheit knapp verfehlt (47,7%). Damit bestätigt sich noch einmal: Eigene Freiheitsrechte werden gern beansprucht, bei den Rechten von Menschen, die man als Angehörige einer anderen Gruppe wahrnimmt, hört die Akzeptanz dieser Freiheit aber für die Hälfte der Befragten auf.

Diese Erklärung lässt sich untermauern, indem man die Einstellungen der deutschen Bevölkerung gegenüber jenen Gruppen untersucht, die als anders oder fremd wahrgenommen werden. Seit 2014 erheben wir zusätzlich zum Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung - Leipziger Form (FR-LF) die Ressentiments gegenüber bestimmten als homogen imaginierten Gruppen (z.B. Homosexuellen, Sinti und Roma, Muslima und Muslimen).

Dafür nutzen wir Teile des Fragebogens der Studienreihe Deutsche Zustände, der von 2001 bis 2011 um die Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer und Andreas Zick eingesetzt worden ist (Heitmeyer, 2012).

Muslimfeindschaft, Antiziganismus und Abwertung von Asylbewerbern

Mit der Erfassung von Muslimfeindschaft, Antiziganismus und der Abwertung von Asylbewerbern haben wir in diesem Jahr den Fokus auf jene Gruppen gelegt, die momentan in besonderem Maß von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit betroffen sind (siehe Decker et al., 2016a). Die Aussagen zu den jeweiligen Gruppen, die den Befragten vorgelegt wurden, waren auf einer vierstufigen Skala zu bewerten (hier von 1 »stimme voll und ganz zu« bis 4 »stimme überhaupt nicht zu«). Die Antwortkategorien 1 und 2 werden in den Grafiken 17 bis 23 als Zustimmung zusammengefasst.

Muslimfeindschaft

Die Ergebnisse zeigen, dass die Muslimfeindschaft weiter zugenommen hat. Inzwischen bestätigen 44,1% der Befragten die Aussage, »Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden« (Grafik 17). In den neuen Bundesländern findet diese Ansicht mit 50,7% sogar eine Mehrheit. Der Anteil derer, die sich »durch die vielen Muslime [...] wie ein Fremder im eigenen Land« fühlen, ist 2018 auf 55,8% angestiegen (Grafik 18).

 

Grafik 17: Muslimfeindschaft: »Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden« 2014–2018 (in %). Signifikanter Anstieg in Westdeutschland

Diese Befunde erscheinen zunächst paradox: Einerseits ist die Einwanderung nach dem Peak 2015 drastisch zurückgegangen, andererseits wird die Zuwanderung von Muslima und Muslimen unvermindert als relevante gesellschaftliche Veränderung erlebt. Unter dem Blickwinkel des autoritären Syndroms löst sich dieses Paradox allerdings auf, denn die Abwertung »der Muslime« wird damit weniger als Reaktion auf die (zumindest imaginierte) Bedrohung durch eine Fremdgruppe verständlich, sondern als Möglichkeit, Aggression auszudrücken. Die Abwertung von Muslimen ist dezidiert antidemokratisch, da sie gegen die Norm der Gleichwertigkeit aller Menschen und die Religionsfreiheit verstößt.

 

Grafik 18: Muslimfeindschaft: »Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land« 2014–2018 (in %). Signifikanter Anstieg zwischen 2016 und 2018 in Gesamt- und in Westdeutschland

Antiziganismus

Auch die Ablehnung von Sinti und Roma ist weiterhin gesellschaftliche Realität. 56% der Befragten hätten Probleme mit Sinti und Roma in ihrer Gegend (Grafik 19). In den neuen Bundesländern fällt die Zustimmung zu dieser Aussage mit 60,3% besonders hoch aus. Bundesweit ist fast jeder zweite Befragte (49,2%) der Meinung, »Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden« (Grafik 20). Auch ist der Anteil der Befragten nochmals leicht gestiegen (auf nun 60,4 %), die überzeugt sind, Sinti und Roma neigten zur Kriminalität (Grafik 21). In Ostdeutschland sind sogar 69,2% der Befragten dieser Ansicht.

 

Grafik 19: Antiziganismus: »Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten« 2014–2018 (in %)
​Grafik 20: Antiziganismus: »Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden« 2014–2018 (in %). Signifikanter Anstieg in Ostdeutschland
Grafik 21: Antiziganismus: »Sinti und Roma neigen zur Kriminalität« 2014–2018 (in %). Signifikanter Anstieg in Ostdeutschland

Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern

Die Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern hat 2018 zugenommen. 79,1% der Befragten lehnen Großzügigkeit bei der Prüfung von Asylanträgen ab (Grafik 22). Zudem können oder wollen 61,5% der Befragten weiterhin nicht an die Berechtigung von Asylanträgen glauben und schließen sich der Ansicht an: »Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden« (Grafik 23). Auch diese Aussagen ziehen demokratische Werte und Normen in Zweifel, diesmal das Recht auf Asyl, das nach dem Zweiten Weltkrieg und gerade wegen der nationalsozialistischen Verbrechen im Grundgesetz verankert wurde. Diejenigen, die der nationalsozialistischen Verfolgung entgingen, überlebten nur, wenn sie in anderen Ländern Aufnahme fanden.

 

Grafik 22: Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern: »Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein« 2014–2018 (in %). Signifikanter Anstieg in Ostdeutschland
​Grafik 23: Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern: »Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden« 2014–2018 (in %)

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gruppen, die wir hier in den Fokus gestellt haben, von großer Abwertung betroffen sind. Die Vorbehalte gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber sind am stärksten, gefolgt von denen gegen Sinti und Roma und schließlich Muslima und Muslimen, die jedoch auch noch die Meinung der Hälfte der Bevölkerung gegen sich haben.

Im Hintergrund steht einerseits, dass die abgewerteten Gruppen als kulturelle, sicherheitspolitische oder ökonomische Bedrohung imaginiert werden; andererseits die Gelegenheit, diese Gruppen als Blitzableiter fungieren zu lassen, durch den – eigene und aus anderen Ursachen erwachsene – Aggressionen kanalisiert werden. Während die Abwertungsbereitschaft gegenüber Migrantinnen und Migranten (siehe Grafik 3) von vielen Befragten nur latent geäußert wurde (ein Drittel antwortete mit »teils/teils«), bricht sie sich gegenüber den konkreten, als schwächer imaginierten Gruppen offen Bahn. Zu diesen eindeutigen Befunden hat sicherlich auch die vierstufige Skalierung beigetragen, die zur Positionierung zwingt.

Außerdem wird in der Abwertung dieser Gruppen das antidemokratische Moment solcher Einstellungen noch einmal besonders deutlich, da die demokratischen Normen offenbar als Privileg der Eigengruppe in Anspruch genommen werden, das man anderen Gruppen vorenthalten möchte.

Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft

In der aktuellen Erhebung ermittelten wir zum dritten Mal, wie zuvor schon 2006 und 2016, das Verhältnis der Befragten zur Gewalt als Mittel der Interessendurchsetzung. Der eingesetzte Fragebogen differenziert zwischen der Verhaltensintension, also der Bereitschaft, selbst Gewalt anzuwenden, und der Akzeptanz von Gewalt, wenn sie von anderen verübt wird (Ulbrich-Herrmann, 1995). In unserer letzten Veröffentlichung hatten wir für die Dekade von 2006 bis 2016 gezeigt, dass zwar nicht die rechtsextreme Einstellung, aber die Gewaltbereitschaft und -akzeptanz in der Bevölkerung angestiegen waren. Diese Beobachtung galt insbesondere für die extrem-rechten Milieus, die sich radikalisierten und den Einsatz von Gewalt für die eigenen Interessen zunehmend als legitim erachteten (Decker et al., 2016a).

Wie sich die Einstellung zur Gewalt über die drei Erhebungszeitpunkte entwickelt hat, bilden die Grafiken 24 und 25 ab. 2018 gab etwa jeder sechste der Befragten an (13,9%), bereit zu sein, selbst körperliche Gewalt anzuwenden, um eigene Interessen durchzusetzen (Grafik 24).

Die Akzeptanz von Gewalt durch andere ist ebenfalls bundesweit nur schwach zurückgegangen. Bezogen auf die gesamte Bundesrepublik ist im Vergleich zu 2016 zwar nur dieser schwache Rückgang zu verzeichnen, aber er setzt sich aus gegenläufigen Entwicklungen in den Landesteilen zusammen: Im Osten sinkt die Akzeptanz der Gewalt durch andere deutlich (2016: 31,2% vs. 2018: 19,0%), im Westen steigt sie leicht an (2016: 21,6% vs. 2018: 22,2%; Grafik 25).

 

Grafik 24: Gewaltbereitschaft: »Ich bin in bestimmten Situationen durchaus bereit, auch körperliche Gewalt anzuwenden, um meine Interessen durchzusetzen« 2006, 2016 und 2018 (in %). Signifikanter Rückgang in Gesamt- und in Westdeutschland
Grafik 25: Gewaltakzeptanz: »Selber würde ich nie Gewalt anwenden. Aber es ist schon gut, dass es Leute gibt, die mal ihre Fäuste sprechen lassen, wenn’s anders nicht mehr weitergeht« 2006, 2016 und 2018 (in %). Signifikanter Rückgang zwischen 2016 und 2018 in Ostdeutschland

Zusammenfassung und Diskussion

Seit 2002 dokumentieren wir im Zweijahresrhythmus Diktaturbefürwortung, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und NS-Verharmlosung als Bestandteile des rechtsextremen Einstellungsmusters. 2018 untersuchten wir zum neunten Mal in einer repräsentativen Erhebung die rechtsextremen und politischen Einstellungen der deutschen Bevölkerung. Insgesamt wurden 2.516 Menschen in ihren Haushalten im gesamten Bundesgebiet von geschulten Interviewerinnen und Interviewern befragt. 2.416 Fragebögen gingen in die Auswertung ein.

Zum Abschluss sollen hier die zentralen Befunde noch einmal zusammengefasst und diskutiert werden, während die vertiefenden Analysen in den nächsten Kapiteln folgen (Kap. 3, 4 und 5). Die Zusammenschau folgt dem Kapitelaufbau, beginnt also mit den aktuellen Ergebnissen, an die sich der Langzeitverlauf anschließt.

Rechtsextreme Einstellungen 2018:

  • Diktaturbefürwortung: 11,0% der Befragten wünschen sich einen »Führer«, 19,4% eine »einzige starke Partei«, und jeweils weitere 24,0% sind diesen Optionen nicht ganz abgeneigt (»teils/teils«).
  • Chauvinismus: 36,3% der Befragten fordern offen ein »starkes Nationalgefühl«, 33,7% ein »hartes Durchsetzen deutscher Interessen« und 24,8% »Macht und Geltung« für Deutschland. Der Anteil an »teils/teils«-Antworten beträgt jeweils etwa ein Drittel.
  • Die Ausländerfeindlichkeit bleibt die am weitesten verbreitete antidemokratische Einstellung in der Bundesrepublik. Dass Migrantinnen und Migranten den »Sozialstaat ausnutzen«, glauben 35,7% der Befragten, unter den Ostdeutschen sogar 47,1%; aber auch eine »Überfremdung« wird von 35,6% (im Osten von 44,6%) befürchtet. Die zusätzliche latente Zustimmung ist auch in dieser Dimension hoch, da sich jeweils zwischen 26% und 30% nur zu »teils/teils«-Antworten entschließen können.
  • Der Antisemitismus ist in Deutschland das Ressentiment mit besonders starker Kommunikationslatenz. Dennoch stimmen den vorgelegten antisemitischen Aussagen jeweils um die 10% der Befragten offen zu. Einen Hinweis auf das Dunkelfeld geben wieder die »teils/teils«-Antworten, die bundesweit etwa 20% aller Antworten ausmachen, in den neuen Bundesländern sogar teilweise etwa 30%.
  • Bei den Dimensionen »Sozialdarwinismus« und »Verharmlosung des Nationalsozialismus« bewegt sich der Anteil der manifesten Zustimmung zwischen 8,1% und 11,3%. Doch auch hier ist die Latenz auffallend: Zusätzlich sind jeweils um die 20% teilweise mit diesen Aussagen einverstanden.
  • In den alten Bundesländern ist sowohl die latente als auch die manifeste Zustimmung zu den vorgelegten rechtsextremen Aussagen fast durchgehend geringer als in den neuen Bundesländern.

Rechtsextreme Einstellungen im Langzeitverlauf:

  • Der Anteil an Befragten mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild liegt 2018 bei 6,0% (Ost: 8,5%, West: 5,4%). Über die gesamte Zeitreihe ist damit ein langsamer Rückgang zu verzeichnen, denn zu Beginn der Erhebungen im Jahr 2002 waren es noch 9,7% (Ost; 8,1%, West: 11,3%). Bis 2008 war der Anteil an Personen mit einem solchen Weltbild in den alten Bundesländern höher, seitdem hat sich das Verhältnis umgekehrt. Zudem variieren die Zahlen in den neuen Bundesländern zwischen den Erhebungszeitpunkten erheblich.
  • Nach wie vor erfahren rechtsextreme Aussagen große Zustimmung. Am deutlichsten wird dies in der Dimension »Ausländerfeindlichkeit«, die trotz einiger Schwankungen heute wieder das Niveau von 2002 erreicht hat. Zwischen der letzten und der aktuellen Erhebungswelle ist die geschlossene Ausländerfeindlichkeit angestiegen (2016: 20,4% vs. 2018: 24,1%). Der Zuwachs fällt in den neuen Bundesländern drastischer aus (2016: 22,7% vs. 2018: 30,9%).
  • Eine ähnliche Entwicklung sehen wir bei der Eigengruppenaufwertung. Stimmten zu Beginn der Untersuchungsreihe im Jahr 2002 18,3% der Befragten chauvinistischen Aussagen manifest zu, waren es 2018 19,0%, sodass auch hier die Zustimmungswerte auf hohem Niveau stagnieren, und zwar in den alten und neuen Bundesländern gleichermaßen. Parallel zur Dimension »Ausländerfeindlichkeit« haben die Werte zwischen 2016 und 2018 wieder leicht angezogen (von 16,7% auf 19,0%).
  • Was die Anzahl der geschlossenen Antisemiten betrifft, zeigt der Verlauf der Zeitreihe zwar ein optimistischeres Bild (2002: 9,3% vs. 2018: 4,4%), doch ist Vorsicht geboten (vgl. die Ergebnisdarstellung zum latenten Antisemitismus oben; siehe auch Kap. 5).
  • Die Aussagen zur Verharmlosung des Nationalsozialismus befürworteten 2018 wieder mehr Befragte als zuletzt (2016: 2,1% vs. 2018: 2,7%). Insgesamt ist dieser Wert seit 2002 (4,1%) leicht gesunken. Auch hier sollte die Bedrohung für die Demokratie nicht relativiert werden.
  • Die Zustimmungswerte zu den Dimensionen »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur« und »Sozialdarwinismus« fallen im Langzeitverlauf leicht ab und sinken auch zwischen 2016 und 2018 weiter. Im ersten Fall von zunächst 7,7% im Jahr 2002 auf heute 3,6%, im zweiten von zunächst 5,2% auf heute 3,2%.

Einstellung zur Demokratie:

  • Die »Demokratie als Idee« steht in der Bundesrepublik in hohem Ansehen (93,3%). Im Osten ist die Zustimmung seit 2016 weiter gestiegen und 2018 mit 95,2% sogar höher als im Westen (92,8%).
  • Ebenso bekennen sich weite Teile der Bevölkerung zur verfassungsmäßigen demokratischen Ordnung (76,5%). Wieder ist der Anteil an Ostdeutschen (79,9%) höher als der an Westdeutschen (75,6%).
  • Lediglich mit der real erfahrenen Demokratie sind nur etwa die Hälfte der Befragten zufrieden (53,2%). Hier ist die Zustimmung in den alten Bundesländern mit 54,9% größer als in den neuen (46,9%).
  • Trotz eines Anstiegs der Zufriedenheit mit der demokratischen Praxis in Ostdeutschland ist die politische Deprivation ein deutliches Warnsignal für die repräsentative Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger erleben diese nicht als etwas, was sie mitgestalten können. Diese subjektive Wahrnehmung sagt nichts über die Versuche oder tatsächliche Gestaltungsmöglichkeiten aus, aber kennzeichnet eine große Distanz zu den Institutionen der demokratischen Vermittlung.
  • Betrachtet man das Einverständnis mit konkreten Forderungen demokratischen Inhalts, zeigt sich jedoch, dass unter Demokratie sehr Unterschiedliches und Widersprüchliches verstanden wird. Die Forderung nach gleichen Rechten für alle wird zwar von den wenigsten infrage gestellt, aber wenn diese Rechte auch für andere gelten sollen, überwiegen anti-plurale Einstellungen: Für nur 47,3% der Deutschen besitzen die Freiheitsrechte gleichermaßen und voraussetzungslos für alle Gruppen Gültigkeit.
  • Demokratische Grundsätze werden also umso mehr begrüßt, je abstrakter sie sind: Die Idee und verfassungsmäßige Gestaltung der Demokratie genauso wie die individuellen Freiheitsrechte erfahren große Zustimmung. Wird es jedoch konkret, kommen viele der Befragten zu einer anderen Bewertung, sind mit der erfahrenen Demokratie unzufrieden und hegen anti-plurale Einstellungen. Kurz: An der Idee der Demokratie und der demokratischen Verfassung werden die Freiheitsrechte geschätzt, die sie den Befragten selbst garantieren. In der Realität der Demokratie sind diese Freiheitsrechte aber Stein des Anstoßes, wenn sie anderen zugutekommen, und werden von einer Mehrheit abgelehnt.

Muslimfeindschaft, Antiziganismus, Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern:

  • Die Muslimfeindschaft ist weiter gestiegen. Der Forderung, Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen, stimmen 44,1% der Befragten zu. In den neuen Bundesländern liegt dieser Wert mit 50,7% noch einmal deutlich höher als in den alten (42,2%). Die Aussage, man fühle sich wegen der vielen Muslime »wie ein Fremder im eigenen Land«, bewerteten sogar 55,8% als zutreffend (54,8% im Osten, 56,1% im Westen). Bei beiden Items ist der Anteil der Befragten mit antimuslimischem Ressentiment seit 2014 um die 10 Prozentpunkte gewachsen.
  • Sinti und Roma ziehen noch mehr Aggressionen auf sich als Muslime. 56,0% der Befragten hätten Probleme mit Sinti und Roma in ihrer Gegend, 49,2% wollen sie aus den Innenstädten verbannen und 60,4% finden, die Gruppe dieser Menschen neige zur Kriminalität. Alle drei Items zeigen, dass der Antiziganismus in den neuen Bundesländern verbreiteter ist als in den alten, wo der Sockel bereits sehr hoch ist.
  • Am stärksten jedoch wird die Gruppe der Asylbewerberinnen und Asylbewerber abgewertet: 79,1% der Befragten sind der Ansicht, dass Asylanträge ohne Großzügigkeit geprüft werden sollten; und 61,5% gehen davon aus, dass die meisten Asylbewerber keine Verfolgung im Heimatland zu befürchten hätten. In Ostdeutschland sind die Zustimmungswerte 7 bis 8 Prozentpunkte höher als im Westen.

Gewaltbereitschaft und -akzeptanz:

  • 13,9% der Befragten sind nach eigenen Angaben gewaltbereit – das sind deutlich weniger als 2016. In Ostdeutschland ist der sprunghafte Anstieg auf 20,1%, den wir 2016 gemessen hatten, auf 15,1% abgesunken.
  • Die Akzeptanz von Gewalt durch andere wird von 21,6% der Befragten bestätigt. Da dieser Anteil etwa dem von 2006 entspricht, lässt sich der Anstieg auf 23,6% im Jahr 2016 als temporär verstehen. Ostdeutsche akzeptieren Gewalt nun seltener als Westdeutsche (Ost: 19%, West: 22,2%).

Ausblick

Die bundesdeutsche Gesellschaft ist von rechtsextremen Einstellungen durchzogen. Das trifft auf die Bevölkerung im Westen, doch noch stärker auf die im Osten zu. Die hohe Bereitschaft, andere abzuwerten, ist manifest nachweisbar; hinzukommt, dass sich ein großer Teil an Befragten nicht eindeutig zur gleichberechtigten Position aller Menschen in der Gesellschaft bekennt (»teils/teils«-Antworten, sogenannte Latenz). In der Ambivalenz gegenüber demokratischen Normen – eigene Freiheitsrechte ja, universelle Gültigkeit derselben nein – wird zudem ein Bedrohungspotenzial für die Demokratie sichtbar: Teile der Bevölkerung sind für rechtsextreme Ziele mobilisierbar. In Ost- wie Westdeutschland sind Ressentiments gegenüber Gruppen, die als fremd oder anders wahrgenommen werden, manifest oder mindestens latent vorhanden.

Damit wird die Frage nach den Bedingungen wieder aktuell, unter denen sich demokratische oder eben rechtsextreme Ziele entfalten können. Diese Frage versuchen wir in den nächsten Kapiteln zu beantworten. Um die sozialen Bedingungen der antidemokratischen Einstellungen zu bestimmen, untersuchen wir zunächst die Einflussfaktoren auf den Rechtsex­tremismus, insbesondere von Autoritarismus und Anerkennung (Kap. 4). Dann beschreiben wir mithilfe einer Typenbildung, wer besonders anfällig für rechtsextreme Propaganda ist und wer die größte Resilienz gegen autoritäre Versuchungen aufgebaut hat (Kap. 3). Anschließend widmen wir uns ausführlich dem Antisemitismus in Deutschland (Kap. 5).

 


Literatur

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(1) In dieser Publikation wurden auch die Trennwerte und die interne Konsistenz des Fragebogens beschrieben. Auf Grundlage der diesjährigen Erhebung lässt sich die dort beschriebene Faktorenstruktur replizieren: Cronbachs Alpha für die Gesamtskala liegt 2018 bei .94, auf den Einzeldimensionen 1) .77, 2) .81, 3) .89, 4) .90, 5) .77, 6) .81.
(2) Wir folgen mit dem Begriff Muslimfeindschaft Pfahl-Traughber (2012), der den Begriff Muslimfeindlichkeit vorgeschlagen hat. Den Begriff Islamophobie verwenden wir aus mehreren Gründen nicht mehr. Zum einen enthält der von uns adaptierte Fragebogen der Studiengruppe »Deutsche Zustände« zwei Aussagen, die sich gegen Muslima und Muslime wenden, während der Islam als Religion nicht Thema ist. Die Aussagen bilden das Ressentiment gegenüber den Angehörigen dieser religiösen Gruppe ab und nicht etwa Vorbehalte gegenüber der Religion, wie es die Bezeichnung Islamophobie nahelegt. Zum anderen wird durch die begriffliche Präzisierung dem immer wieder vorgebrachten Argument begegnet, Islamkritik als Religionskritik werde durch die Bezeichnung Islamophobie stigmatisiert. Religionskritik gehört zu den Aufgaben der Wissenschaft selbst; und Religionsfreiheit im Sinne der Aufklärung meint nicht zuletzt das Recht auf Freiheit von der Religion. Wir messen in unserer Erhebung aber keine Religionskritik, sondern Ressentiments (Decker et al., 2012b).
(3) Weitere Dimensionen konnten in diesem Jahr nicht miteinbezogen werden. Zu Homophobie und Sexismus siehe die Erhebung von 2016 (Decker et al., 2016a).
(4) Bei der polizeilichen Kriminalstatistik handelt es sich um angezeigte und von den Ermittlungsbehörden als »politisch motiviert« eingeordnete Straftaten. Die Dunkelziffer ist folglich höher.
(5) Eine Faktorenanalyse bestätigt die zwei Dimensionen des Fragebogens. Aussagen 1 (.863) und 4 (.860) laden auf einen Faktor (Egalität), Aussagen 2 (.727), 3 (.719) und 5 (.616) auf einen zweiten Faktor (Anti-Pluralität). Die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) der Dimension Egalität war akzeptabel (α = .70). Die interne Konsistenz der Dimension Anti-Pluralität beträgt hingegen nur α = .45.