Myanmar: Vom Vor-, Quer- und Andersdenken

Ein Demonstrationszug aus Zivilisten und Mönchen in Rangun.
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Ein Demonstrationszug aus Zivilisten und Mönchen in Rangun.

Deliberative Demokratie: Seit mehr als zehn Jahren fördert die Heinrich-Böll-Stiftung Studierende aus Myanmar, die jetzt aktiv am politischen Transformationsprozess ihres Heimatlandes beteiligt sind.

Sie hätte eigentlich der erstgeborene Sohn sein sollen. Doch als die Tochter auf der Welt war, konzentrierte sich ihr Vater auf das, was aus ihr werden sollte. Bildung, das bläute er ihr immer wieder ein, war der Schlüssel zum Erfolg, den er selbst in seinem abgelegenen Heimatdorf nie hatte bekommen können. Und Naw Ei Ei Min, deren Name die „Sanfte” bedeutet, kämpfte sich durch. Nach dem Schulabschluss folgte der Bachelor in Englisch am theologischen Institut in Yangon, dann die Anstellung bei einer kleinen lokalen Nichtregierungsorganisation. Über eine e-Mail wurde sie dort auf das Stipendienprogramm der Heinrich-Böll-Stiftung aufmerksam und war sofort Feuer und Flamme. „Eigentlich hatte ich damals schon meinen heutigen Mann kennengelernt”, erzählt Ei Ei, „aber meine Eltern wollten, dass ich erst gut ausgebildet bin, bevor ich heirate”. So bewarb sie sich auf das Masterstudium in „International Development Studies” an der Chulalongkorn Universität in Bangkok, bekam den Stipendienplatz und brach im August 2011 zu ihrem fast zweijährigen Auslandsaufenthalt in der thailändischen Hauptstadt auf.

„Weißt Du, eigentlich ist Bangkok distanzmäßig gar nicht weit weg von Yangon”, erläutert Ei Ei. Dennoch liegen nicht nur was Bildungsmöglichkeiten anbelangt Welten dazwischen – ein Potenzial, das die Heinrich-Böll-Stiftung bereits 2004 erkannte. Schon damals startete die Nachwuchsförderung mit dem Ziel, ausgewählten Bachelor-Studierenden aus Myanmar ein Masterstudium in Thailand zu ermöglichen und ihre regionalen Netzwerke zu stärken. Für die Stiftung eröffnete sich damit die Chance, trotz der damals sehr begrenzten politischen Handlungsmöglichkeiten Kontaktnetzwerke nach Myanmar aufzubauen und junge Hoffnungsträger/innen innerhalb Myanmars zu fördern, die durch die internationalen Sanktionen von Förderprogrammen oft ausgeschlossen blieben. Damals wurden die Programme in Myanmar noch aus dem Stiftungsbüro in Thailand koordiniert. Inzwischen gibt es ein eigenes Büro in Yangon, in dem auch ein ehemaliger Stipendiat arbeitet.

Dank der konstanten Förderquote von etwa fünf Studierenden pro Jahr konnten bisher sechzig junge Frauen und Männer aus allen Landesteilen ihr Masterstudium an ausgewählten Universitäten in Chiang Mai und Bangkok abschließen. Für ihre Abschlussarbeiten forschten sie zu spannenden Themen wie Vertreibung und Migration, Landkonflikte, Kindersoldaten-, und Kinderarbeit oder zum interreligiösem Dialog in Myanmar. Der Wert dieser empirischen Forschung zu oft sensiblen Themen liegt auch in dem unmittelbaren Zugang der lokalen Forscher/innen, der internationalen Akademiker/innen oft verwehrt bleibt. Damit leisten die jungen Studierenden einen bedeutenden Beitrag, zur sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschung in ihrem Land. Gleichzeitig ermöglicht der Aufenthalt an thailändischen Universitäten den Studierenden einen Reflektions- und Diskussionsraum, wie er in Myanmar bisher nicht vorhanden war, und ermöglicht ihnen damit neue Perspektiven auf ihr Heimatland. „Manche haben beispielsweise erst verstanden, was die Probleme der ethnischen Minderheiten in Myanmar sind, als sie sich in Thailand erstmals frei mit Organisationen ethnischer Minderheiten austauschen konnte”, berichten Mitarbeiter im Büro der Heinrich-Böll-Stiftung.

Auch aus politisch strategischer Perspektive war das Programm weitsichtig. Denn bereits kurz nachdem Ei Ei nach Bangkok aufgebrochen war, kam es 2011 zu der lang ersehnten politischen Öffnung der jahrzehntelangen Militärdiktatur. Mittlerweile sind die Alumni des Stipendienprogammes der Heinrich-Böll-Stiftung selbst aktiv am aktuellen politischen Transformationsprozess beteiligt: sie arbeiten in nationalen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, sind im Bildungssektor oder in den Medien tätig. Auch Naw Ei Ei Min wurde nach ihrer Rückkehr nach Myanmar selbst aktiv und gründete gemeinsam mit ihrem Mann eine gemeinnützige Organisation, um gegen die wachsende Ausbeutung indigener Völker in Myanmar zu kämpfen, deren Landbesitz im Zuge der ökonomischen Reformen vom Ausverkauf an ausländische Investoren bedroht ist. Mittlerweile ist sie selbst Mutter eines kleinen Sohnes und formuliert ihre Zukunftsvision so: „Er soll unter anderen politischen Verhältnissen aufwachsen als ich, und unsere gemeinsamen Bodenschätze sollen für das Wohl der Gemeinschaft eingesetzt werden!”

Viele der Alumni sehen die aktuellen Entwicklungen in Myanmar auch mit Sorge. Der Run internationaler Geberorganisationen und Investoren auf das sich öffnende Land verspricht lukrative Arbeitsplätze für gut ausgebildete junge Menschen. Dabei bleibt der jungen Generation kaum Zeit, sich zu orientieren und darüber nachzudenken, wie sie an der Gestaltung eines neuen demokratischen Myanmars mitarbeiten wollen. Inzwischen beherrschen viele Studierende den Jargon der westlichen Geldgeber und träumen von einer Karriere in einer internationalen Organisation. Es fehlen aber Kontakte und Wissen über die Lebensbedingungen der marginalisierten Bevölkerung und politischen Visionen für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung. Für die Zukunft des Programms plant die Stiftung deshalb, politisch aktive Alumni bei der Verwirklichung kreativer Projektideen zu unterstützen und die Curricula der Studienprogramme für neue Stipendiaten durch gezielte Aktivitäten zum Thema Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit zu ergänzen.

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Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Für Demokratie - Vom Engagement der Heinrich-Böll-Stiftung in der Welt" und wurde im Rahmen der gleichnamigen Publikation erstellt.