Demokratiebewegung in Thailand: Repression und Zuversicht

Analyse

Die Enttäuschung über General Prayut Chan-o-chas leerem Versprechen von einer Rückkehr Thailands zur Demokratie ließ im Sommer 2020 eine Generation von Studierenden auf die Straße gehen und Veränderungen fordern. Was bedeuten die drastischen Gegenreaktionen des konservativen Establishments für die thailändische Demokratiebewegung?

Protestor

Zehntausende vor allem junge Menschen, mit Smartphones und Twitter-Konten ausgestattet, kamen im ganzen Land zusammen und mobilisierten unter dem Hashtag #WhatsHappeningInThailand gegen eine Regierung, die die lang herbeigesehnten Parlamentswahlen gerade ad absurdum geführt hatte. Nicht nur, dass Thailands Nationale Wahlkommission noch nach der Wahl das Auszählungsverfahren der abgegebenen Stimmen zugunsten der dem Militär nahestehenden Parteien änderte; es erlaubte auch den ausschließlich vom Regime handverlesenen Senatoren des einst als überparteilich etablierten Oberhaus der Nationalversammlung an der Wahl des Premierministers teilzunehmen, was General Prayut Chan-o-cha von Beginn an einen nahezu uneinholbaren Vorteil verschaffte.

Das Verbot der erst 2018 gegründeten und vor allem bei jungen Wähler/innen sehr erfolgreichen progressiven ‚Future Forward Party‘ im Februar 2020, war für Viele letztendlich nur noch die traurige Bestätigung, dass sich auch die Politik der neuen Regierung lediglich an den Interessen der traditionellen Eliten ausrichtet. Es ist Thailands etablierte Dreifaltigkeit der Machtkonzentration, die den Wohlstand des Landes bereits seit Jahrzehnten unter sich aufteilt: ein oligarchisches Wirtschaftssystem, das dem oberen 1% der Bevölkerung über zwei Drittel des thailändischen Gesamtvermögens zuspricht (PDF) und damit im globalen Ranking gerechter Wohlstandsverteilung einen der letzten Plätze einnimmt; ein tief in Thailands Staatsunternehmen verankertes und mit allen finanziellen Privilegien ausgestattetes Militär; sowie die reichste Monarchie der Welt.

The protests on 18 July 2020 in a large demonstration organized under the Free Youth umbrella (Thai: เยาวชนปลดแอก; RTGS: yaowachon plot aek) at the Democracy Monument in Bangkok.

Kurz nach dem Militärputsch im Jahr 2014 rüstete die Junta auch im virtuellen Raum auf und verschärfte ein bereits bestehendes Computer-Kriminalitätsgesetz, um die alten Machtstrukturen zu schützen und die politische Opposition nun auch digital schneller identifizieren und überwachen zu können. Dennoch wurden Polizei und politisches Establishment vollkommen überrascht, als im August 2020 Schüler/innen und Student/innen zu Tausenden auf die Straße gingen und nicht nur den Rücktritt des Ministerpräsidenten, sowie eine neue Verfassung forderten, sondern vor allem auch eine Reform der Monarchie verlangten, obwohl eine Infragestellung des königlichen Status zu den größten Tabus des Landes gehört. Doch diese Generation kam zahlreich und lautstark, und führte mit Regenbogenfahnen und kreativen Kostümen eine friedliche Form des Protests an, die neben K-Pop und Emoticons sogar die Dating-App Tinder nutzte, um prodemokratische Botschaften zu verbreiten.

Auf die Forderungen nach mehr Demokratie und Gleichberechtigung folgte jedoch eine fast schon vorhersehbare Gegenreaktion der Staatsgewalt, die den Menschen ein Mitspracherecht in der politischen Gestaltung ihres Landes versagt. Der Wunsch nach Veränderung wurde dabei nicht nur als eine vom Ausland finanzierte Bedrohung Thailands dargestellt, sondern das in der Verfassung garantierte Recht auf friedlichen Protest und freie Meinungsäußerung als Wegbereiter ins gesellschaftliche Chaos propagiert, dem sich die Regierung als Hüterin des Landes entgegenzustellen hat. Verhaftungen, Einschüchterung von Aktivist/innen, sowie die Ankündigung eines neuen NGO-Gesetzes zur Beschränkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten waren die Folge. Selbst das bereits seit einigen Jahren nicht mehr angewandte Majestätsbeleidigungsgesetz, das jegliche Kritik oder eine als Verleumdung definierte Aussage gegen den König bzw. gegen Mitglieder der königlichen Familie mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren Haft ahndet, wurde wiedereingeführt. Diese zu Beginn der Demonstrationen eher als hypothetisch wahrgenommene Bedrohung durch den Staatsapparat wurde plötzlich sehr real, als im Januar 2021 nach mehreren Jahren in Untersuchungshaft eine 64-jährige Frau aufgrund des kommentarlosen Weiterverbreitens monarchiekritischer Audioclips auf ihrer Facebook–Seite zu über 40 Jahren Haft verurteilt wurde - ein unmissverständliches Zeichen an die Demonstrant/innen, dass das Regime es ernst meint.

Politisches Exil oder Gefängnis?

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Wie weit kommen Protestierende, denen kaum Raum geboten wird Kritik zu äußern, die nur wenig Unterstützung aus der Politik erhalten und international kaum Beachtung finden? Wie weit kommt eine Jugend-Bewegung, die von der Wirtschaftselite des Landes bestenfalls ignoriert, von einer fragwürdigen medialen Berichterstattung heruntergeschrieben und daran gehindert wird, langfristig große Teile der Gesellschaft hinter sich zu bringen? Die Antwort ist: nicht sehr weit. Und fast ein Jahr, nachdem sich Tausende junger Menschen am Demokratie-Denkmal in Bangkok versammelten und nach Veränderungen riefen, hat sich die Staatsmacht längst in Stellung gebracht und gegen mittlerweile mehr als 80 Personen, darunter Minderjährige, Anklage wegen Majestätsbeleidigung erhoben. 79 von ihnen stehen dabei in direktem Zusammenhang mit den Demonstrationen. Und während sich an die 20 Demokratieaktivist/innen bereits in Untersuchungshaft befinden, laufen parallel hunderte von Verfahren wegen anderer Vergehen, darunter etliche Verstöße gegen das in die Kritik geratene und an Militärjunta-Zeiten erinnernde Covid-19-Notstandsdekret.

 

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Die Demokratie-Bewegung ist geschwächt und sobald die jungen Aktivist/innen in die Mühlen der Justiz geraten, befinden sie sich in einer Sackgasse, die ihnen nur noch die Wahl lässt, schnellstmöglich das Land zu verlassen oder sich einer Anklage zu stellen - und was Letzteres bedeutet ist kein Geheimnis: Thailändische Gefängnisse sind bekannt für katastrophale Hygienebedingungen bei massiver Überbelegung und es ist naheliegend, dass mehrjährige Gefängnisstrafen langfristige physische und psychische Folgeschäden nach sich ziehen. Doch als Alternative politisches Asyl im Ausland zu suchen, ist eine Lebensentscheidung mit vielen Fragezeichen und garantiert noch lange keine Sicherheit vor dem langen Arm thailändischer Sicherheitsbehörden. Denn unter den Nachbarländern Südostasiens herrscht mittlerweile Einvernehmen, Dissidenten im Exil das Leben schwer zu machen und gewaltsam in ihre jeweiligen Heimatländer zurückzuführen. Diese Politik stellt nicht nur eine massive Verletzung des Völkerrechts dar, sondern hat mittlerweile auch das Kommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen und deren ‚Ausschuss gegen das Verschwindenlassen‘ (Committee on Enforced Disappearances) auf den Plan gerufen, nachdem mittlerweile neun thailändische Dissidenten verschwunden sind. Das jüngste prominente Beispiel ist Wanchalearm Satsaksit, ein Aktivist der Demokratiebewegung der in Folge des Militärputsches im Mai 2014 ins Nachbarland Kambodscha floh und von dort aus weiterhin politisch aktiv war. Im Juni 2020 wurde Wanchalearm am helllichten Tag im Zentrum von Phnom Penh entführt, und obwohl der Vorfall auf Überwachungskameras festgehalten wurde, bleibt er seitdem vermisst. Weder die thailändische, noch die kambodschanische Regierung scheinen ernsthaft an einer Aufklärung interessiert zu sein - Thailands Elite zieht es vor, zu schweigen, wenn im Nachbarland ein Landsmann gewaltsam in ein Auto gerissen wird und nicht wiederauftaucht.

Nuttigar Woratunyawit dagegen verbrachte wegen Kritik an General Prayuts gewaltsamer Machtübernahme bereits 2016 einige Monate im Gefängnis und nutzte eine Freilassung auf Kaution, um einem bevorstehenden Prozess vor dem Militärgericht zu entkommen und 2017 aus Thailand zu fliehen. Es dauerte drei Jahre, bis sie endlich politisches Asyl in den USA erhielt und von den unmenschlichen Bedingungen in der Haftanstalt berichten konnte.  Doch sie warnt junge thailändische Aktivist/innen ihrem Beispiel zu folgen: „Flucht und Asyl haben nichts mit Urlaub oder Auslandssemester zu tun. Es bedeutet, das Land zu verlassen in dem du geboren wurdest. Und wenn du einmal draußen bist, gibt es keine Rückkehr mehr. Es ist eine Einbahnstraße ins Ungewisse und keiner kann dir sagen was für ein Leben dich erwartet. Dein Leben beginnt bei null.“, so Nuttigar Woratunyawit. Sie engagiert sich nun von den USA aus weiter in der Demokratiebewegung und  der politisch aktiven Generation an Studierenden, die einen zunehmend frustrierenden Kampf um Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Grundrechte führt – bereit, alles zu riskieren.  

Ein Marathon ist kein Sprint

Während nun der eine Teil der Gesellschaft mehr Raum für Demokratie fordert, sucht Thailands Establishment mehr Raum, um diese Stimmen wegzusperren. Denn aufgrund der Verhaftungswelle der letzten Monate stoßen das Untersuchungsgefängnis von Bangkok (Bangkok Remand Prison), sowie das Zentralgefängnis von Klong Prem, wo der größte Teil der politischen Gefangenen untergebracht wird, auch auf Grund der zahlreichen Besuche von Unterstützer/innen an ihre Kapazitätsgrenzen. Eine Situation, die das thailändische Justizministerium zu der eher zynischen Erklärung veranlasst, dass aufgrund der Überlastung nach größeren Lagern gesucht werde, da „jeder es verdient, gleich behandelt zu werden.“

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Die aktuellen Proteste konzentrierten sich vor allem auf die Forderung nach Freilassung führender Demokratie-Aktivist/innen wie Parit "Pinguin" Chiwarak, Panusaya "Ruang" Sithijirawattanakul, Panupong "Mike Rayong" Jadnok, Patsaravalee "Mind" Tanakitvibulpon und dem Menschenrechtsanwalt Arnon Nampa, denen zuvor mehrmals die Kaution verweigert wurde. Sie sind Gefangene eines reaktionären Systems mit rigidem Polizei- und Militärapparat, das demokratische Fortschritte im Land durch Schikane, Anklagen und Verzögerungstaktiken verhindert. Es ist eine besondere Herausforderung, mit einer demokratischen und friedlichen Protestform, die sich durch Tausende Follower auf Twitter und einer eher losen, wenn auch beeindruckenden Allianz asiatischer Protestbewegungen in der #MilkTeaAlliance auszeichnet, langfristige Reformen zu erreichen, wenn der Druck der Straße und eine breite gesellschaftliche Allianz fehlt. Doch auch wenn die Regierung den Druck auf die Demokratiebewegung weiter erhöht und die Anführer/innen der Proteste einsperrt, so scheint ein finales Urteil über ein Ende der Bewegung trotz allem verfrüht. Ein Marathon ist kein Sprint - die Demonstrationen der letzten zwölf Monate haben nicht nur so manches Tabu gebrochen, sondern auch die roten Linien im öffentlichen Diskurs sozialer und traditioneller Medien ein stückweit verschoben. Vielleicht für immer.