Friends with(out) benefits? - Das US-Türkei Verhältnis auf dem Prüfstand beim NATO Gipfel

Analyse

Im Tinder-Zeitalter zeichnet sich eine sogenannte Freundschaft plus (engl. ("friends with benefits“) weniger durch freundschaftliche Zuneigung, als dadurch aus, dass man auch ohne eine Liebesbeziehungen zu haben, auf die Vorteile einer solchen nicht verzichten muss. In der Beziehung zwischen Ankara und Washington, die über die letzten Jahre erheblich erkaltet ist, hat sich dagegen eine Partnerschaft etabliert, bei der beide Seiten regelmäßig öffentlich in Zweifel ziehen, dass es eine Partnerschaft sei und, dass sie überhaupt irgendwelche „benefits“ habe.

Flagge: USA und Türkei

Die ehemalige Freundschaft Plus, die auf dem Mächtegleichgewicht des kalten Krieges erbaut war, liegt öffentlich in Trümmern. Beim NATO Gipfel soll, so ist die Hoffnung Ankaras, die Beziehung wenn nicht zu einer Liebeshochzeit, so doch zumindest wieder zu der realpolitischen Vernunftehe zurückgeführt werden, die sie einstmals war. Doch ist das realistisch?

Das Verhältnis der USA zur Türkei war immer und ist auch heute noch in erster Linie eine militärische Partnerschaft. Geboren aus der sowjetischen Bedrohung als Frontstaat trat die Türkei der NATO bei, obwohl sie ursprünglich gehofft hatte, unabhängig zu bleiben. Für die USA war die Türkei neben Israel und Saudi-Arabien, einer von drei maßgeblichen Pfeilern im Nahen Osten. In dem Maße, in dem die Bedrohung durch die UdSSR schwand, der Einfluss des Militärs auf den türkischen Staat abnahm und sich die außenpolitischen Herausforderungen im Nahen Osten veränderten, schwand auch die Grundlage für die türkisch-amerikanische Allianz.

War das einstmals gute Verhältnis zu Präsident Obama besonders über den amerikanischen Kurs im Syrienkrieg, sowie den Versuch der türkischen Führung, die USA für den Putschversuch in 2016 verantwortlich zu machen, erkaltet, hatte sich die Beziehung in der Amtszeit Trumps wieder verbessert. Dessen Sympathie für starke Männer wie Erdogan, sein Interesse an einem Truppenabzug aus Syrien, sowie nie nachgewiesene, aber zumindest vermutete wirtschaftliche Interessen in der Türkei ebneten den Kurs für eine amerikanische Politik, die sich wenig für die Autoritarisierung der türkischen Innenpolitik interessierte. Zu Syrien vertrat Trump eine bestenfalls schwankende Haltung vertrat und er setzte sich dafür ein Verstimmungen im Senat und Kongress und damit verbundene Sanktionen gegen die Türkei abzuwenden. In der türkischen Opposition witzelte man über die sogenannte „Schwiegersohn-Diplomatie“, in der die Schwiegersöhne Jared Kushner und Finanzminister Berat Albayrak hinter den Kulissen Vereinbarungen trafen, deren genauer Nutzen der amerikanischen Seite oft eher zweifelhaft erschien. Die Türkei bekam sehr häufig, was Erdogan sich wünschte. Die Verstimmung in Ankara war groß, als Trump die Wahl im letzten November verlor. Schon allein die Tatsache, dass mit dem Wahlsieg eine Abkehr von einer rein personalisierten Außenpolitik hin zur Stärkung der Institutionen vollzogen wurde, widerspricht der Art wie Erdogan selbst Politik macht. Der türkische Präsident brauchte mehrere Tage, bevor er sich zu einem Glückwunsch an Biden überwinden konnte. Die Ablehnung ist allerdings wohl gegenseitig; erst Ende April erklärte sich Biden zu einem ersten Telefonat mit dem türkischen Präsidenten bereit. Am Montag, den 14. Juni 2021 treffen sich die beiden Präsidenten jetzt zum ersten Mal persönlich.

Gesprächsthemen gibt es genug: die türkische, oft abenteuerliche Interventionspolitik, die amerikanische Weigerung den Prediger Fethullah Gülen, den Ankara für den Drahtzieher des gescheiterten Putschs hält, auszuliefern, die amerikanische Bewaffnung des syrischen PKK-Ablegers YPG/J, das türkische Unterlaufen der amerikanischen Iran-Sanktionen und natürlich die Autoritarisierung der Türkei im Inneren. Gerade Letztere möchte die türkische Seite am liebsten gar nicht ansprechen, in den Erörterungen darüber, was zur Verstimmung in Washington geführt hat, sparen türkische Kommentatoren und Regierungspolitiker den Punkt tunlichst aus. Aus türkischer Sicht soll es um rein außenpolitische Fragen gehen – was früher funktioniert hat, muss doch auch heute noch gehen.

Die Biden-Administration hat durchaus ein Interesse an einem „Zurück zu Altbewährtem“, allein die Koordinaten der türkischen Außenpolitik werden dies kaum zulassen. Die türkische Kalkulation ist aber nicht völlig aus der Luft gegriffen: die geostrategische Bedeutung der Türkei mit der zweitgrößten NATO-Armee und als traditionelles Bollwerk an der Südostflanke der Allianz hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass sich sowohl die USA, als auch die EU lieber auf den sicherheitspolitischen Aspekt der Partnerschaft beschränkten und bzgl. der Menschenrechtsverletzungen und antidemokratischen Entwicklungen in der Türkei beide Augen zudrückten oder die jeweilige Regierung sogar noch ermutigten. Die Zeiten haben sich geändert.

Gerade im Pentagon, dem traditionell wichtigsten Fürsprecher für die Unentbehrlichkeit der türkisch-amerikanischen Partnerschaft, wird die Türkei seit dem Krieg in Nordsyrien das Image des potentiell gefährlichen Einzelgängers nicht mehr los, der im schlimmsten Fall als eine echte Gefahr für die Sicherheit der amerikanischen Truppen angesehen wird. Der gute Wille im Kongress ist schon seit einigen Jahren Geschichte: Parteiübergreifend sind Abgeordnete im Senat und Kongress eigentlich der Ansicht, dass die Türkei mit Sanktionen belegt werden sollte. Und dabei geht es nicht allein um sicherheitspolitische Erwägungen: als beim letzten Staatsbesuch Erdogans seine Leibwächter prokurdische Demonstranten am Dupont Circle zusammenschlugen war für viele Abgeordnete nicht nur das Maß voll, es zeigte sich auch, dass sich die türkische Innen- nicht so leicht von der Außenpolitik trennen lässt.

Dass Biden dem Drängen Ankaras die autoritäre Innenpolitik zu ignorieren nachgibt, ist schon deswegen eher nicht wahrscheinlich. Mit der Anerkennung des Armenier-Genozids im April, hat der US-Präsident nicht nur mit der Linie seiner Vorgänger gebrochen, sondern Ankara ein deutliches Zeichen gesandt, dass er sich auf Einiges einstellen muss. Als Vize-Außenministerin Wendy Shermann im Mai die Türkei besuchte, trug sie gut sichtbar für die Kameras eine Gesichtsmaske mit dem türkischen Aufdruck: "Die Istanbul Konvention gehört uns!"  - Ein Slogan der türkischen Frauenbewegung gegen die geplante Nullifikation der Konvention des Europarats zur Verhütung häuslicher Gewalt, die die türkische Regierung für Juli angekündigt hat. US Außenminister Blinken machte ebenso wenig ein Geheimnis daraus, dass er der Ansicht ist, dass die Türkei sich weder wie ein Verbündeter verhält, noch dass die desaströse Menschenrechtslage im Land von den USA nicht beachtet werden wird. Die Frage bleibt daher, ob die Weigerung Ankaras irgendetwas an seiner Innenpolitik zu ändern, Konsequenzen haben wird.

Wenn, dann vermutlich nur indirekt. Blinken hat klargemacht, dass die türkische Westbindung weiterhin Priorität hat, und sei sie noch so lose zu erhalten. Anders als Trump wird er das scharfe Schwert der Sanktionsandrohung zwar nicht aus der Hand geben, ob es zum Einsatz kommt, ist aber ebenfalls unklar. Biden wird Erdogan zwar daran erinnern, dass schon symbolische Akte, wie etwa die Freilassung des Zivilgesellschaftmäzens Osman Kavala für ein großes Maß an gutem Willen sorgen würden, ähnlich wie die Europäer wird er dies aber vermutlich nicht mit Sanktionen oder positiven Anreizen unterfüttern.

Der Schaden für die Türkei liegt mittelfristig anderswo: Ankaras Idee, flexibel zwischen Verbündeten ad-hoch Allianzen schmieden zu können führt dazu, dass diejenigen, die in Washington noch pro-Türkei argumentieren, weiter geschwächt werden. Mehr und mehr wird das Land zu einem Partner, der in Washington entweder Augenrollen oder maximal Schulterzucken hervorruft. Der Abstieg vom zentralen Verbündeten in der Region zu „schon irgendwie wichtig, aber die Mühe nicht wert“ wird nicht zuletzt die türkische Rüstungspolitik, aber auch den Traum von einem Platz am Tisch der Großmächte eher beschädigen. Der sicherheitspolitische Wandel, der schon seit einiger Zeit läuft setzt eher auf Griechenland und Zypern als wichtige militärische Partner in der Region.

Angesichts der Tatsache, dass Präsident Erdogan innenpolitisch unter Druck steht und dementsprechend wenig Bewegungsfreiraum hat und außenpolitisch das Dogma einer neuen multipolaren Weltordnung vorherrscht, gibt es wenig, was die Türkei den Amerikanern Substanzielles anbieten kann. Die Frage nämlich, warum die Türkei ein wichtiger Verbündeter sein soll, kann auch in Ankara niemand überzeugend beantworten. Angesichts der Tatsache, dass die türkische Regierung genau das auch der eigenen Bevölkerung verkauft, nämlich, dass solch eine Allianz auch irgendwie verzichtbar und man besser dran wäre mit einer Mischung aus „splendid isolation“ und schnell wechselnden Bündnissen, fällt eine überzeugende Antwort auch schwer. Die anti-amerikanische Rhetorik der letzten Jahre mit der die Regierung die Bevölkerung aufstachelt tut ihr übriges.

Ankaras Argument von jeher ist seine geopolitische Lage und die hat man in den vergangenen Monaten auch wieder versucht ins Spiel zu bringen. Dass die Türkei der beste Partner zur Einhegung Russlands sei, ist angesichts der zunehmenden sicherheits- und wirtschaftspolitischen Verknüpfungen mit Moskau allerdings wenig glaubhaft. Zwar hat sich Ankara damit hervorgetan etwa bewaffnete Drohnen an die Ukraine und ggf. ins Baltikum zu verkaufen, was von Moskau prompt mit einem Tourismusboykott bestraft wurde und es versucht den USA durch eine enge Zusammenarbeit in der Schwarzmeerregion entgegenzukommen, aber es ist unwahrscheinlich, dass das für eine zukunftsträchtige Zusammenarbeit reichen wird. Ankaras Strategie, westliche Verbündete und Russland gegeneinander auszuspielen, kann nur solange erfolgreich sein, wie niemand den Bluff aufdeckt. Die Hand der Türkei wäre in diesem Fall erstaunlich leer. Die Strategie der USA Außenpolitik durch die Linse der globalen Auseinandersetzung mit China zu betrachten, macht die Zusammenarbeit mit Ankara nicht erfolgsversprechender. Mit der amerikanischen Verlagerung nach Asien geht für die USA die Strategie einher, regionale Staaten als Sicherheitsgaranten einzubinden. Die Eigenmächtigkeit der türkischen Außenpolitik und die in den letzten Jahren zunehmende Annäherung an China macht die Türkei hier zu einem reichlich unsicheren Kandidaten.

Trotzdem gibt es gute Gründe für Washington, die Türkei nicht zu stark in die Ecke zu drängen. Das Ziel scheint vielmehr zu sein, die eigene Abhängigkeit vom schwierigen Partner zu verringern und Ankara zumindest lose an die westliche Allianz zu binden. Ein gutes Beispiel ist Afghanistan: die ursprünglich geplante Friedenskonferenz mit den Taliban hatte man der Türkei zur Ausrichtung angeboten, gerüchteweise ist geplant, dass die Türkei ihre Truppenpräsenz in Afghanistan ausbaut und demnächst die Sicherung und den Betrieb des Flughafens Kabul übernehmen wird. Ankaras Interesse daran ist durchaus hoch, denn eine prominente Rolle in der NATO bedeutet immer auch ein Gegengewicht gegen ein zu übergriffiges Russland.

In Kernfragen etwa zu einem Friedensprozess mit der PKK oder dem S-400 System ist dagegen wenig Bewegung zu erwarten. Zu Zypern und dem östlichen Mittelmeer ist nicht mehr wahrscheinlich als eine temporäre Detente. Präsident Erdogan hat schon öffentlich gelobt, die Türkei würde nicht von ihren Positionen zurückweichen – vermutlich, weil er weiß, dass alle bisher angebotenen Optionen die USA nicht zufriedenstellend sind und alle anderen Angebote Verwicklungen mit Russland bzw. den Partnern von der nationalistischen MHP auslösen würden.

Der Unterschied in der Substanz lässt sich mit Erdogan im Präsidentenamt nicht überwinden, die Türkei wird im Systemwettbewerb, den die US Administration ausgerufen hat keine Schlüsselrolle einnehmen können. Einmal, weil sie nicht will und zum anderen, weil sie selbst mit einem Bein im Lager der Autoritären steht. Dass sie sich durch das Vabanque-Spiel in ihrer Außenpolitik für die USA auch als sicherheitspolitischer Partner entbehrlicher macht, wird mittelfristige Konsequenzen haben. Für den Moment, so ist zu erwarten, werden beide an ihrer ungeliebten Beziehung festhalten, schon allein, da sind wir zurück im Tinder-Zeitalter, weil gerade niemand besseres da ist.