Im anti­ökologischen Backlash

Nicht die radikalen Klimaaktivist*innen sollten uns Sorge bereiten. Wirklich bedrohlich sind die Entsolidarisierung, die Panik und die Ignoranz in der «Mitte» unserer Gesellschaft.

In den Jahren von der Corona-Pandemie schien es kurz, als hätte die weltweite Klimabewegung endlich die Verweigerung und den weitgehenden Stillstand bei der sozialökologischen Transformation zur Abmilderung der Klimakrise durchbrochen. Doch wie so oft folgte dem Fortschritt sozialer Bewegungen der reaktionäre Backlash auf den Fuß. Antiökologische Ressentiments haben 2023 in Deutschland eine neue Virulenz erfahren. Dabei wurden Narrative auch von demokratischen Parteien reproduziert, die zuvor vor allem aufseiten der äußersten Rechten zu beobachten waren («Energie-Stasi», «Öko­faschisten», «Klimadiktatur» usw.). Waren es 2021 noch extrem rechte Akteur*innen, die einen schmutzigen Wahlkampf gegen die Grünen als Klimaschutzpartei führten, hat die antigrüne Polarisierung spätestens 2023 auch die demokratischen Parteien der Mitte erreicht, die der Partei «Klimaideologie» vorwerfen.

Keine Partei im deutschen Bundestag oder an der Regierung verfolgt eine Politik, mit der das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann. Die Gründe und Motive dafür sind vielfältig. Eine gewichtige Rolle spielen Einflüsse und Desinformationen mit dem Ziel, die Interessen fossiler Industrien zu wahren, Demokratien im Allgemeinen zu destabilisieren sowie die sozialökologischen Transformation im Besonderen zu blockieren. Putins digitale Infokrieger haben sich schon vor Jahren daran beteiligt, im Westen fossile Energien zu bewerben und gegen die ökologische Wende zu hetzen. Seit Jahrzehnten ist bekannt, wie große westliche Fossilunternehmen Einfluss nehmen, indem sie unter anderem PR-Kampagnen, Stiftungen, Thinktanks und Medien finanzieren. Gerade in den USA ist die organisierte Manipulation durch Ölkonzerne gut belegt. Sie wird derzeit journalistisch und wissenschaftlich aufgearbeitet und hat bereits Entschädigungsklagen nach sich gezogen.

Unter dem zunehmenden Druck, etwas gegen die Folgen der Klimakrise zu unternehmen, entwickeln sich neue politische Formationen und (Wirkungs-)Bündnisse gegen Dekarbonisierung und Klimagerechtigkeit. Im gesellschaftsnegierenden und staatskritischen bis staatsfeindlichen Rechtslibertarismus radikalisieren sich neoliberale und plutokratische Ideologien und Praktiken zu neuen Extremformen, die in dem neugewählten argentinischen Präsidenten und Klimawandelleugner Milei ein Vorbild finden. Ideologisch ist es im Sinne des «Extremismus des Ärgsten» (Hannah Arendt) folgerichtig, dass die Leugnung des Klimawandels, Klassismus, Sozial­darwinismus und Rassismus mit der Entsolidarisierung der äußersten Rechten einhergehen; häufig kommen antisemitische Verschwörungserzählungen hinzu. Ein großer Teil des Hasses richtet sich nun stellvertretend gegen die Grünen in der Regierung und meint eigentlich den Staat in seiner regulierenden Rolle. Zum staatlichen und demokratischen politischen Auftrag gehört es, Sicherheit und wohlfahrtsstaatlichen Ausgleich zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Inanspruchnahme von Freiheiten nicht die Freiheiten anderer beschränkt. Doch die Rechtslibertären möchten den Staat schwächen oder zerschlagen.

Tatsächlich zerstören wir aktuell systemisch durch den Überverbrauch ökologischer Ressourcen nicht nur die Freiheiten künftiger Generationen, sondern auch die Lebens- und Freiheitschancen von Menschen und Regionen, die besonders durch den Klimawandel bedroht sind. Staatlicher Ausgleich müsste vor allem Veränderungen der Reichsten und Mächtigsten fordern, die die Hauptverantwortung für die Erderhitzung tragen. Neben den kulturell und ökonomisch eingebrannten Mechanismen von Rassismus, Klassismus und Sexismus leiden insbesondere diejenigen unter dem industrie-gemachten Klimawandel, die für seine Ursachen am wenigsten Verantwortung tragen: nicht-weiße Menschen, arme Menschen und überproportional auch Frauen. Die globalen und intersektionalen Ungleichheiten und die scheinbare Ausweglosigkeit beschleunigen politische Entsolidarisierung und Radikalisierung sowie eine exkludierende Abschottung nach außen und nach unten. Dabei wurde der schöne Wert der «Freiheit» zu einem rechtsideologischen Kampfbegriff der Sicherung eigener Privilegien umgedeutet, den beispielsweise EIKE, das rechtsradikale Pseudoinstitut der deutschen Klimaleugnungsszene, mit dem Slogan instrumentalisiert: «Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit.»

Die Bedrohung geht nicht von radikalen Klimaaktivist*innen aus, wie manche behaupten, sondern durch Entsolidarisierung, Panik, Verrohung und Ignoranz in der «Mitte» der Gesellschaft. Das wirkt zusammen mit einer strukturell und institutionell gewaltsamen Entsolidarisierung und Abschottung zum Schutz der relativen Privilegien im Status quo globaler sozialer Ungleichheiten, die in der Klimakrise sichtbar und durch sie verstärkt werden. 


Dr. Matthias Quent ist Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. 2022 veröffentlichte er mit Christoph Richter und Axel Salheiser das Buch «Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende» (Piper). 

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