Es bleibt in der Familie, so oder so

Eigentum muss nicht allein der Profit­maximierung gewidmet sein. Auch ein werte­orientiertes Wirtschaften ist möglich. Mit Verantwortungseigentum. 

Ein schwarz-weißes Bild Yvon Chouinard, Chris Tompkins und Doug Tompkins zusammen in den Bergen. Es gibt zwei Pferde neben der Kleingruppe

In einer Sache sind sich die allermeisten Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einig: Wir befinden uns inmitten eines Transformationsprozesses. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen werden nicht kleiner, und in vielerlei Hinsicht gilt es, neu zu denken. In diesem Zusammenhang ist eine bestimmte Unternehmensform nicht mehr wegzudenken aus der Debatte um werteorientiertes Wirtschaften, die unter dem Schlagwort Verantwortungseigentum bekannt geworden ist und nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Beachtung findet. Der Outdoor-Hersteller Patagonia stellte sich mit einem Paukenschlag vergangenen September entsprechend auf – und der Spiegel titelte kürzlich bereits über den «Wirtschaftstrend Verantwortungseigentum». Worum geht es dabei? Im Kern um ein treuhändisches Eigentumsverständnis, bei dem Kontrolle und Vermögen langfristig an ein Unternehmen gebunden bleiben und der Fokus unwillkürlich auf den Zweck oder auch Purpose des Unternehmens ausgerichtet ist.

Ein schwarz-weißes Porträt von Yvon Chouinard
Yvon Chouinard gründete Patagonia 1973. Nun hat er seine Firma dem Umweltschutz vermacht. Yosemite, Kalifornien. 1974

Das Problem: Dieses Eigentumsverständnis ist nicht ohne Weiteres umsetzbar, denn das deutsche Gesellschaftsrecht sieht eine langfristig rechtlich verbindliche Vermögens­bindung nicht vor. Weil aber der Bedarf in der Unternehmerschaft nach einer Option in Sachen neuer Eigentumsformen immer größer wird, hat die amtierende Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie eine neue Rechtsform für Unternehmen in Verantwortungseigentum auf den Weg bringen will: «Zu einer modernen Unternehmenskultur gehören auch neue Formen wie Sozialunternehmen oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen. [...] Für Unternehmen mit gebundenem Vermögen wollen wir eine neue geeignete Rechtsgrundlage schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt», heißt es da.

Das braucht es dringend – denn hinter einer «Gesellschaft mit gebundenem Vermögen» steckt zweierlei, das für die Wirtschaft der Zukunft von großer Bedeutung sein wird: Zum einen wird so die längerfristige Perspektive des Unternehmens gestärkt. Nicht der kurzfristige Shareholder Value, sondern die ökonomisch nachhaltige Entwicklung des Unternehmens und seine Unabhängigkeit stehen im Vordergrund. Zum Zweiten lenkt die Bindung von Vermögen und Gewinnen die unternehmerische Aufmerksamkeit auf den Zweck und die Aufgabe des Unternehmens. All das funktioniert über zwei zentrale Prinzipien, die in der Eigentümerstruktur, also im Betriebssystem des Unternehmens, rechtlich verbindlich verankert werden: Das Prinzip der Vermögensbindung besagt, dass Vermögen und Gewinne immer an das Unternehmen gebunden bleiben und nicht von den Eigentümern für privatkonsumtive Zwecke entnommen werden können. Gewinne werden reinvestiert, zur Deckung von Kapitalkosten oder für höhere Mitarbeitergehälter verwendet – oder auch gemeinnützig gespendet. Sie sind kein Selbstzweck, sondern stets Mittel zum Zweck. Die Mehrheit der Stimmrechte liegt immer in den Händen von Menschen, die mit dem Unternehmen verbunden sind - es gilt das Prinzip der Selbstbestimmung. Das Unternehmen wird nicht mehr automatisch vererbt, sondern innerhalb einer Art Werte- und Fähigkeitenfamilie treuhändisch weitergegeben.

Unternehmen finden keine Nachfolger in der Familie

Das bringt auf vielen Ebenen Vorteile mit sich. Zunächst ist das Konzept aus zwei Perspektiven interessant. Zum einen für sinnorientierte Start-ups, die keinen gewinnbringenden Exit anstreben, sondern etwas verändern und dabei selbstbestimmt bleiben wollen. Mittels der Prinzipien von Verantwortungseigentum können sie rechtsverbindlich das Versprechen an Kunden, Mitarbeiterinnen und andere Stakeholder geben, dass Gewinne nicht entnommen werden, sondern in die Sache fließen. Zum zweiten bietet Verantwortungseigentum für Mittelständler und Familienunternehmen eine wertvolle Option für die Nachfolgeregelung: Eine steigende Zahl solcher Unternehmen findet in der Familie keine passenden Nachfolger mehr. Und fähige Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter müssten die Firma erst kaufen und sich verschulden. Der letzte Notausgang, der in dieser Situation bleibt, ist der Verkauf an Externe. Das wollen viele mittelständische Familienunternehmer:innen aber nicht, denn sie fürchten um ihr Lebenswerk.

Verantwortungeigentum bietet hier eine wichtige Alternative: Da das Unternehmen treuhändisch geführt wird, kann es auch von fähigen und werteverwandten Menschen einfach übernommen werden – sozusagen von geistigen Erben, nicht leiblichen, und das, ohne es teuer kaufen zu müssen. Auf diese Weise bleibt die Firma auch künftig vor Spekulation geschützt und langfristig unabhängig. Was der Familienunternehmer qua Tradition gelebt hat, gilt für die gefundenen Nachfolgerinnen rechtsverbindlich: Sie können das treuhändische Eigentum nicht versilbern. Um Schweiß, Blut und Tränen in der Gründungszeit zu honorieren, kann natürlich eine passende Kompensation erfolgen. Und die neuen Verantwortungseigentümer müssen nicht asketisch leben, weil sie des Zugriffs auf die Vermögenswerte entbehren – sie können gut verdienen, allerdings dürfen marktübliche Vergütungen nicht überschritten werden. Der Bedarf im Mittelstand ist riesig: Laut einer Allensbach-Studie können sich 42 Prozent der befragten Familienunter­nehmer:innen Verantwortungseigentum als Nachfolgelösung vorstellen und 72 Prozent sind für die Einführung einer dazu passenden neuen Rechtsform.

Neben den schon skizzierten Vorteilen kann Verantwortungseigentum weitere Effekte nach sich ziehen, die unternehmerisch, ökonomisch und gesellschaftlich wünschenswert sind. In Dänemark beispielsweise ist Verantwortungseigentum aufgrund eines für seine Umsetzung geeigneteren Stiftungsrechts wesentlich häufiger vorzufinden. Und dänische Studien zeigen: Diese Unternehmen sind diverser aufgestellt, sie agieren nachhaltiger, sind langlebiger, krisenresilienter und innovativer. Zudem weisen sie eine geringere Mitarbeiterfluktuation auf – es geht häufig gerechter zu. Das liegt ein wenig auf der Hand: Gewinne werden ja nicht abgeschöpft, sondern reinvestiert. Der Spielraum für Gehaltserhöhungen ist größer. Auch insgesamt weitet sich der Gestaltungsspielraum. Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sieht daher in Verantwortungseigentum eine Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft. Er beobachtet, «dass wir Unternehmen haben, die langfristiger orientiert sind, die auch resilienter sind gegenüber Schocks, gegenüber Rezession, gegenüber Krisen. Das bedeutet auch, dass wir letztlich mehr Innovationskraft haben.»

Verantwortungseigentum ist eindeutig ein Weg in die Zukunft. Wo ist also der Haken an all dem? Nun, aktuell hängt es an der Politik.

Eindeutig ein Weg in die Zukunft. Wo ist der Haken?

Verantwortungseigentum ist eindeutig ein Weg in die Zukunft. Wo ist also der Haken an all dem? Nun, aktuell hängt es an der Politik. Denn Verantwortungseigentum ist nur über Umwege umsetzbar. Innovative Start-ups wie Einhorn und Vyld beispielsweise nutzen ein Veto-Modell der Purpose-­Stiftung, eine Art Hack im rechtlichen System, das, wie eingangs erwähnt, weder Vermögensbindung noch treuhändische Weitergabe ohne Weiteres vorsieht. Und große Pioniere wie Bosch oder Zeiss haben Stiftungsstrukturen gewählt, um ihren Unternehmenszweck und ihre Unabhängigkeit abzusichern. Das ist für Mittelständler und Start-ups kein gangbarer Weg. Zum einen sind Stiftungskonstrukte zu komplex und teuer, zum anderen ist das deutsche Stiftungsrecht – anders als in Dänemark – nicht zum Halten von Unternehmen gemacht. Es ist zu starr und zu wenig kompatibel mit unternehmerischem Denken. Laut Umfragen empfinden dies auch Unternehmerinnen und Unternehmer so. Mehr als 1.200 von ihnen haben sich daher zusammengetan, um die neue Rechtsform zu fordern: die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen. Nur sie würde es Unternehmen in der Breite ermöglichen, ein treuhändisches Eigentumsverständnis umzusetzen – als eine weitere Option im Kanon der Rechtsformen. Die Ampelkoalition hat das Problem erkannt und Abhilfe versprochen. Nun ist es an der Zeit, das Versprechen einzulösen. 


Armin Steuernagel ist Geschäfts­führender Vorstand der «Stiftung Verantwortungseigentum» und mehrfacher Unternehmensgründer.

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