Aufbruchsstimmung für die Wärmewende Berlin

Ohne Wärmewende keine Energiewende in Städten – das gilt besonders in Großstädten und ganz besonders in Berlin. Denn in Berlin stammt die Wärme zu mindestens 96% aus fossilen Quellen – die Wärmewende ist noch ein schlafender Riese. Aber es geht auch anders – das zeigten viele gute Beispiele aus der Hauptstadt in den Bereichen Wärmeerzeugung und Gebäudemodernisierung, die auf dem Strategieworkshop „Wärmewende Berlin 2030“ vorgestellt wurden.

Wärmekraftwerk in Adlershof

Über 90 Interessierte aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, (Energie-)Wirtschaft und Zivilgesellschaft nahmen am 10. Oktober am Strategieworkshop „Wärmewende Berlin 2030“ teil. Veranstaltet wurde der Workshop von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), der Agentur für Erneuerbare Energien, sowie dem Projekt „Urbane Wärmewende“, das Elisa Dunkelberg und Bernd Hirschl in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz durchführen.

„Wärmewende in Berlin ist ein heißes Eisen“, begann Sabine Drewes, Referentin für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung der Heinrich-Böll-Stiftung, ihre Begrüßung. Wärme und Gebäude sind für einen großen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich, 95% der Wärmeproduktion basieren auf fossilen Energieträgern. Die eingeleiteten Schritte reichen bei weitem nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Zudem stehen sie im Spannungsverhältnis zu sozialen Zielen, vielfach führt die energetische Sanierung zu Kostensteigerungen. „Es geht um nicht weniger als die Transformation des Wärmesektors“, machte sie deutlich. Allerdings gebe es hier noch viel weniger Dynamik als im Stromsektor. Politisch seien zumindest in Berlin einige Weichen gestellt worden, es gibt das Bekenntnis zum Kohleausstieg, im Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (BEK) und der Enquete-Kommission „Neue Energien für Berlin“ sind wichtige Meilensteine formuliert. Damit diese Ansätze aber auch umgesetzt werden können, ist die Beteiligung von vielen Akteuren wichtig.

Die Heinrich-Böll-Stiftung möchte mit dieser Veranstaltung an einen eigenen Themenschwerpunkt sowie die Vielzahl der bereits bestehenden Dialogprozesse anknüpfen. Die für diese Veranstaltung leitende Frage formuliert Drewes so: „Wie können wir eine Aufbruchsstimmung für die Wärmewende erzeugen?“

Klimaschutz in Berlin: Auf dem Weg zur Wärmewende 2030

Stefan Tidow, Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz in Berlin, skizzierte in seinem Vortrag den Weg Berlins zur Wärmewende. Er begann mit dem klaren Bekenntnis, er wolle „als rot-rot-grüne Landesregierung versuchen, das voranzutreiben.“

Städte haben für die Lösung der Energiewende eine Schlüsselposition, denn sie sind weltweit für 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Er machte deutlich: „Das hat Berlin erkannt und der sich daraus ergebenden Verantwortung gestellt.“ Um das Ziel der Klimaneutralität für Berlin 2050 zu erreichen, gebe es aber weiteren Handlungsbedarf. So müssen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 85 Prozent gesenkt werden. Der Pfad dorthin ist mit der Machbarkeitsstudie Klimaneutrales Berlin 2050 vorgezeichnet. Als wichtiger weiterer Schritt wurde das Berliner Energiewendegesetz auf den Weg gebracht, in dem konkrete Zwischenziele formuliert sind. Das Gesetz bietet einen verbindlichen Rechtsrahmen. Neben konkreten Reduktionszahlen ist dort auch die Gebäudesanierung im öffentlichen Bestand sowie Klimaschutz als Bildungsziel an den Schulen verankert worden. Gerade findet der erste Novellierungsprozess statt, um den „Kohleausstieg bis spätestens 2030 gesetzlich“ festzuschreiben, wie Tidow betonte. Außerdem wurde der Anschluss- und Benutzungszwang an das Fernwärmenetz neu aufgenommen, was für mögliche Neubaugebiete in einer wachsenden Stadt ein wichtiges Steuerungselement darstellen kann. Aus dem Energiewendegesetz ergibt sich die Verpflichtung, ein Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm vorzulegen, „mit einem Fahrplan zur Klimaneutralität“. Das BEK wurde bereits im Senat verabschiedet und liegt dem Abgeordnetenhaus zur Beratung vor. Es umfasst Maßnahmenlinien in unterschiedlichen Handlungsfeldern für den Umsetzungszeitraum bis 2020 und für einen Wirkungshorizont bis 2030. In das Programm „sind Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien und einer breiten Öffentlichkeits¬beteiligung eingeflossen“, erläuterte Tidow. Ein Monitoring soll die Umsetzung begleiten, die Ergebnisse werden dann in die Fortschreibung des BEK 2030 eingehen. Das sind wichtige Schritte, denn „der notwendigen Wärmewende fehlt es an Dynamik. Das müssen wir ändern.“ Da Wärme einen hohen Anteil am Energieendverbrauch hat, ist entscheidend, dass die Wärmebereitstellung und -nutzung klimafreundlicher und der Ausbau der Erneuerbaren gesteigert wird. Tidow wies aber darauf hin, dass die Kosten dabei mitbeachtet werden müssen. „Wir brauchen nicht nur eine umweltgerechte, sondern auch eine sozialverträgliche Lösung.“ Als Kernelemente formulierte er die Einbindung erneuerbarer Energien, den Ausstieg aus der Kohle, die Erhöhung von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), die Flexibilisierung, auch über Power-to-Heat, und Speicher. Er versprach: „Deshalb wird sich das Land Berlin für entsprechende Rahmenbedingungen auf Bundesebene einsetzen.“ Geplant sei zudem eine Machbarkeitsstudie für eine CO2-neutrale Fernwärme sowie die Nutzung der Solarpotenziale über den Plan Solar City und die Verwertung von Bioabfall. Diese Maßnahmen müssen flankiert werden von Maßnahmen im Gebäudebereich zur Senkung des Verbrauchs. „Schlüsselfaktoren sind hier die Stei¬gerung der Sanierungsrate sowie die Erreichung höherer Sanierungsstandards.“ Dies soll erreicht werden mithilfe von Quartierskonzepten sowie Beratungs- und Vernetzungsinstanzen, die informieren und den Austausch organisieren. Mit Modellprojekten zu klimaneutralen Neubau-Quartieren sollen neue Standards gesetzt werden. Die öffentliche Hand will als Vorbild vorangehen. Er gab zu, die aufgezeigten Maßnahmen „werden vermutlich nicht genug sein.“ Deshalb werden weiterhin wissenschaftliche Studien die vielfältigen Herausforderungen der Wärmewende in Berlin begleiten. Zum Abschluss versicherte er: Die Berliner Energiewende sei, „ein wichtiges Thema für uns als Verwaltung.“

Big Picture I: „Urbane Wärmewende“ – Handlungsfelder und Impulse für Berlin

Bernd Hirschl, Leiter des Forschungsprojekts „Urbane Wärmewende“ am IÖW startete seinen Vortrag mit einer Einordnung der Wärmewende. Flüsternd begann er: „Wir müssen das leise machen, denn es handelt sich ja, wie wir alle wissen, um einen schlafenden Riesen.“ Ein Riese deshalb, weil Wärme 56 Prozent der Endenergie ausmacht. Und er schläft: Nur 13,4 Prozent beträgt der Anteil der Erneuerbaren an der Wärme. Der Rest stamme aus fossilen Quellen – und daran hat sich in den letzten fünf Jahren kaum etwas geändert. Die Sanierungsrate liege bei weniger als einem Prozent, nur sehr wenige Kommunen hätten zwei Prozent geschafft. Problematisch ist dabei auch die Definition des Indikators Sanierungsrate, da über den energetischen Zustand der Gebäude viel zu wenig bekannt sei. Die Ausgangssituation beschrieb er folgendermaßen: „Wir haben uns politisch und gesellschaftlich auf die Ziele vermeintlich gut geeinigt.“ Aber immer wenn es ernst werde, „kneift die Politik“. Dies machte er anhand der Bundestagswahl deutlich, hier gab es „keine beherzten Aussagen“ zum Klimaschutz. In Berlin wurde über den Flughafen Tegel abgestimmt, und auch „da hat niemand über Klimaschutz gesprochen.“ Sein Fazit: Wenn es realpolitisch wird, „dann ist Klimaschutz nicht dabei.“ Ein zentraler Grund dafür sei die Heterogenität und Komplexität des Wärmemarktes. „Wir haben viele Marktteilnehmer, viele Technologien.“ Dadurch werde die Situation „sehr unübersichtlich“. Wissenschaftliche Studien entwickeln zudem „sehr unterschiedliche Bilder“ von dem, wo es hingehen solle. Wichtig seien deshalb kleinteiligere Ansätze, um Komplexität zu reduzieren. Bei der Fernwärme werde es schwierig, „wenn wir das Thema zukunftsfähig denken“. Ein Grund dafür liegt in der schlechten Datenlage. Quartierskonzepte werden unvergleichbar, wenn sie auf unterschiedlichen Daten beruhen. Qualitativ neue Lösungen seien notwendig, damit die verschiedenen Technologien zusammenspielen können.

Zudem seien die Rahmenbedingungen problematisch. Wärme ist schwer zu regulieren, ein Kernproblem sind die günstigen Preise der Fossilen. Die Haushalte sparen, weil die Preise in den letzten Jahren gesunken sind. Hinzu komme ein regulativer Flickenteppich. Hirschl plädierte für eine CO2-Abgabe, die zu einer deutlichen Verschlankung der Regulierung führen würde. Wichtig sei zudem, den Faktor Mensch zu berücksichtigen. Das umfasse vor allem Akzeptanzfragen, aber auch soziale Verträglichkeit bei der Verteilung der Kosten. Ein großes Problem sah Hirschl im Flächen-Rebound, also dem steigenden Wohnflächenbedarf pro Person, der Einsparungen konterkariere. Politisch sei außerdem die Meinung etabliert „Ordnungspolitik dürfen wir nicht nutzen.“ Nach Ansicht von Hirschl sind weiche Faktoren alleine aber nicht ausreichend zur Umsetzung der Wärmewende.

Betrachte man vor diesem Hintergrund, wo Berlin steht, sei festzuhalten: In den letzten Jahren ist wenig passiert, der Verbrauch bleibt konstant. Um das zu ändern, müssen aktiv Maßnahmen ergriffen werden. Zwar gebe es in Berlin viele gute Beispiele, aber zu wenige, die tatsächlich zieladäquat sind. Insbesondere im Bestand fehlen die guten Ansätze.

Als zentrale Handlungsfelder identifizierte Hirschl die Strombereitstellung für flexible Wärme, klimafreundliche KWK-Fernwärme sowie Wärmeplattformen, an denen sich viele Erzeuger beteiligen können. Ungelöst seien hier allerdings die Governance-Fragen. Außerdem setzte er sich für einen kleinteiligen Ansatz ein, um die Komplexität der Wärmewende zu reduzieren. Die Datendefizite müssen behoben werden, um die Niedertemperaturpotentiale zu ermitteln. Städte seien dabei nicht nur wichtige Player der Umsetzung, sondern sie sind auch diejenigen, „die den Bund darauf hinweisen, dass spezielle Rahmenbedingungen nötig sind.“ Die Machbarkeitsstudie und das BEK zeigen dabei nur Szenarien auf, „da gibt es natürlich Spielräume“. Allerdings seien die Eckpfeiler klar: „Wir müssen mit den Verbräuchen runter“ und „wir müssen uns von Kohle und Öl verabschieden.“ Zur Umsetzung gibt es jetzt ein Gesetz mit Zwischenzielen. Hier rief Hirschl dazu auf: „Machen Sie Ihren Abgeordneten klar, dass das so schnell wie möglich passieren muss.“ Die vielen Maßnahmen im BEK machen dabei eine Priorisierung erforderlich. Er empfahl: „Fangen Sie sowohl mit Gewinnerthemen an als auch mit den Zielkonflikten.“ Gewinnerthemen sorgen für Akzeptanz, die Lösung von Zielkonflikten ist zeitintensiv und muss deshalb rasch begonnen werden.

Wärmewende in den Großstädten – wie machen es andere?

Nils Boenigk, stellvertretender Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien, stellte drei Beispiele der urbanen Wärmewende vor: Die Städte Frankfurt, Hamburg und Stockholm. Einleitend wies er darauf hin, dass durch die Nutzung von erneuerbaren Energien massiv CO2-Emissionen eingespart werden können. Bislang war die Energiewende „Klimaschützer Nr. 1“, in den letzten Jahren wurden über 117 Mio. t CO2 im Strombereich eingespart. „Das zeigt, welche Potentiale es im Wärmebereich gibt“ – die größtenteils noch nicht gehoben seien. Bezugnehmend auf eine Studie des Wuppertal Instituts machte er deutlich, dass ein Paradigmenwechsel nötig sei. Die „Zukunft der Wärmewende wird definitiv so aussehen, dass wir ein cleveres Netz brauchen“, also verschiedene Erzeuger Wärme flexibel einspeisen und nutzen.

Beispiel Frankfurt: Frankfurt hat sich zum Ziel gesetzt, 2050 auf 100 Prozent Erneuerbare umzustellen und gleichzeitig den Energiebedarf um 50 Prozent zu reduzieren, um eine Versorgung durch die Stadt oder die Umgebung zu ermöglichen. Dafür sollen Projekte wie ein 0-Emissionen-Gewerbepark, energetische Sanierung und ein Fernwärmenetz basierend auf Solarenergie, Biomasse und Abwärme realisiert werden. Das Fraunhofer Institut hat ermittelt, wie dieser Pfad aussehen könnte und welche Akteure dabei von Bedeutung sind. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen neben der Machbarkeit auch, „welche Anstrengungen man unternehmen muss, um das Ziel zu erreichen“.

Beispiel Hamburg: Hamburg strebt an, den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Dazu sollen verschiedene Projekte realisiert werden: ein Energiebunker und ein Wärmebunker, die Strom und Wärme aus Erneuerbaren bereitstellen. Außerdem ein Solarzentrum für Beratung und wissenschaftliche Studien sowie ein Förderprogramm „Erneuerbare Wärme“.

Beispiel Stockholm: Stockholm möchte bis 2040 klimaneutral zu sein und bis 2030 100 Prozent Erneuerbare im Strom erreichen. Im Fernwärmenetz soll verstärkt Abwärme genutzt werden. Der Netzbetreiber Fortum geht dafür auf Unternehmen, Supermärkte und Rechenzentren zu, um Abwärme einzuspeisen.

Kurzimpulse: Unsere Ideen zur Wärmewende 2030

Nach dieser Bestandsaufnahme wurden verschiedene Ideen für die Wärmewende bis 2030 in Form von Kurzimpulsen vorgestellt.

Andreas Schnauß, Partnership Manager Vattenfall Europe Wärme AG

Andreas Schnauß präsentierte Vattenfalls Ideen für die Wärmewende und betonte dabei „Wärme¬wende muss im Bestand funktionieren“. Sektorkopplung, Flexibilität und CO2-Einsparungen müssen miteinander verbunden werden und für Mieter/innen bezahlbar bleiben. Vattenfall möchte dafür in drei Schritten vorgehen:

  1. Ersetzen der Braunkohle bis 2020 durch Gas-KW. Dieser Punkt ist bereits umgesetzt worden.
  2. Ersetzen der Steinkohle bis 2030 durch Gas-KWK und Power-to-District-Heat (P2DH) sowie Erhöhung des Biomasseanteils und Nutzung von industrieller Abwärme. Damit können die CO2-Emissionen um 52% reduziert werden.
  3. Anschließend soll die Reduktion des fossilen Gases durch den verstärkten Einsatz von P2DH und Steigerung der Nutzung von industrieller Abwärme und Geothermie erfolgen, um eine Reduktion von mehr als 85% zu erreichen.

Damit könne Vattenfall die Berliner Klimaziele einhalten. „Vattenfall ist mittlerweile im Wärmemarkt sehr weit vorne, weil wir die einzigen sind, die die Ziele in großem Stil erreichen können“, betonte Schnauß. Um die Wärmewende umzusetzen, muss man die „verschiedenste Technologien zusammenbringen, und zwar pfiffig und smart“ Das Konzept stellt die Versorgung sicher und ermöglicht gleichzeitig schnelle und große Einsparungen.

Wichtig sind dafür die richtigen Rahmenbedingungen. So sprach sich Schnauß im Strombereich für eine Förderung von Gas, Speichern und Sektorkopplung aus, im Wärmebereich für Förderung der Nutzung von Abwärme, der Absenkung der Netztemperatur sowie eine CO2-Bepreisung.

Matthias Trunk, Mitglied des Vorstands der Gasag

Matthias Trunk fokussierte in seinem Beitrag auf dezentrale Netze und Quartierslösungen. Das sei wichtig wegen des starken Wachstums Berlins, was mit einer CO2-Steigerung einhergeht. „Deshalb brauchen wir eine schnelle und preisgünstige Wärmewende.“, stellte er klar. Die Bedingungen dafür sind in Berlin gut: die benötigten Netzinfrastrukturen bestehen und die kompakte Bauweise ermöglicht eine hohen Wärmedichte. Zudem versammelt sich in Berlin das notwendige Wissen sowie Start-Ups mit innovativen Lösungen.

Im Neubau ist die klimaneutrale Versorgung bereits jetzt möglich, „technologisch ist alles da, was wir brauchen, wir müssen es nur angehen.“ Die Gasag realisiere bereits mehrere Projekte, wie beispiels¬weise den EUREF-Campus, das Maximiliansquartier, Gebäude in der Stresemanstraße und Mein Falkenberg. „Die schöne Botschaft: das ist alles möglich zu den gleichen Kosten wie die konventionelle Energie¬erzeugung“, schwärmte Trunk.

Im Bestand sind die Herausforderungen aufgrund der Heterogenität größer. Wichtige Erfolgsfaktoren sind hier das Quartiersmanagement, eine gute Analyse der Ausgangssituation sowie gute Information und Kommunikation zwischen den Beteiligten.

Jochen Icken, Vorstand, Märkische Scholle, Wohnungsunternehmen eG

Jochen Icken betonte, anknüpfend an die vorherigen Vorträge, besonders zwei Aspekte: Sozialverträglichkeit und Komplexität. Die Wärmewende ist nur möglich, wenn sie auch handwerklich realisiert werden kann. Er forderte: „Wir müssen das Handwerk in Deutschland und Berlin schulen, damit wir das umsetzen können.“

In Lichterfelde realisierte die Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle ein dezentrales Nahwärmenetz mit Fernwärme als Spitzenlast. „Da gibt es gute Synergieeffekte mit Fernwärme oder Gas“, so Icken. Gleichzeitig machte er deutlich: „Dis Musik in der Wärmewende spielt im Bestand.“ Die Sanierungsrate liegt allerdings bei unter einem Prozent. „Hier die Frage, warum schaffen wir es nicht?“ Leuchtturmprojekte sind gut, aber nicht ausreichend. Um die Sanierungsrate zu steigern, schlug er vor, die dogmatischen Vorschriften für die Gebäudemodernisierung zu reduzieren, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Dafür ist die „Technologieoffenheit“ zentral. Vorschriften über die Dicke der Gebäudedämmung seien nicht hilfreich, wenn es auch andere Wege gebe, diese Ziele zu erreichen, wie etwa eine regenerative Wärmebereitstellung. „Wir brauchen dringend Wärmedämmung, aber wir brauche sie in einem vernünftigen Maß“. Dämmung und Energieproduktion müssen aufeinander abgestimmt werden. Um diese Technologieoffenheit zu erreichen, forderte Icken eine Änderung der Energie-einsparverordnung (EnEV) sowie der KFW-Förderbedingungen.

Laura Weis, Kohleausstieg Berlin

Laura Weis kritisierte deutlich das Auseinanderklaffen zwischen dem Pariser 1,5°C-Ziel und den in Berlin vereinbarten Maßnahmen: „Mich würde interessieren, wie das eigentlich zusammenpasst.“ Kohleausstieg Berlin sieht enormen Nachbesserungsbedarf beim BEK und Risiken bei den bislang diskutierten Vorschlägen. Weis wies darauf hin, dass ein unkritischer Einsatz von Power-to-Heat dazu führt, dass nicht etwa erneuerbarer Strom umgewandelt wird, sondern Braunkohlestrom aus der Lausitz. Sie stellte klar: „Es gibt momentan keinen Überschussstrom aus erneuerbaren Energien, sondern bislang gibt es Überschussstrom aus Braunkohle“. Ein ähnliches Problem sah sie bei Power-to-Gas, wobei der Wirkungsgrad, der dort erreicht wird, schlechter ist. Vor dem Hintergrund, dass Gas aus Strom im Verlauf der Energiewende sicherlich begrenzt ist, stelle sich zudem die Frage, in welchen Sektoren der Einsatz am wichtigsten ist. Bei der Biomasse gebe es ein sehr begrenztes Potential. Biomasse muss regional und nachhaltig sein – und unterliegt damit einer starken Nutzungskonkurrenz. Kohleausstieg Berlin setzt sich für die Einführung eines CO2-Grenzwertes für das Fernwärmenetz ein, der 2050 0 erreicht haben muss. Für zentral hielt Weis, „dass in dieser Legislaturperiode Entscheidendes passiert.“ Zudem müssen Teile der Wärmeerzeugung elektrifiziert und über Wärmepumpen realisiert werden. Dies geht aber nur, wenn die Temperatur im Fernwärmenetz gesenkt wird, dann erst können Erneuerbare im großen Umfang zur Wärmeversorgung beitragen. „Es ist wichtig, das langfristige Ziel vor Augen zu haben.“ Dieser Umbau muss flankiert werden durch eine sozialverträgliche Gebäudesanierung und -dämmung.

Diskussion

Sabine Drewes moderierte die sich an die Kurzvorträge anschließende Diskussion. Ein Diskussions¬punkt war das Verhältnis von Wärmedämmung zu Energieerzeugung – wenn zu wenig in die Gebäudeenergieeffizienz investiert würde, dann reichte die erwartbare erneuerbare Strom- und Wärmeproduktion nicht für die Beheizung des gesamten Bestandes aus. Herr Icken machte deutlich: „Es gibt nicht die eine Maßnahme, die alles lösen wird.“ Vielmehr müsse man bei jedem einzelnen Gebäude die Kombination von Wärmedämmung und nachhaltiger Wärmeerzeugung im Blick behalten und Grenzwerte statt Technologien festschreiben. Während Icken sich dafür aussprach, bei der Dämmung den zur Herstellung und Entsorgung benötigten Energieverbrauch (sog. „graue Energie“) zu berücksichtigen, wurde dieser Faktor von einem Teilnehmer als unbedeutend eingeschätzt. Schwierig sei vielmehr, die Balance zu finden zwischen Denkmalschutz, dem Erhalt der Fassade und Dämmung. Die Finanzierung der energetischen Sanierung dürfe deshalb nicht alleine dem Klimaetat zugerechnet werden, sondern müsse einhergehen mit der Finanzierung der Baukultur. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Sanierung nur ein Aspekt ist, der steigende Flächenverbrauch pro Kopf ist ein weiteres Problem, das angegangen werden muss.

Besprochen wurde auch, inwiefern die Absenkung der Netztemperatur bei der Fernwärme bereits realisierbar ist. Die Temperaturabsenkung ist nur möglich, wenn die Häuser, die damit versorgt werden, energetisch saniert und auf niedrige Temperaturen ausgelegt sind. Deshalb wird die hohe Temperatur im Vorlauf momentan noch gebraucht. Vorgeschlagen wurde, beim Umbau des Fern-wärmenetzes zunächst auf nachhaltige Systeme zu setzen, die auch hohe Temperaturen bereitstellen können, wie KWK, Biomasse und Power-to-Heat. Abwärme kann zum Vorheizen genutzt werden, Mülldampf kann dann für die Erhöhung der Temperatur sorgen. „Wir haben hier angepasste Schritte im Rahmen eines Transformationspfades“, machte Schnauß deutlich. Aus dem Publikum kam der kritische Hinweis, dass der eigentliche Schwerpunkt schon jetzt auf Solarthermie und Wärmepumpen gelegt werden sollte, damit der Umbau jetzt in die Wege geleitet wird Für den Übergang müsste dann noch nachgeheizt werden.

Dabei wurde auch die Frage der Eigentumsstruktur bei der Berliner Fernwärme aufgeworfen. Während Herr Trunk deutlich machte, dass die Gasag ohnehin nicht über die Netze verfügt, war Herr Schnauß der Meinung, dass es keinen großen Unterschied mache, wem die Netze gehören, da Vattenfall ähnlich vorgehe wie andere kommunale Versorger. Zudem sei Förderung sowohl im kommunalen als auch im privaten Bereich möglich.

Workshops

Nach der Darstellung der verschiedenen Visionen der Energiewende wurden in drei parallelen Workshops einzelne Themen vertieft.

Workshop I: Dekarbonisierung der Fernwärme

Der Workshop l wurde von Elisa Dunkelberg moderiert. Zum Einstieg stellte sie unterschiedliche Ziele für die Entwicklung der Fernwärmeversorgung in Berlin vor.  Das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm enthalte Ziele bis 2030 sowie unter Berücksichtigung des Klimaneutralitätsziels bis 2050. Laut BEK solle der Fernwärmeanteil an der Wärmeversorgung von knapp 30 auf über 50 Prozent steigen, die Fernwärmemenge solle bis 2030 ebenfalls zunächst steigen, bis 2050 dann aber um etwa 20 Prozent sinken. Als Maßnahmen für die Transformation der Fernwärme nennt das BEK unter anderem die Verdichtung und Erweiterung der Wärmenetze, den Einsatz von Power-to-Heat für Wärmenetze, den Umbau zu Niedertemperaturnetzen, die Nutzung der Abwasserwärmepotenziale und die Umsetzung von Pilot- und Demonstrationsvorhaben zu Langzeitwärmespeichern im Fernwärmenetz. Zudem habe sich die Rot-rot-grüne Koalition zum Kohleausstieg bis 2030 bekannt, dies bedeute, dass Ersatz für die Heizkraftwerke, die noch mit Kohle betrieben werden, geschaffen werden müsse. Zuletzt forderten Umweltverbände, aber auch Teile der Wissenschaft eine Dekarbonisierung der Fernwärme bis spätestens 2050. Das bedeute, dass der Einsatz fossiler Energieträger Null sein müsse, Power-to-Heat ausschließlich auf erneuerbarem Strom basieren dürfe und Erdgas durch synthetisches Gas und Biomethan ersetzt werden müsse. Ein Umstieg auf Niedertemperatur sei sinnvoll, da nur dann Wärmepumpen als effizientere Power-to-Heat-Anlagen eingesetzt und die in Berlin vorhandenen Niedertemperaturpotenziale wie Solarwärme, Abwasserwärme, Geothermie und Abwärme aus Rechenzentren und Supermärkten genutzt werden könnten.

Christian Maaß vom Hamburg Institut präsentierte anschließend die zehn Bausteine zum Umbau der Hamburger Fernwärme, die das Hamburg Institut erarbeitet hat: Müllwärme, Schietwärme, Industriewärme, Sonnenwärme, Biowärme, Elbwärme, Tiefenwärme, Speicherwärme, Plietschwärme und Fairwärme. Die langfristige Strategie dürfe nie auf eine einzige Technologie setzen und müsse flexibel sein für neue Entwicklungen. Genauer ging Herr Maaß auf einzelne Bausteine ein. Möglich sei die Installation einer Groß-Wärmepumpe im Ablauf des Klärwerk Dradenau mit einer Wärmeleistung von 80 bis 100 MW, um die „Schietwärme“ zu nutzen. Die Elbwärme könne ebenfalls mit einer Groß-Wärmepumpe von 50 MW für die Fernwärme nutzbar gemacht werden. Vor allem in skandinavischen Ländern würden bereits Groß-Wärmepumpen zur Nutzung von Abwasserwärme und auf Basis von Oberflächenwasser eingesetzt. Biowärme könne auf Stroh basieren, das nachhaltige Strohpotenzial in der Metropolregion Hamburg liege bei mehr als 500 MW. Die Wärmespeicherung sei eine enorm wichtige Komponente des Umbaus, da viele Energiequellen sich auf das Sommerhalbjahr konzentrieren. Aufgrund der geologischen Bedingungen böten sich in Hamburg besonders Akquiferspeicher an. Als letzten Punkt sprach Herr Maaß an, dass Ausbau und Optimierung der Fernwärme verbraucherorientiert gestaltet sein müssten, beispielsweise müsse eine hohe Produkt- und Preistransparenz und eine wirksame Preiskontrolle bestehen und eine finanzielle Bürgerbeteiligung an der Infrastruktur solle ermöglicht werden.

Herr Ulrich Rheinfeld, Vorstand der Fernheizwerk Neukölln AG, stellte anschließend das Fernwärme-Versorgungsgebiet in Neukölln, den Erzeugerpark und die Entwicklung des Brennstoffeinsatzes seit 2000 vor. Kohle habe in den letzten Jahren bereits deutlich an Relevanz verloren, das Unternehmen habe stattdessen gezielt in den Ausbau von BHKWs, den Einsatz von Holz und Biogas sowie in den Bau einer Power to Heat-Anlage und einen Wärmespeicher investiert. Somit sei die Fernwärmeversorgung auf einem guten Weg, die Ziele des BEK zu erfüllen. Als Unterstützung für den Umbau seien vor allem eine langfristige KWK-Förderung, förderliche Rahmenbedingungen für die Sektorenkopplung sowie ein bedarfsorientiertes Standort- und Flächenmanagement wichtig.

Zuletzt ging Andreas Schnauß von der Vattenfall Wärme Europe AG auf den Standort Reuter ein, ein mit Kohle befeuertes Heizkraftwerk. In räumlicher Nähe liegen sowohl die Müllverbrennungsanlage, das Klärwerk Ruhleben als auch die Spree. Das Unternehmen plane gemeinsam mit den Berliner Wasserbetrieben zu prüfen, inwiefern die vorhandenen Abwasserwärmepotenziale mit einer Groß-Wärmepumpe genutzt werden können. Der Einsatz einer Flusswasserwärmepumpe sei ebenfalls zu prüfen. Solange die Temperaturen im Fernwärmenetz hoch seien, könne die Temperatur der Wärme mit dem heißen Dampf aus der Müllverbrennungsanlage angehoben werden. Um Reuter zu ersetzen brauche es aber weitere Anlagen wie Power-to-Heat und Gas-KWK.

Die Diskussion drehte sich vor allem um die Rahmenbedingungen, die eine Transformation braucht. Als wichtig wurde die KWK-Förderung benannt, die neu aufgesetzt werden müsse, so dass sie einen flexiblen und stromnetzdienlichen Einsatz der KWK bewirke. Als Negativbeispiel wurde aufgeführt, dass in manchen Regionen derzeit erneuerbare Stromerzeugungsanlagen abgeschaltet würden, während die KWK-Anlagen noch liefen und Strom erzeugten, da die Betreiber Fernwärme liefern müssten. In solchen Situationen müsse die Wärme erzeugen, da ansonsten fossile Anlagen die Erneuerbaren aus dem System drängten. Um Investitionen anzureizen und den Einsatz von Power-to-Heat zu erhöhen, solle EnWG 13 6a auch für Berlin angewendet werden. Es wurde auch betont, dass ein massiver weiterer Ausbau der Erneuerbaren im Stromsektor erforderlich sei, um Power-to-Heat im Wärmemarkt in größeren Mengen einsetzen und so die Kohle aus der Fernwärmeversorgung ersetzen zu können. Es sei zudem wichtig sicherzustellen, dass Power-to-Heat nicht mit Kohlestrom erzeugt würde.

Workshop II: dezentraler Netzausbau, regenerative Erzeugung

Der Workshop II wurde von Herrn Boenigk moderiert, Salomé Klinger (Naturstrom AG) und Karl Meyer (BTB Blockheizkraftwerks-Träger- und Betreibergesellschaft mbH Berlin) stellten jeweils beispielhafte Praxisprojekte vor.

Salomé Klinger, Teamleiterin Dezentrale Energieversorgung der naturstrom AG, stellte zwei von naturstrom realisierte urbane Quartierskonzepte vor.

  1. Praxisbeispiel Holzmarkt

Bei der Planung des Holzmarkt-Quartiers durch die Genossenschaft für urbane Kreativität wurden viele verschiedene Ansätze berücksichtigt: Holz sollte zentraler Baustoff sein, die Gebäude sollten untereinander verbunden und gleichzeitig die Spree wieder öffentlich zugänglich gemacht werden. Eine weitere Anforderung bestand darin, „dass das ganze Quartier fossilfrei zu versorgen“. Mit diesen Kriterien für die naturstrom AG eine Potentialanalyse durch und entwickelte ein Konzept, das auf verschiedenen, sich ergänzenden erneuerbaren Energieträgern beruht. Schwierig waren dabei die Vorgaben des Bebauungsplans. So durfte Holz nicht als Brennstoff eingesetzt werden, auch der Anschluss der benachbarten Gebäude auf der anderen Straßenseite war aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Interessant war das Vorgehen bei der Planung: Es wurde nicht primär der eigene Energiebedarf erhoben, sondern geschaut, „wie viel Wärme, Strom und Kälte kann man vor Ort erzeugen?

  1. Praxisbeispiel Möckernkiez

Mit 470 Wohneinheiten und Gewerbeeinheiten ist der Möckernkiez „das größte genossenschaftliche Bauprojekt in Deutschland“, so Klinger. Die Energieversorgung erfolgt dort über das Contracting-Modell. Aufgrund der hohen Investitionskosten wurden einige Ideen nicht realisiert, allerdings stützt sich die Wärme- und Stromversorgung auch hier auf diverse Erzeugungsanlagen, das „war ein sehr innovatives Konzept am Anfang“. Damit ist es naturstrom gelungen, 1-2 Cent günstiger zu sein als der Grundversorger und so zu ermöglichen, dass die „Mieter an der Energiewende partizipieren und profitieren“. Die Genossenschaft legt zudem viel Wert auf den sozialen Zusammenhalt und bietet viel Raum „für gemeinsames Leben“.

Bei der Realisierung solcher Projekte ist es naturstrom wichtig, Quartiere ganzheitlich zu denken und erneuerbare Erzeugung ebenso wie Einsparung zu fördern. Flankierend wünschte sich Klinger aber auch Unterstützung der Politik bei einer ganzen Reihe von Maßnahmen, darunter Preissignale, eine nationale, sektorübergreifende CO2-Abgabe, die Anpassung der Berechnung des Primärenergiefaktors, einen verpflichtenden Anteil der Erneuerbaren im Fern-wärmenetz sowie die Ausweitung und Konkretisierung der kommunalen Wärmeplanung.

Die Rückfragen bezogen sich insbesondere darauf, inwieweit die Erfahrungen dieser Projekte übertragbar seien. Klinger machte deutlich, dass Sanierungen im Bestand deutlich komplizierter seien, auch wenn es durchaus Potentiale bei den Nahwärmenetzen gebe. Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Energieerzeugung versucht naturstrom, lokal angepasste Lösungen zu entwickeln, die Investitionsbedarf und Ökologie miteinander vereinen. So werde teilweise zusätzlich auf Erdgas zurückgegriffen da es bei der Finanzierung „keinen großen Spielraum“ gebe. Als Erfolgskriterium schilderte sie den früh¬zeitigen Kontakt mit den Interessent/innen, da sonst viele Entscheidungen bereits getroffen seien. „Wenn man das rechtzeitig macht, ist das gar kein so großer Kostenfaktor.“ Klingers Ziel: „dass „Leuchtturmprojekte Standard werden.“

Karl Meyer, Projektentwickler bei der BTB Blockheizkraftwerks- Träger- und Betreibergesellschaft mbH Berlin, schilderte ein Beispiel zum Aufbau eines Niedertemperaturnetzes mit solarer Einspeisung. Einleitend wies er darauf hin, dass zur Realisierung eines solchen Projektes vor allem der Wille entscheidend sei: „Die Technik ist gar nicht so wichtig, finde ich“, so Meyer.

Die BTB GmbH wurde 1990 gegründet und betreibt ein Fernwärmeverbundnetz, das aufgrund eines großen Holzkraftwerks einen Primärenergiefaktor von 0,24 hat, sowie Stromnetze. Das Projekt „Wohnen am Campus“ das Meyer vorstellte, geht zurück auf das Jahr 2009. Die dort entstehenden Gebäude sollten mit Wärme versorgt werden. Da aufgrund des Erneuerbare Energien Wärmegesetzes (EEWärmeG) der Primärenergiefaktor finanziell bedeutsam wurde, war eine umfassendere Lösung gefragt. Da es in Berlin keinen Anschluss- und Benutzungszwang gibt, ist es oft schwierig, die Eigentümer/Innen von einer gemeinsamen Lösung zu überzeugen, „denn die bauen ihren Traum“. Daraus folgte für Meyer der Anspruch: „wir brauchen ein Netz, dass so gut ist, dass alle Lust haben, sich anzuschließen.“ Das heißt, Ideen vor Ort aufgreifen und mit Vorteilen verbinden. „Wir können das nur machen, wenn wir die Leute mitnehmen.“

Das Energiekonzept, das dort realisiert wurde, entstand 2011. Durch eine Vielzahl an Anträgen gelang es, eine Förderung von 50 Prozent zu erreichen. Das Netz hat eine Temperatur von 65°C im Vorlauf und 40°C im Rücklauf. In dem Haus, das zuerst gebaut wurde, war es möglich, eine Übergabestation für die hydraulische Trennung zu installieren. Meyer ist stolz darauf, dass heute alle Gebäude an das Netz ange-schlossen sind, „ohne Anschluss und Benutzungszwang, weil wir überzeugen konnten mit unserem Produkt.“ Eingespeist wird an drei Stellen, momentan werden die Anlagen eingestellt für die Einspeisung von Solarthermie und mit den Speichern verbunden. Eine zentrale Frage war dabei die Abrechnung, da viele gleichzeitig Wärme abnehmen und einspeisen. Ihnen machte die Betreibergesellschaft ein Angebot: Die Nutzer/innen können das Netz als Speicher verwenden, „was sie einspeisen, können sie wieder entnehmen“. Durch diesen Ansatz ist es gelungen, vor Ort zu überzeugen. Für die BTB war das Projekt ein Experiment, dass das Unternehmen gerne ausprobieren wollte.

Die Nachfragen in der kurzen Fragerunde bezogen sich insbesondere auf die Übertragbarkeit und die Wirtschaftlichkeit des Projekts für die Betreibergesellschaft. Meyer betonte, dass die Idee für vergleichbare Gebiete sehr gut geeignet sei und er sie jederzeit nochmal realisieren würde. Die Wirtschaftlichkeit entsteht dann, wenn tatsächlich die meisten Haushalte angeschlossen sind.

Workshop III: Energetische Gebäudemodernisierung

Sabine Drewes war Gastgeberin dieses Workshops, bei dem Peter Mellwig vom ifeu Institut den individuellen Sanierungsfahrplan als niedrigschwellige Herangehensweise an die Gebäudemodernisierung vorstellte und Jochen Icken die modellhafte, sozialverträgliche Sanierung einer Wohnungssiedlung der Genossenschaft „Märkische Scholle“.

Der gebäudeindividuelle Sanierungsfahrplan

Peter Mellwig vom Berliner Büro des Heidelberger ifeu Instituts erläuterte den Sanierungsfahrplan, der für Baden-Württemberg entwickelt wurde. Er betonte, dass die Ziele in der energetischen Gebäudemodernisierung ambitioniert seien: So gelte es, bis 2050 den Primärenergiebedarf um 80 – 100% zu senken und somit einen quasi klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Zu bedenken sei, dass Sanierungen schrittweise und anlassbezogen erfolgten (z.B. Austausch der Heizungsanlage), häufig mit hohen Kosten verbunden und somit langlebig seien. Es gelte daher, jede Sanierungschance optimal zu nutzen und „so gut wie möglich“ zu sanieren. Denn sonst, so Mellwig, habe man bis 2050 oft „keinen zweiten Schuss frei“. Der Sanierungsfahrplan müsse daher zielorientiert sein und die Maßnahmen so aufeinander aufbauen, dass der Eigentümer sich der Klimaneutralität annähern kann. Mellwig zeigte Beispiele von Sanierungsfahrplänen, die immer von den Möglichkeiten und Bedürfnissen der Eigentümer ausgehen (z.B. „nicht auf Urlaub verzichten wollen“) und mit ihnen eine Vision für ihr Haus entwickeln müssten. Der Sanierungsfahrplan sei ein gutes Medium, um der Orientierungslosigkeit in Bezug auf energetische Gebäudemodernisierung entgegenzuwirken.

Gartenstadt Lichterfelde Süd – ein erfolgreiches Sanierungsbeispiel

Jochen Icken, technischer Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle, präsentierte das Bespiel der Gartenstadt Lichterfelde Süd. Es handelt sich um ein Quartier mit über 800 Wohnungen, die 2014 umfassend energetisch modernisiert wurden. Der Energieverbrauch für Raumwärme und Warmwasser wurde dabei von 210 kWh pro Jahr und m² auf 30 kWh pro Jahr und m2 reduziert. Das gelang mittels einer Gebäudedämmung, die eine Niedertemperaturheizung erlaubte. Die Beheizung erfolgt über Wärmepumpen, Solarthermie und Wärmerückgewinnung aus den Belüftungsanlagen. Von zentraler Bedeutung ist ein großer Erdspeicher, der gerade nicht benötigte Wärme für längere Zeit speichern kann. Icken betonte, dass aus energetischer Sicht eine 8cm-Dämmung ausgereicht hätte, die Märkische Scholle aber eine 14cm-Dämmung verwendet hat, um die Förderung für den KfW 85-Standard zu bekommen. Um das Sanierungsvorhaben sozialverträglich zu gestalten – diesem Auftrag fühlte sich die Genossenschaft verpflichtet – verzichtete sie auf die Modernisierungsumlage und vereinbarte mit ihren Mieter/innen, nicht mehr als 2 € pro m² Kosten umzulegen. Nach der Modernisierungsumlage wären 6 – 7 € möglich gewesen. Die Mieter/innen würden allerdings nach der Maßnahme zw. 1,30 € und 1,70 € Heiz- und Warmwasserkosten einsparen, sodass die effektive Mieterhöhung zw. 75 Cent und einem Euro liege. Damit hätte die Märkische Scholle fast Warmmietenneutralität erreicht. Außerdem experimentieren die Genossenschaft mit umweltfreundlichen Dämmstoffen und führe gerade mit dem Dämmstoffhersteller eine parallele Untersuchung der Stoffe Hanf, Mineralwolle und – als Vergleichsgröße – Polystyrol (Wärmedämmverbundsystem) durch.

In der Diskussion stellte Johannes Hengstenberg, Geschäftsführer von CO2-Online, eine Datenbankrecherche zum Heizenergieverbrauch von Berliner Gebäuden vor. Er vertrat die Meinung, dass mit der Förderung bzw. Anreizsystemen mehr der Erfolg energetischer Modernisierungsmaßnahmen honoriert werden sollte und nicht allein die Tatsache, dass man modernisiert habe – was in der Runde gemeinhin geteilt wurde. Die Modernisierungsumlage in ihrer bestehenden Form wurde als Hemmnis für sinnvolle Modernisierungen und auch als rufschädigend für die energetische Modernisierung schlechthin identifiziert, da sie oft nur zur Verteuerung des Wohnungsbestandes beitrage und kaum zu Energieeinsparungen führe.

Berichte aus den Workshops

Nach der Workshoprunde kamen alle Teilnehmenden wieder zusammen und die Kernergebnisse der Workshops wurden kurz präsentiert.

Dekarbonisierung der Fernwärme: In diesem Workshop wurden in drei Kurzvorträgen verschiedene Projekte zur Dekarbonisierung der Fernwärme vorgestellt und erläutert, welche technologischen Möglichkeiten es gibt. Ein wichtiges Thema der Diskussion war die Frage nach Lock-In-Effekten insbesondere im Hinblick auf die Temperatur in den Netzen. Großwärmepumpen haben den Vorteil, dass sie flexibel an die Gegebenheiten angepasst werden können. Entscheidend seien aber die Rahmenbedingungen, insbesondere Förderungen, um die Erneuerbaren stärker in die Netze zu bringen.

Dezentraler Netzausbau, regenerative Erzeugung: In zwei Kurzvorträgen wurden dezentrale Modellprojekte präsentiert, die Erzeugung und Abnahme kombinieren. Auch in diesem Workshop wurde betont: Damit diese Modellprojekte weiterentwickelt und übertragbar werden können, sind die Rahmenbedingungen entscheidend. Herr Boenigk griff deshalb in der Vorstellung des Workshops die zentralen Forderungen auf: eine kommunale Wärmeplanung, die Informationen über die Gebäude bereitstellt, eine sektorübergreifende nationale CO2-Abgabe sowie ein gut ausgebildetes Handwerk, das bereit ist, neue Lösungen auszuprobieren und zu verbauen.

Energetische Gebäudemodernisierung: Der erste der beiden Kurzvorträge thematisierte individuelle Sanierungsfahrpläne für Gebäude als Instrument, energetische Sanierung zu gestalten. Hier ist wichtig, die Sanierung gleich „so gut wie möglich“ zu machen, da ein saniertes Haus nicht zeitnah erneut modernisiert wird. Herr Icken stellte die Märkische Scholle als Beispielprojekt vor, wo die Sanierung mit einer recht geringen Umlage für die Mieter/innen (zw. 50 Cent und einem Euro) möglich gewesen ist. Dieses Modell lässt sich jedoch nur verallgemeinern, wenn die Modernisierungsumlage abgesenkt oder abgeschafft wird und die Akteure in der Wohnungswirtschaft nicht primär an Profitmaximinierung interessiert sind.

Big Picture II: Wie weiter mit der Wärmewende 2030? Debatte und Verabredungen

Lena Judick (IFOK) moderierte den letzten Teil des Strategieworkshops. Hier kamen erneut verschiedene Perspektiven auf das Thema Wärmewende zusammen. So beteiligten sich Dr. Stefan Taschner, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin für Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Hans-Joachim Ziesing, Vorstandsmitglied der AG-Energiebilanzen e.V., Robert Riechel vom Deutschen Institut für Urbanistik und Dr. Oliver Powalla von BürgerBegehrenKlimaschutz an der abschließenden Debatte.

Im Hinblick auf den bundespolitischen Kurs der Wärmewende äußerte sich Herr Taschner skeptisch. „Das ist ein großes Paket, was man sich da wünscht“, allerdings müsse man zunächst die Sondierungsgespräche abwarten, auf die das Land Berlin wenig Einfluss hat. Gleichzeitig ist die bundespolitische Ebene für die Wärmewende zentral, denn „die großen Linien werden im Bund bestimmt.“ Herr Ziesing ergänzte: Die Ziele seien gut, aber man sei „weit abgeschlagen, was die Umsetzung betrifft.“ Für ihn ist klar, dass die Wärmewende ohne ökonomische Anreize wie Förderung und CO2-Bepreisung nicht funktionieren wird. Gleichzeitig sind Kompensationsmodelle nötig, damit die Kosten für die VerbraucherInnen nicht steigen. Dem stimmte Herr Riechel zu und ergänzte, dass Förderung alleine nicht ausreiche, sie müsse auch den Bedürfnissen entsprechen, insbesondere müsse sie „einfach zu handhaben“ sein. Kleine, leicht verständliche kommunale Programme funktionieren beispielsweise sehr gut. Powalla fügte noch eine weitere Perspektive hinzu, indem er auf die Verbräuche aufmerksam machte. Die müssten sinken. Außerdem kritisierte er: „Die Modernisierungsumlage ist ein vermieterfreundliches Gesetz und kein mieterfreundliches.“ Das müsse geändert werden, auch wenn Powalla die Chancen dafür bei einer Regierungsbeteiligung der FDP als gering einschätzte. Wichtig seien zudem Vorbilder, die öffentlichen Gebäuden müssten vorangehen.

Aus dem Publikum kamen weitere wichtige Ergänzungen. So wurde gefordert, eine EEG-Experimentierklausel einzuführen und so die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen zu fördern. Zudem konkretisierte sich die Forderung nach einer CO2-Bepreisung. Der europäische Emissionshandel (ETS) reguliert CO2 Mengen. Da zu viele Zertifikate auf dem Markt sind, ist der Preis dafür „noch kindisch niedrig“, kritisierte Ziesing. Die CO2-Steuer müsse ergänzend sein für die Bereiche, die nicht mit dem ETS geregelt sind – eine Forderung, die viel Zuspruch erhielt. Damit einhergehen müsse aber eine Förderung von Mieterstrom und Eigenverbrauch. „Wir haben mit dem jetzigen Mieterstrommodell gerade mal einen Fuß in der Tür“, so die kritische Einschätzung.

Angesprochen auf die Landesebene betonte Taschner, man brauche keine neuen Konzepte, davon gebe es bereits viele, „wir müssen in die Umsetzung reinkommen.“ Die Verwaltung muss aufgestockt werden, um handlungsfähiger zu werden. Ziel der Regierung ist es, in allen Bereichen ein Stückchen weiter zu kommen. Dem stimmte Ziesing zu und mahnte an, die Dringlichkeit für den klimaneutralen Wohnbestand weiter hoch zu setzen. Dafür sei der Quartiersansatz ein guter Weg, so Riechel. Außerdem müssen die Instrumente weiterentwickelt werden, auch um eine neue Dynamik in Gang zu setzen und die BürgerInnen zu beteiligen. So muss geklärt werden, „wie können sie tatsächlich zu Erzeugern werden und ins Wärmenetz einspeisen?“ Für Powalla zeigte der Strategieworkshop aber auch, „wie viel es noch zu lernen gibt.“ Gerade in Bezug auf die Wärmewende gelte: „Da gibt es viel zu klären, die Debatte ist noch nicht zu Ende.“

Dem schloss sich Sabine Drewes an. Ihr Fazit des Workshops: „Ich nehme mit, dass wir offensichtlich sehr viel zu reden haben.“ In ihren Augen hat der Workshop gezeigt, dass dieser Dialog konstruktiv und fruchtbar ist. Und so versprach sie: „Fortsetzung folgt, in der einen oder anderen Weise.“