Die Lehre kommt allmählich in den Vorstandsetagen an

Von Hannes Koch
Von Hannes Koch

Es gibt Anlass zur Hoffnung. Mehr Unternehmen als früher berücksichtigen in ihrer Geschäftspolitik soziale und ökologische Standards. Selbst Robin Goudsblom, Vorstand der Discount-Kette Lidl, räumte kürzlich „große Fehler“ ein und beschwor den fairen Umgang mit seinen Mitarbeitern. Den Beteuerungen des Lidl-Vorstandes mag man glauben oder nicht. In jedem Fall sind sie ein Beleg dafür, dass viele Unternehmen umdenken. Dazu trägt auch die Finanz- und Wirtschaftskrise bei. Wie die vergangenen zwei Jahre beweisen, führt das Streben nach maximalem Profit zu maximalen Risiken für Firmen und die Gesellschaft insgesamt. Diese Lehre kommt auch in den Vorstandsetagen an.

Ingo Schoenheit, Chef des Instituts Markt-Umwelt-Gesellschaft (Imug), sieht Fortschritte auf drei Ebenen: „Ökologische und soziale Aspekte spielen eine größere Rolle in der Unternehmenspolitik, aber auch in der Organisation und der Praxis der Firmen“.

Diese Einschätzung liegt nahe – kommt doch seit Beginn der 2000er-Jahre kein Konzern mehr ohne dicke Selbstdarstellungsbroschüren aus, die sein Handeln gegenüber Menschen und Umwelt ins beste Licht rücken. Sollte die Sozial- und Öko-Euphorie der Wirtschaft mehr sein als Schminke?

Der Sinneswandel ist auf allen Ebenen nachweisbar

Ja, das ist sie. Leicht belegbar ist dies auf der Ebene der Bekenntnisse. Die Zahl der Selbstverpflichtungen, Verhaltenskodizes und Nachhaltigkeitsberichte der Wirtschaft nimmt stetig zu. Dies hat aber auch Auswirkungen auf die praktische Unternehmenspolitik. Die Firmen müssen ihre eigenen Worte ernst nehmen – sonst würden sie sich der Öffentlichkeit und Politik gegenüber zu angreifbar machen.

Auch in der Organisation der Unternehmen lässt sich der Sinneswandel nachweisen. Ein Indikator ist hier die Zertifizierung nach der Norm ISO 14001. Um die Urkunde entsprechend der Richtlinien der International Organization for Standardization (ISO) zu erhalten, müssen die Firmen darstellen, wie sie den Schutz der Umwelt in ihrem Management verankern. Der Zuwachs ist eindrucksvoll: Zwischen 1999 und 2007 hat sich die Zahl der zertifizierten Firmen mehr als verzehnfacht. Weltweit wurde das ISO-Zertifikat an über 154 000 Unternehmen vergeben.

Alleine von 2006 bis 2007 kamen gut 26 000 Firmen hinzu. Interessanterweise hielt China den Spitzenplatz mit 30 000 ausgezeichneten Betrieben. Es folgten Japan (28 000) und Spanien (14 000). Deutschland stand 2007 mit knapp 5000 ISO-Unternehmen auf dem achten Platz. Auch hierzulande ist über die Jahre ein Zuwachs zu beobachten.

Der Fortschritt ist dennoch eine Schnecke

Die Frage ist nun, ob die Veränderungen auf den Ebenen der Firmenpolitik und des Managements in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden. Einen Hinweis gibt die Entwicklung auf dem Bio-Markt. Dieses Segment wächst in Deutschland stärker als der konventionelle Einzelhandel und hat inzwischen einen Marktanteil von gut sechs Prozent erreicht. Eine Untersuchung des Imug-Instituts unter den größten Einzelhändlern hat im Oktober 2008 ergeben, dass teilweise mehr als zehn Prozent aller in den Supermärkten angebotenen Produkte ein Siegel für ökologische oder soziale Qualität tragen.

Das sind gute Nachrichten. Und trotzdem ist der Fortschritt eine Schnecke. Die weitaus meisten Siegel bezeugen eine bestimmte ökologische Qualität. Mit sozialen Standards sieht es dagegen schlechter aus. Selbst, wenn sie existieren, darf man bezweifeln, dass sie überall eingehalten werden. Das Glück, in den europäischen Niederlassungen der großen Textilhändler zu arbeiten, haben die wenigsten Beschäftigten. Die meisten arbeiten in den Zuliefererbetrieben irgendwo rund um den Globus, die die Kontrolleure selten oder nie besuchen. Schlechte Löhne, überlange Arbeitszeiten und auch Kinderarbeit sind dort an der Tagesordnung. Bis hohe Sozialstandards für die Mehrheit der Beschäftigten weltweit gelten und nicht nur für eine Minderheit in den reichen Industrieländern, ist es ein weiter Weg.

Böll.Thema Ausgabe 1/2009 - Green New Deal

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