Lektionen über Kohle und die Welt (2/6): Feiner Staub, großer Schaden

Podcast

Wie entsteht aus Kohle Strom? Wie sauber ist das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg wirklich? Und was hat das mit der peruanischen Gletscherschmelze zu tun? Die zweite Folge einer sechsteiligen Podcast-Reihe zu Kohleaustieg und Energiewende.

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Claudia Kuhlenkampff

Das Manuskript zum Mit- und Nachlesen:

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In der letzten Folge war ich in der Lausitz, weil ich wissen wollte, woher die Kohle kommt. Dabei habe ich zum ersten Mal einen Tagebau gesehen…

Autor: …Oh mein Gott ist das riesig, so groß hätte ich es mir nicht vorgestellt…

Ich habe gesehen wie viel Erde umgewühlt wird, um an die Braunkohle zu kommen - René Schuster hat über die Umweltfolgen des Bergbaus gesprochen:

Collage: Sandstürme, Grundwasserabsenkungen, versauerte Flüsse.

Die Betreiber von Tagebauen und damit die Verursacher sind mir nicht als besonders auskunftsfreudig in Erinnerung geblieben.

Aus Kohle wird vor allem Strom erzeugt. Wie das funktioniert, erfahre ich in dieser Folge in Deutschlands modernstem Steinkohlekraftwerk. Dann spreche ich mit einer Umweltschützerin darüber, wie es ist, wenn nur ein paar Meter weiter ein Kraftwerk steht und darüber welche Auswirkungen die Emissionen von Kraftwerken haben.

Eine Anwältin streitet für ihren Mandanten dafür, dass RWE für den weltweiten Klimawandel mitverantwortlich gemacht wird. Und ich spreche über die Carbon Capture and Storage Technologie, die Kohle CO2-neutral verbrennen soll. Soll.

Aus Stein- oder Braunkohle wird Wärme erzeugt; überwiegend aber Strom. Verstromung sagen Experten und Expertinnen dazu. Das geschieht in Deutschland in über 140 Kraftwerken. In Moorburg steht, laut Betreiber Vattenfall, Deutschlands modernstes Steinkohlekraftwerk. Moorburg war und ist ein umstrittenes Projekt.

2008 versuchten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten deutschen Klimacamps in Hamburg die Baustelle zu besetzen und forderten Vattenfall auf, die Bauarbeiten umgehend zu beenden. Umweltverbände waren sowieso gegen das Großkraftwerk. Und doch rauchen heute die Schlote - auch weil die grüne Umweltsenatorin damals zugestimmt. Der Stern sprach von einem Sündenfall.

Moorburg liegt im Süden von Hamburg. 750 Einwohner, eine kleine Kirche. Viel Backstein, Wiesen, ein Damm, hier und da ein Graureiher.

Der Strombedarf Hamburgs

Die Idylle trügt. Der Containerhafen ist nicht weit, Raffinerien um die Ecke und dann noch der Verkehr. Alles Emissionsquellen für Staub, Kohlendioxid und Lärm. Gekommen bin ich nicht wegen des Verkehrs oder des Hafens: sondern wegen des Steinkohlekraftwerks. Während Braunkohle in ausreichender Menge in Deutschland vorhanden ist, muss Steinkohle zu großen Teilen importiert werden, aus Kolumbien, der Russischen Föderation oder Afrika. Zumeist sind die Arbeitsbedingungen dort katastrophal.

Gudrun Bode: So ein Schiff fasst bis zu 75.000 Tonnen…

Gudrun Bode ist Leiterin des Informationszentrums des Kraftwerkes.

Gudrun Bode: So ein Schiff fasst, wie gesagt, bis zu 75.000 Tonnen Kohle und hat einen Tiefgang von 12 Metern.

Zum Vergleich der Eiffelturm wiegt laut Wikipedia „nur“ 10.000 Tonnen. Lange hält eine Ladung trotzdem nicht, denn das Kraftwerk hat großen Hunger. Zwischen 420 und 480 Tonnen verbraucht Moorburg in 24 Stunden bei Volllast - eine Schiffsladung hält also etwa sechs bis sieben Tage.

Gudrun Bode: Heute kommt aus dem Kraftwerk 85 Prozent des Hamburger Strombedarfs. Der Strom wird ja umfänglich gebraucht in Hamburg und bei solchen Wettersituationen haben wir doch einen höheren Bedarf in Hamburg und es kommt hier kaum Strom aus regenerativen Energien in Hamburg an. Wir haben heute etwa 1700 Megawatt an Bedarf.

Tatsächlich ist der Energiemix für Hamburg alles andere als klimafreundlich. 2014 kamen 64 Prozent aus Steinkohle, 16 Prozent aus Gas und 11 Prozent aus erneuerbaren Energien. Deutschlandweit kommen Sonne, Wind, Wasser und Biomasse auf gut 30 Prozent. Während wir das Turbinenhaus verlassen, schaue ich auf den 130 Meter hohen Schlot des Kraftwerks und sehe die weißgraue Wolke.

Autor: Wie sauber ist denn das, was aus dem Schlot rauskommt?

Gudrun Bode: Also, was wir jetzt oben am Kamin sehen ist mindestens zu 99,3 Prozent Wasserdampf. Der Rest ist CO2 mit ganz geringen Restmengen dessen, was bei der Verbrennung der Kohle eben freigesetzt wird. Also das ist unsere Vorgabe und das unterschreiten wir jetzt bei so einer Fahrweise um etliches noch.

Autor: Wie viel CO2 wird ausgeschieden?

Gudrun Bode: Wir haben das berechnet pro kWh Strom und das berechnet sich etwa mit 750 Gramm CO2 pro kWh, da die Effizienz ja so hoch ist bei uns. Reduziert sich bei älteren Kraftwerken die Effizienz, brauchen die mehr Brennstoff. Also haben die auch eine größere CO2-Menge pro kWh - das sind bei älteren Kraftwerken 950 bis 1000 Gramm.

Das hört sich nicht viel an, was sind schon 750 Gramm. Noch nicht mal eine Mehlpackung. Ein Blick ins Informationsblatt des Kraftwerks ändert die Perspektive. 2015 betrugen die Kohlendioxidemissionen 4,6 Millionen Tonnen. Geht es nach dem Willen der EU, werden zukünftig nur noch Kraftwerke gebaut, die weniger als 550 Gramm CO2 pro Kilowattstunde ausstoßen.

Wie reinigen Kohlekraftwerke ihre Emissionen?

Umweltschützer/innen sehen darin ein faktisches Verbot von Kohlekraftwerken. Die Konzerne sehen das anders: eine Studie im Auftrag von RWE glaubt, dass die sogenannte 550g-Regel klimapolitisch wirkungslos sei und in der Folge nur die Strompreise stiegen. Die 550g-Regel wird noch für einige Debatten sorgen. Ob sie kommt, ist noch unklar.

In Deutschland regelt das Bundesimmissionsschutzgesetz Grenzwerte für Kraftwerke. Moorburgs genehmigte Grenzwerte liegen deutlich unter den gesetzlich erlaubten Wert. Glaube ich den Betreibern, dann ist Moorburg zwar kein sauberes Kraftwerk, aber immerhin eines mit geringen Emissionen. Das liegt zum einen an dem hohen Wirkungsgrad von 36 Prozent und an der modernen dreistufigen Rauchgasreinigung. Die erste Stufe ist die Rauchgasentstickung, erklärt Bode am Ende der Führung:

Gudrun Bode: Vor der Entstickung wird Ammoniakwasser in das Rauchgas eingedüst. Und mithilfe dessen wird an Titanoxidblechen das Stickoxid gespalten in Stickstoff und Wasser. Also ganz normale Bestandteile der Luft.

Dann strömt das Rauchgas in die zweite Stufe, die Elektrofilter.

Gudrun Bode: In diesem Elektrofilter hängen lang aufgehängte Stahlplatten. Daran streicht das Rauchgas ganz eng dran vorbei und dadurch, dass das Rauchgas eine andere elektrische Ladung hat als die Platten, klebt die Asche dann an den Platten. Die Platten werden beklopft und die Asche wird abgerüttelt.

Die Asche wird in Silos gespeichert. Ein Großteil der Asche wird später in der Bauindustrie als Zusatz für Beton verwendet. Eigentlich gut, Recycling. Ein Blick in die USA zeigt, dass es anders laufen kann. 2014 sind dort etwa 39.000 Tonnen Asche in einen Fluss gelaufen. Ein Anwohner schildert in einem YouTube-Video der Coal-Ash-Chronicles die Auswirkungen.

Der Anwohner erzählt, dass er an dem Fluss aufgewachsen ist. Hier habe er seine Sommer verbracht. Eigentlich versorgt der Fluss die Gemeinde mit Wasser, doch nun kann man nicht einmal mehr seinen Finger in den Fluss stecken. Früher konnte man in dem Fluss fischen, heute isst er nichts mehr, was aus dem Fluss kommt, erzählt er in dem acht Minuten Interview.

In der dritten und letzten Rauchreinigung wird dann ein Kalksuspension aus Wasser und Kreide eingeblasen.

Gudrun Bode: Und an den Kreidebestandteilen bindet sich chemisch der Schwefel. Die Flüssigkeit wird abgezogen, entwässert und gelangt als Gips ins Gipskreislager. Und oben raus kommt dann das Reingas. Gereinigt von Stickstoff, Asche und Schwefel.

Folge 1/6

Fördern und Fordern
Unterwegs im Tagebau: Woher kommt die Kohle? Welche Folgen hat der Abbau für die Lausitz? Und wer haftet für die Folgeschäden? Die erste Folge unserer sechsteiligen Podcast-Reihe.

Folge 2/6

Feiner Staub, großer Schaden
Wie entsteht aus Kohle Strom? Wie sauber ist das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg wirklich? Und was hat das mit der peruanischen Gletscherschmelze zu tun? Antworten in der zweiten Folge.

Folge 3/6

Das Kapital der Kohle
Minen, Kraftwerke, Infrastruktur - woher bekommt die Kohleindustrie ihre Milliarden? Was passiert mit den Geldanlagen im Falle eines Kohleausstiegs? Die Divestment-Bewegung zeigt einen Weg aus dem Geschäft mit der Kohle. Mehr in der dritten Folge.

Folge 4/6

Der Strukturwandel
Der Kohleausstieg steht auf der politischen Agenda: Minen müssen geschlossen, Kraftwerke abgeschaltet werden. Welche Aspekte muss die Politik dabei beachten? Wie können neue Arbeitsplätze mit vergleichbaren Standards geschaffen werden? Antworten in der vierten Folge.

Folge 5/6

Die Energiewende
Wie schaffen wir Energiesicherheit ohne Kohle? Der Strommarkt muss sich radikal verändern, damit die Energieversorgung unabhängiger, dezentraler und regionaler wird. Die fünfte Folge.

Folge 6/6

Die Sektorenkopplung
Für eine komplette Energiewende darf der Strom aus erneuerbaren Energien nicht nur für die Steckdose reichen, sondern muss den Energiebedarf des gesamten Verkehrs und der Wärme decken. Wie kann das klappen? Die Antwort in der letzten Folge.

Ein Leben neben dem Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg

Meine Führung endet nach gut zwei Stunden wo sie begonnen hat: im Besucherzentrum. Nachdem ich Helm und Schutzweste abgegeben habe, verlasse ich das Kraftwerk und laufe zehn Minuten über die Hauptstraße ins Dorf Moorburg. Claudia will mir erzählen, wie es ist, in direkter Nachbarschaft zum Kraftwerk zu leben.

Claudia Kuhlenkampff empfängt mich an der ehemaligen Schule.

Claudia Kulenkampff: Ich bin vor acht Jahren hierhergezogen, als gerade Klimacamp war und da sind die von Hamburg hierhergekommen für einen Tag.

Damals war das Kraftwerk noch in Bau, dagegen gab es Straßenblockaden und dagegen Wasserwerfereinsätze. Die Demonstrantinnen und Demonstranten sind weg, geblieben ist das Kraftwerk und Claudia Kulenkampff:

Und jetzt bin ich diejenige, die noch gegen das Kraftwerk protestiert - aber mit kreativen Mitteln. Ich war ja vorher auch schon hier und es fällt mir schwer wegen so eines Arschlochkratfwerkes jetzt meinen Lebensort aufzugeben. Wir haben uns hier viel aufgebaut, wir haben den Verein, ich habe meine Werkstatt hier. Wir haben hier eine große Community im Dorf. Wir helfen uns gegenseitig und machen viel gemeinsam und es ist schön, hier zu wohnen.

In Moorburg herrsche Kooperation, statt Konfrontation. Der Kraftwerkleiter wohnt in Moorburg. Sie kenne ihn persönlich, man respektiere sich. Das haben mir auch andere Moorburger/innen erzählt. Moorburg, ja, gerne lebt sie hier; und doch…

Claudia Kulenkampff: …Also das größte Problem sind die Schadstoffe...

Claudia scrollt durch ein Dokument auf ihrem MacBook, blättert durch einen Papierstapel.

Claudia Kulenkampff: Schwefeldioxid, Stickoxide. Und nicht wie sie immer sagen, das ist so ein modernes Kraftwerk mit so tollen Filtern - aber es ist eben ein besonders fettes Kraftwerk. Und wir haben einfach viel zu schlucken.

Aus Schloten von Kohlekraftwerken kommen laut Kohleatlas der Heinrich-Böll-Stiftung 53 Schadstoffe. Diese finden sich später in der Luft, im Boden oder im Wasser wieder. Sie landen in unserem Essen, im Trinken oder in unseren Lungen. Quecksilber ist besonders giftig. Im Kohleatlas der Heinrich-Böll-Stiftung heißt es dazu weiter:

Besonders Kinder sind durch die emittierten Schwermetalle gefährdet. Werden ihre Lungen in jungen Jahren geschädigt, bleiben sie später schwach. Sind Kinder im Mutterleib erhöhten Konzentrationen an Blei oder Quecksilber ausgesetzt, steigt ihr Risiko, später eine kognitive Störung zu entwickeln, also an Denkleistung einzubüßen. Zudem können sie irreversible Organschäden davontragen. 18.000 Menschen sollen jährlich an der Luftverschmutzung durch Kohle sterben.

3100 Menschen sterben pro Jahr durch deutsche Kohlekraftwerke

Ich verlasse Moorburg wieder. Mit gemischten Gefühlen - die Kraftwerksbetreiber pochen auf die Einhaltung der Grenzwerte, auf die moderne Anlage und auf die Notwendigkeit des Kraftwerks zur Versorgung Hamburgs mit Strom. Claudia spricht von Schadstoffen, und von der Ungewissheit, was die Emissionen genau hier in Moorburg auslösen, bei ihr und bei anderen. Bevor ich gehe, legt mir die Moorburgerin noch eine Studie ans Herz. Der Tod aus dem Schlot. Von Greenpeace.

Karsten Smid: Man weiß ja was die Genehmigungswerte sind, wie viel Staub, Quecksilber, Stickoxide dort ausgestoßen werden. Und man kann diese Zusatzbelastung auch in der Umgebung beziffern. Man kann sogar so weit gehen und sagen ‚Moorburg ist für ein Dutzend zusätzlicher Todesfälle in der Region und in Deutschland verantwortlich‘. Und das ist ganz klar. Kohle ist nicht nur klimaschädlich. Kohle ist auch giftig für Mensch und Umwelt.

Karsten Smid empfängt mich in einem Konferenzraum von Greenpeace.

Karsten Smid. Ich bin 58 und über 28 Jahre bei Greenpeace für Klima und Energiethemen und auch für die Energiewende zuständig.

2013 hat Greenpeace die Studie „Tod aus dem Schlot“ veröffentlicht. Darin ist nachzulesen, dass 3.100 Menschen im Jahr durch deutsche Kohlekraftwerke umkommen. Für die Region um Moorburg errechnet die Studie 54 vorzeitige Todesfälle. Klingt beängstigend.

Karsten Smid: Jetzt ist es natürlich so, dass gerade in der Umgebung von Moorburg im Hafengebiet auch andere Staubquellen vorhanden sind. Der Verkehr ist dort eine wesentliche Quelle. Da kommt eins zum anderen. Aber die Emissionen, die Moorburg emittiert, die sind unbestreitbar und die werden und müssen ja mit Auflagen auch dann von Vattenfall bekannt gegeben werden.

Umweltverbände kritisieren, dass die erlaubten Grenzwerte in Europa viel zu gering sind - und verweisen auf die USA. Ausgerechnet in den sonst ziemlich klimafeindlichen Staaten sind die Vorgaben viel strenger.

Karsten Smid: Kohle ist mit der dreckigste Energieträger, den wir haben. Das liegt einerseits an den klimarelevanten Emissionen, also den CO2-Emissionen, die zur Klimaerwärmung beitragen.

Claudia Kuhlenkampff
CO2 an sich ist nicht schlecht. Es gehört zu den Treibhausgasen und sorgt dafür, dass die Erde nicht auskühlt. Denn nur die Sonne reicht nicht aus, um die Erde angenehm warm zu halten. Im Gegenteil, ohne Treibhausgase wäre die Erde ein Eisplanet. Das Prinzip ist folgendes: die Erde strahlt Wärme ab, diese wird von den Treibhausgasen aufgenommen und teilweise zurück auf die Erde geschickt.

Zum Problem wird es erst, wenn der Ausstoß anthropogen, also vom Menschen verursacht wird. Je mehr CO2 wir in die Atmosphäre pusten, desto mehr absorbierte Wärme, desto mehr Wärme wird zurückgestrahlt: es kommt zur bekannten Klimaerhitzung. Die Kohlendioxidkonzentration ist in der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung um 40 Prozent gestiegen, die Erderwärmung etwa um 1,2 Grad.

Was haben deutsche Kraftwerke mit der Gletscherschmelze in den peruanischen Anden zu tun?

Kohlebefürworter/innen argumentieren gelegentlich damit, dass der Ausstoß deutscher Kraftwerke für das weltweite Klima unerheblich ist. Roda Verheyen glaubt sehr wohl, dass es einen Zusammenhang gibt und streitet dafür, dass deutsche Konzerne dafür zur Verantwortung gezogen werden.

Mein Name ist Dr. Roda Verheyen. Ich bin 44 Jahre alt und Partnerin in der Kanzlei Günther und Partner in Hamburg.

Roda Verheyen vertritt einen peruanischen Bauern. Saúl Luciano Lliuya lebt in Huarez. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen, sagt die Umweltorganisation Germanwatch. Schuld daran ist ein Gletschersee. Dieser wird für den Kleinbauern Saúl zur Bedrohung. Deswegen hat er RWE verklagt, erklärt seine Anwältin Verheyen:

Roda Verheyen: Die RWE AG ist der größte Einzelemittent Europas. Heute und in Vergangenheit. Es gibt wissenschaftliche Studien über die Quantifizierung von historischer Verantwortlichkeit von privaten Unternehmen im Hinblick auf den globalen Klimawandel: auf der Grundlage ist die RWE AG für zirka 0,5 Prozent der globalen Erwärmung verantwortlich bzw. 0,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen, in Klammern CO2, aus industriellen Quellen. Sie sehen schon, das ist ein bisschen kompliziert, aber jedenfalls gibt es eine Quantifizierung des Ganzen. Denn logischerweise ist die RWE eher nicht verantwortlich für den globalen Klimawandel.

Das wäre unschlüssig, erklärt sie. Für viele, und auch für mich, mag es überhaupt unschlüssig sein, dass die RWE für eine Gletscherschmelze in den Anden verantwortlich sein soll. Deswegen präzisiert Verheyen auf meine ungläubige Nachfrage:

Roda Verheyen: Das heißt, das Problem sind die global wirksamen Treibhausgasemissionen, die in Deutschland verursacht werden, die sich akkumulieren in der Atmosphäre und zur lokalen Temperaturerhöhung im Trend führen und dadurch zu einer erheblichen Zunahme der Gletscherschmelze und vor allem Verringerung der Eisstabilität führen. Das heißt, mehr Eisstücke fallen in den See und damit kommt es auch zu einer Zunahme von dem Wasservolumen, was in diesem See zurückgehalten werden muss.

Der See läuft über, die Stadt wird überschwemmt, das ist die Befürchtung. Eine Grundlage für die Klage ist der Weltklimabericht. Dort lese ich nach, dass der Klimawandel, bzw. die Erhöhung der Temperatur die Gletscher in den Anden schmelzen lässt. Die peruanischen Gletscher sollen in den letzten Jahren um etwa 40 Prozent geschmolzen sein.

Roda Verheyen: Auf der Grundlage ist die RWE, aus Sicht meines Mandanten, erheblich dafür verantwortlich, dass er ein Problem hat und zwar ein akutes Überflutungsproblem durch die Lagune oben in den peruanischen Anden. Er selber lebt in Huarez in seinem Haus, und dieses Haus würde sicher überflutet werden.

Ein wichtiges Urteil für Kohlegegner/innen

Das Landgericht Essen hat die Klage abgewiesen. Verheyen und Luciano kämpfen weiter und wenn ein deutsches Gericht RWE zu Schutzmaßnahmen verurteilen würde, dann wäre das ein Novum und ein Desaster für die Kohlenstoffindustrie. Denn erstmals würde ein Konzern haftbar für globale Klimaschäden gemacht. Von der negativen Entscheidung lässt sie sich nicht entmutigen. Einen anderen Fall hat die Anwältin gerade gewonnen. Das Urteil ist wichtig für Kohlegegnerinnen und -gegner.

Roda Verheyen: Ein örtlicher Energieversorger, die Rheinenergie AG hat gegen Campact und eine kleinere Bürgerinitiative eine einstweilige Verfügung erwirkt, um zu erreichen, dass nicht mehr folgende Behauptung aufgestellt wird: Dass nämlich die Braunkohlegewinnung in den Tagebauen und die Verbrennung in diesem kleinen Kraftwerk in Merkenich in Köln zu erheblichen Gesundheitsschäden der Atemwege und des Kreislaufs führen, durch Feinstaub, Stickoxide und Quecksilber und dass sozusagen genau auf dieses eine Kraftwerk in Köln Merkenich, zirka 20 vorzeitige Todesfälle entfallen.

Gerne erwecken die Betreiber von Tagebauen und Kraftwerken den Eindruck, dass die Emissionen relativ unbedeutend sind. Das Urteil spricht eine andere Sprache.

Roda Verheyen: Das macht die tatsächliche Gefährdung durch den Feinstaubausstoß und insbesondere durch die Schwermetalle, die dort aus dem Schlot kommen tatsächlich greifbar, auch für die allgemeine Öffentlichkeit. Das Verfahren wurde durch Vergleich beendet. Der Inhalt des Vergleichs ist aber faktisch, dass diese Aussage weiter getätigt werden darf. Mit kleinen Abwandlungen. Aus meiner Sicht bedeutet das eine Absicherung aller Journalisten, NGOs und Bürgerinitiativen.

Keine gute PR. Die Konzerne versuchen alles, um weiter mit der Kohle Geld zu verdienen. Das treibt mitunter absurde Wurzeln wie ich in einem Artikel der New York Times lese:

Executives of the three companies — Cloud Peak Energy, Peabody Energy and Arch Coal — are going so far as to make common cause with some of their harshest critics, including the Natural Resources Defense Council and the Clean Air Task Force. Together, they are lobbying for a tax bill to expand government subsidies to reduce the environmental impact of coal burning. The technology they are promoting is carbon capture and sequestration.

Die neue Technologie Carbon Capture and Storage ist keine Wunderwaffe

Dem New York Times-Artikel nach haben die Geschäftsführer von drei großen Unternehmen – Cloud Peak Energy, Peabody Energy und Arch Coal – gemeinsame Sache gemacht mit ihren härtesten Kritikern. Darunter zwei große Umweltschutzorganisationen in den USA. Gemeinsam, so heißt es weiter, setzen sie sich für die Carbon Capture Technologie ein.

Carbon Capture Storage, das habe ich in deutschen Medien länger nicht gehört. Die Idee dahinter ist es, das CO2 abzufangen und im Boden zu verpressen. Karsten Smid ist wieder mal Spielverderber.

Karsten Smid: Bei der CO2-Abscheidung am Kraftwerk selbst ist sehr viel Energie notwendig. Das heißt, sie setzen hinter das Kraftwerk eine neue chemische Anlage, die sehr viel Energie verbraucht und somit sinkt der Gesamtwirkungsgrad vom dem, was neue Kraftwerke haben können, von an die 50 Prozent wieder zurück um 10 Prozent auf ca. 40 Prozent.

Damit wäre also nichts gewonnen, eher ein Rückfall ins letzte Jahrhundert. In Deutschland hat sich die Technik ohnehin nicht durchgesetzt.

Karsten Smid: Erstens weil es viel zu teuer ist. Zweitens weil es technisch doch viel herausfordernder ist. Und drittens, weil es enorme Risiken gibt und dass diese auch juristisch nicht bewältigt sind. Mit Fragen: ‚bleibt das CO2 eigentlich dauerhaft im Boden, können dort Leckagen passieren? Wie gehe ich eigentlich damit um, dass ich mit solch hohem Druck das CO2 dort im Untergrund verpresse? Erreiche ich dann nicht irgendwelche Mikrordbeben?‘ 

Karsten Smid fügt noch hinzu, dass auch Moorburg mit so einer Anlage ausgerüstet werden sollte. Dort sagte mir Gudrun Bode, diese Pläne habe man wieder aufgegeben.

„Gudrun Bode: Diese CCS-Abscheideanlage war geplant. War auch technisch geplant, nur da man in hier Deutschland entschieden hat, dass abgeschiedenes CO2 in den Erdboden nicht eingebracht wird, ist diese Technik nicht umsetzbar hier für uns. Es war alles geplant, aber das Unternehmen hat die Technik dann abgeben.“

„Autor: Nach Kanada?“

„Gudrun Bode: Nach Kanada, genau. Und es wird hier nicht umgesetzt.“

Carbon Capture and Storage soll schmutzige Kohlekraftwerke klimaneutral machen. CCS gehört in eine Reihe von riskanten Technologien, mit denen die Erderhitzung mit Ingenieurskunst aufgehalten werden soll. Mit technischen Eingriffen soll die CO2-Konzentration in der Atmosphäre abgebaut werden. Diese so genannten negativen Emissionen werden zuweilen als Wunderwaffe gegen die Erderhitzung gehandelt.

Der Klimaökomon Ottmar Edenhofer sagt, dass CCS eine kosteneffektive Option sei, Zeit zu kaufen, im Kampf gegen die Klimakrise. Mit negativen Emissionen, so die Wette, könnte das uns verbleibende CO2-Budget vergrößert werden. Manche Wissenschaftler sagen, um die Klimaerhitzung auf unter 2 Grad bis Mitte des Jahrhunderts zu begrenzen, dürfen nicht mehr als rund 600 Gigatonnen Treibhausgase freigesetzt werden.

Das Kohle-Budget beschäftigt uns in der nächsten Folge, wenn es um die Fossil-Free-Bewegung geht und darum, wie Finanzmarkt und Kohle zusammenhängen. Und da geht es zu Sache.

Das war der erste von sechs Teilen einer Podcast-Reihe zum Ausstieg aus der Kohle. Sie können alle Episoden abonnieren, oder bei Soundcloud, Deezer und Spotify hören. Mehr zum Thema finden Sie in unserem Kohleatlas.

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Ein Böll.Spezial von Jan Schilling.
Ton und Technik: Jan Schilling
Redaktion: Stefanie Groll