Zerschlagene Träume: Migrationskarawane zurück in Honduras

Reportage

Mit der ersten Migrationskarawane des Jahres machten sich im Januar 2021 mehr als 7.000 Honduranerinnen und Honduraner auf den Weg in die USA. In Guatemala wurden sie eingekesselt und dann mit Tränengas und Schlagstöcken vertrieben. Mittlerweile sind sie wieder zurück im honduranischen Elend. 

Migrationskaravane aus Honduras

„O Herr, öffne uns den Weg, rühre die Herzen. Du leitest uns, o Herr“, ertönt der laute Ruf einer Frau aus der Menge. Sie trägt ein Kopftuch und kniet mit geschlossenen Augen am Boden, die ausgebreiteten Arme zum Himmel gestreckt. Um sie herum stimmen Hunderte von Menschen in gleicher Körperhaltung in das Massengebet ein. Zu dem Spontangottesdienst kurz vor der Grenze zwischen Honduras und Guatemala, hatten sich rund 2.000 Menschen zusammengefunden. Einen Tag zuvor, am 15. Januar, hatten sie sich am zentralen Busbahnhof von San Pedro Sula auf den Weg gemacht, auf der Suche nach dem, was viele den amerikanischen Traum nennen, doch letztlich geht es eher um ein Erwachen aus dem honduranischen Alptraum. Es ist eine Flucht vor der Armut und der Zerstörung durch die beiden Hurrikane Eta und Iota. Die Wirbelstürme trafen ein Land, das infolge der Corona-Pandemie ohnehin schon unter einer verheerenden Wirtschaftskrise leidet und zudem seit Jahren mit hausgemachten Übeln zu kämpfen hat: mit Gewalt und Korruption.

Auch die 46-jährige Patricia hat sich der Gruppe angeschlossen. Sie stammt aus Chamelecón, einem Viertel am Stadtrand von San Pedro Sula im Norden des Landes. Im vergangenen November wurde ihr Haus unter Schlammmassen begraben, nachdem die Regenfälle den Fluss Chamelecón in einen reißenden Strom verwandelt hatten. Im Dezember 2020 machte die Nachricht von einer Megakarawane die Runde, die am 15. Januar 2021 von Honduras aus starten sollte. Das brachte auch Patricia auf den Gedanken, sich dem Marsch anzuschließen. Gemeinsam mit drei Töchtern und einem Enkel machte sie sich auf den Weg. Zwar leidet sie unter Bluthochdruck und muss ihr Leben lang Medikamente einnehmen, doch sie denkt an ihre Kinder. „Für sie gibt es hier keine Arbeit“, erzählt sie wenige Minuten bevor sie sich zum Gebet niederkniet und den US-Präsidenten unter Tränen um Unterstützung bittet: „Wir dringen ja nicht mit Gewalt ein. Ich will doch einfach nur mein Haus wiederaufbauen“.

Nach Angaben der guatemaltekischen Migrationsbehörde schafften es insgesamt 7.200 Menschen bis nach Guatemala. Wenige Stunden, bevor Patricia mit ihrer Gruppe dort eintraf, hatten bereits mindestens 4.500 weitere Honduranerinnen und Honduraner die Grenze überquert. Es war die größte organisierte Karawane seit 2018.
 

Migrant/innen der Karawane beim Gebet, bevor sie am 16. Januar 2021 am Übergang El Florido die Grenze nach Guatemala passierten.
Migrant/innen der Karawane beim Gebet, bevor sie am 16. Januar 2021 am Übergang El Florido die Grenze nach Guatemala passierten.

 

Óscar Duarte ist in Olonchito im Departement Yoro aufgebrochen. Die Bananenplantage, auf der er gearbeitet hatte, ist beim Wirbelsturm Eta durch die Regenfälle vernichtet worden. Jetzt hat er keine Arbeit mehr. Seine Frau und vier Kinder ließ er zurück. „Ich suche nach einer Zukunft für meine Familie. Was nützt es mir, bei ihnen zu sein, wenn es für uns keine feste Arbeit gibt? Möge das Glück auf unserer Seite sein“.

Zu Anfang war alles noch gut verlaufen. Viele Menschen hatten sich der Karawane angeschlossen, und blieben zusammen, obwohl nach Berichten einiger Migrant/innen, die unterwegs die Führung übernommen hatten, offenbar eingeschleuste Provokateure versucht hatten, die Menge zu zersprengen. Auf honduranischem Staatsgebiet hatte die Nationalpolizei die Karawane ohne Probleme passieren lassen. Auch am Grenzübergang El Florido stellten sich die honduranischen Behörden den Migrant/innen nicht in den Weg. Die Menschen sangen die Nationalhymne von Honduras und durchbrachen dann die leicht zu überwindenden Sperren der guatemaltekischen National- und Militärpolizei. Zunächst hatte es den Anschein, als ob ihre gefährliche Reise einen guten Verlauf nehmen würde. Nach dem gelungenen Grenzübertritt applaudierten die Menschen mit dem Blick zum Himmel, doch nur wenige Stunden später wurde ihr Traum zum Alptraum: 45 Kilometer hinter El Florido versperrte ihnen ein starkes guatemaltekisches Militärkontingent den Weg. 

Mit Tränengras und Schlagstöcken gegen die Migrant/innen

In Vado Hondo, einem kleinen Dorf im guatemaltekischen Departement Chiquimula, schnitten die Militärs etwa 6.000 Migrant/innen den Weg ab. Als die Menschen versuchten, die Straßensperre zu durchbrechen, wurden sie mit Schlagstöcken und Tränengas zurückgetrieben. Auf einer Landstraße, die auf der einen Seite von einer Mauer begrenzt ist und auf der anderen steil abfällt, hatten die uniformierten Einheiten die Menge abgefangen. „Sie haben uns in eine Falle gelockt und uns kilometerweit zu Fuß laufen lassen; niemand nahm uns mit“, erzählt Patricia, die jetzt wieder zurück ist in ihrem Haus in Chamelecón.  Génesis, eine von Patricias Töchtern, erinnert sich, wie guatemaltekische Polizist/innen die Menge von oben mit Steinen bewarf und sich die Menschen daraufhin verteidigten. „Wir waren eingekesselt“, bekräftigt Patricia. Den Angaben der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge wurden 11 Migrant/innen und zwei Polizist/innen verletzt. Nach den im Internet verbreiteten Bildern zu urteilen, ist diese Zahl vermutlich eher untertrieben. Die guatemaltekische Regierung unter Präsident Alejandro Giammattei rechtfertigte ihre Maßnahmen mit der Eindämmung der Pandemie und stufte die Flucht der Honduranerinnen und Honduraner als nationales Sicherheitsproblem ein, nicht aber als humanitäre Krise.

Honduranische Familie auf der Flucht
Patricia Rodríguez (rot gekleidet) mit ihren drei Töchtern und ihrem Enkel. Durch die Überschwemmungen in Chamelecón hat sie ihren kleinen Laden und auch ihre Wohnung verloren. Deshalb hat sie sich der Karawane angeschlossen. Aufgenommen in El Florido, Copán, am 16. Januar 2021.

Die guatemaltekischen Militärs waren nicht die einzige Mauer, die sich den Migrant/innen entgegenstellte: Mexiko hatte seine Grenzbefestigungen nach Guatemala verstärkt, und die mexikanische Nationalgarde ließ ihre Soldat/innen an den Ufern des Río Suchiate an der mexikanischen Südgrenze aufmarschieren, um weitere Migrant/innen am Grenzübertritt zu hindern. In einem Kommuniqué beklagte die guatemaltekische Regierung von Alejandro Giammattei die Verletzung ihrer nationalen Souveränität und forderte von der honduranischen Regierung Maßnahmen zur Eindämmung des Migrationsstroms. Gleichzeitig verlangte das honduranische Präsidialamt von Guatemala eine Untersuchung der Übergriffe gegen honduranische Bürger/innen der Karawane. 

Patricia, mittlerweile wieder zurück in ihrem Haus in Chamelecón, erzählt: „Von Guatemala hatten wir so etwas nicht erwartet, und wir sind enttäuscht. Wir wollten ja gar nicht dort bleiben, sondern waren doch nur auf der Durchreise“. Trotz des Scheiterns und der Rückkehr in ihr von den schlammigen Fluten halb verschüttetes Haus schildert sie ihre gefahrvolle Reise mit einem Lächeln.

Schäden nach den Wirbelstürmen Eta und Iota in San Pedro Sula
San Pedro Sula, 19. Januar 2021: So sieht es heute, drei Monate, nachdem die Wirbelstürme Eta und Iota über die Region hinweggefegt sind, in der Siedlung San Jorge in Chamelecón aus, in der Patricia wohnt. Gemeinsam mit ihren drei Töchtern und einem Enkel schloss sie sich am 15. Januar der Karawane an.

Warum gehen die Menschen fort?

Früher hatte Patricia in Chamelecón ein kleines Süßwarengeschäft in einer Schule betrieben. Damit konnte sie sich das Häuschen leisten, in dem sie mit zweien ihrer minderjährigen Töchter wohnte. Ihre Einkünfte reichten zudem aus, um der 21-jährigen Génesis eine Ausbildung in Buchhaltung und Finanzen, und der 13-jährigen Dulce die neunte Grundschulklasse zu ermöglichen. 2020 verlor Patricia jedoch ihre Arbeit: Als Corona kam, wurde der Präsenzunterricht an allen honduranischen Schulen untersagt und ihre Einkommensquelle versiegte. Auch ihre Ersparnisse waren schnell aufgebraucht. Der honduranische Verband der Kleinst- und Kleingewerbetreibenden (Amhpih), bezifferte gegenüber der Zeitung El Heraldo die Zahl der in Heimarbeit tätigen Kleingewerbebetriebe, die im Zuge der Pandemie aufgeben mussten, auf etwa 30.000. Nach den beiden Wirbelstürmen Eta und Iota ist diese Zahl jedoch weiter gestiegen. Durch die Schließung kleiner Geschäfte, die es noch vor Beginn der Corona-Pandemie gegeben hatte, fielen bis zu 200.000 Arbeitsplätze weg. Auch Patricia war betroffen. Mit 1,8 Millionen Arbeitsplätzen sind die Kleinstbetriebe der wichtigste Erwerbszweig der honduranischen Wirtschaft.

Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) hatte bereits für 2020 einen Rückgang des honduranischen BIP um 6 Prozent erwartet. In diesen Schätzungen waren der Ausbruch der Pandemie und die Schäden durch die Wirbelstürme noch gar nicht berücksichtigt. Schon vor Beginn des verhängnisvollen Jahres 2020 hatte die Armutsquote in Honduras nach Angaben der Nationalen Statistikbehörde (INE) bereits bei 61,9 Prozent gelegen. Expert/innen schätzen, dass dieser Indikator seit Anfang des Jahres 2021 schon auf rund 70 Prozent gestiegen ist. Etwa eine halbe Million Menschen hat durch die Pandemie in Honduras ihre Beschäftigung verloren. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Nach den Angaben der honduranischen Zentralbank ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes 2020 infolge der Corona-Pandemie und der Naturkatastrophen um 10,5 Prozent geschrumpft. Allein infolge der lang andauernden Corona-Beschränkungen lag das Land bereits am Boden. Bezeichnend für die ineffiziente Amtsführung der Regierung von Juan Orlando Hernández ist der Kauf von sieben mobilen Krankenhäusern für 47 Millionen US-Dollar. Gemäß der Beschwerde des Nationalrats für Korruptionsbekämpfung könnte der Kaufpreis um bis zu 31 Millionen US-Dollar zu hoch angesetzt sein. 

Dazu kamen im November die Unwetter in einem Abstand von nur 12 Tagen: Am 5. November wurden allmählich die schweren Schäden sichtbar, die der Wirbelsturm Eta und die darauffolgenden Regenfälle angerichtet hatten, Infrastruktureinrichtungen wurden beschädigt, Ernten vernichtet. Nach offiziellen Zahlen sind insgesamt mehr als vier Millionen Menschen betroffen. Das gemeinnützige Sozialforum für Auslandsverschuldung und Entwicklung von Honduras (FOSDEH) schätzt, dass das Land durch die Pandemie und die Regenfälle einen Verlust von etwa 12,5 Milliarden US-Dollar erlitten hat. Von den Unwettern besonders hart getroffen wurde das Valle de Sula. Dort werden 60 Prozent des honduranischen BIP erwirtschaftet. Eine wenig ermutigende Analyse des FOSDEH geht davon aus, dass die honduranische Wirtschaft durch die Unwetter um etwa 20 Jahre zurückgeworfen wurde. Die Karawane von 7.000 Menschen inmitten der Pandemie ist Ausdruck der explosiven sozialen Lage im Land.

Patricia floh aus Chamelecón, einer durch die Unwetter zerstörten, von Gewalt geprägten Vorstadtsiedlung. Ihr kleines Häuschen mit drei Räumen wurde von den Wassermassen des Río Chamelecón überflutet. Nach der Überschwemmung sind zwei Zimmer noch immer unter den Schlammmassen begraben, die Wände sind eingestürzt, Betten und sonstiges Mobiliar gibt es nicht mehr. Der Kühlschrank ist kaputt, und ebenso auch der Gasherd. Ob die Mikrowelle noch brauchbar ist, weiß sie nicht. Auf ihrem Weg zur Grenze von El Florida erzählte Patricia, dass sie fortging, weil sie ihr Haus, das den Fluten kaum standgehalten hatte, wiederaufbauen wollte.

Die Honduraner/innen flüchten auch vor der Vernachlässigung durch die Regierung

Verwüstung nach den Wirbelstürmen in Chamelecón
In Chamelecón sind die Verwüstungen, die die beiden Wirbelstürme 2020 angerichtet haben, noch immer sichtbar. San Pedro Sula, 19. Januar 2021.

Fast drei Monate später sind die Verwüstungen durch Eta und Iota in den Straßen der Siedlung San Jorge in Chamelecón noch immer deutlich sichtbar. Einige Straßen sind nicht mehr bewohnt, in anderen türmen sich Schlammberge und erinnern an die Tragödie vom vergangenen November. Das von der Hernández-Regierung so hochgepriesene Programm „No Están Solos“ („Ihr seid nicht allein“) kam in Chamelecón wie auch im übrigen Land nur tröpfchenweise an. „Die Kirchen haben uns unterstützt und mir diesen Herd geschenkt“, sagt Patricia und zeigt auf das Gerät auf dem Tisch. „Die Regierung sagt, dass sie hilft, aber sie haben ihre Leute und die suchen sich aus, wem sie etwas zukommen lassen. Dabei brauchen wir alle Unterstützung“, fährt sie fort. Die Honduraner/innen flüchten auch vor der Vernachlässigung durch die Regierung. Auf der Straße von San Pedro Sula nach Tegucigalpa hausen noch immer Hunderte von Obdachlosen unter freiem Himmel. 

Dass die nationalistische Regierung die Menschen im Stich lässt, beweist sie auf vielerlei Art und Weise. Als Paradepferd führt sie den Erfolg ihres Sicherheitsprogramms ins Feld. Die Wirklichkeit aber weist in eine andere Richtung: Kriminelle Banden haben sich überall in Chamelecón und anderen dichtbevölkerten Stadtvierteln von San Pedro Sula eingenistet. In einigen Gegenden gilt einzig und allein das Gesetz der Banden. 

2019 wurden nach den Angaben der Nationalpolizei in Honduras 4.051 Morde gezählt. Dies bedeutet eine Zunahme um 8,5 Prozent gegenüber 2018. Im Jahr der Pandemie verloren trotz der neunmonatigen Ausgangsbeschränkungen 3.496 Menschen ihr Leben. Die Honduranerinnen und Honduraner fliehen also auch vor der Gewalt.

Jugendliche auf der Suche nach einem besseren Leben

Auch die jungen Menschen verlassen das Land, wie Mariela und Carlos. Sie ist 18 Jahre alt, er 16. Sie sind befreundet und kommen aus Villanueva bzw. Pimienta, zwei Bezirken im Norden von Honduras, die durch die Wirbelstürme verwüstet wurden. Pimienta wurde als eine der ersten Regionen vom Ulúa-Fluss überflutet. Carlos hatte zunächst noch einen Job als Hilfsschaffner bei einer Buslinie, aber wegen der Pandemie lohnte sich seine Arbeit immer weniger, und so gab er sie auf. Er hat sich geschworen, wenn er es dieses Mal nicht schafft (wie geschehen), wird er es nicht noch einmal versuchen.  Mariela arbeitete vorher in einer Bar, die wegen der Pandemie schließen musste. Sie wohnte damals allein in Villanueva in einem gemieteten Zimmer, aber die Fluten schwemmten ihre gesamte Habe fort. Daraufhin beschloss sie mit mehreren Freunden, die Reise zu wagen. Bevor sie in ihr Land zurückgeschickt wurde, versicherte Mariela, dass sie so oft versuchen würde, in die USA zu kommen, bis es ihr gelänge.

Haus in der Siedlung La Libertad im Bezirk Pimienta
Haus in der Siedlung La Libertad im Bezirk Pimienta. Der Ort wurde als einer der ersten überflutet, nachdem Eta und Iota über Honduras hinweggefegt waren. Von hier aus haben sich die beiden Jugendlichen Mariela und Carlos am 15. Januar auf den Weg gemacht, um sich der Karawane anzuschließen. Pimienta, Cortés, 19. Januar 2021.

Vor ihrem Gespräch mit Contracorriente hatten die Jugendlichen schon zwei Tage nicht geschlafen und waren 60 Kilometer zu Fuß gelaufen. Sie waren erschöpft, aber in ihren Träumen ungebrochen, bis sie auf die guatemaltekischen Militärs stießen. Mariela kam am Montag nach Honduras zurück, Carlos am Dienstag. Beide hatten keine Arbeit. Auch zur Schule gehen sie nicht. Bildung ist ein Privileg einiger weniger in einem Land, in dem die durchschnittliche Schulbildung gerade einmal 7,7 Jahre beträgt.

Zwei honduranische Jugendliche
Mariela, 18 Jahre alt, und Carlos, 16, beide aus Pimienta, Cortés, haben sich entschlossen, auf der Suche nach dem amerikanischen Traum den Aufbruch zu wagen. Sie sind überzeugt, dass sie in Honduras keine Chance haben.

Der neue Präsident Joe Biden – ein Hoffnungsträger?

Am 20. Januar übernahm Joe Biden die Präsidentschaft in den USA. Viele Angehörige der Karawane meinten, dass ihnen der Regierungswechsel den Weg zur Erfüllung ihrer Träume ebnen würde, doch sie haben sich getäuscht. Die Migrationspolitik der USA wird sich mit der Amtsübernahme Bidens nicht automatisch ändern. Die Anthropologin und Expertin für Migration aus Zentralamerika, Amelia Frank Vitale, meint, die Biden-Regierung werde im Großen und Ganzen vermutlich einen Weg zu einem legalen Daueraufenthaltsstatus für die Menschen ohne Papiere und solche mit einem zeitlich begrenzten Schutzstatus in den USA einschlagen. „Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Öffnung für neue Migranten und Migrantinnen“, erläuterte sie.

Im sogenannten „Integrierten System zur Rückkehrerbetreuung“ der honduranischen Regierung wurden von 2016 bis 2021 insgesamt 244.101 Migrant/innen erfasst, die aus den USA, Mexiko und Guatemala zurückgeschickt worden waren. Laut der Initiative für Informationsmanagement zur Mobilität im nördlichen Dreieck Zentralamerikas (El Salvador, Guatemala, Honduras) der Internationalen Organisation für Migration (IOM) leben 655.232 Honduraner/innen in den USA. Nicht alle von ihnen haben einen legalen Aufenthaltsstatus. 

Nachdem 2018 gleich mehrere Karawanen von Honduras aus starteten, schlug die Regierung von Donald Trump 2019 eine härtere Gangart in der Migrationspolitik der USA ein und unterzeichnete Vereinbarungen mit Mexiko und Guatemala, um die Asylsuchenden in diesen Ländern zurückzuhalten. Tausende von Migrant/innen, die es bis in die USA geschafft haben, halten die honduranische Wirtschaft am Leben, denn ihre Geldüberweisungen machen rund ein Fünftel des BIP des Landes aus: 2018 beliefen sie sich auf 19,8 Prozent des BIP (4,753 Mrd. US-Dollar) und stiegen 2019 auf 21,4 Prozent (5,384 Mrd. US-Dollar). Nach einer Studie der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) gehen 150.000 bis 240.000 Bürger/innen des Landes dank der Überweisungen der Honduraner/innen im Ausland nicht in die Armutsstatistiken ein. Solange sich das nicht ändert, wird der Migrationsstrom nach Norden nicht abreißen.

Patricia ist zwar jetzt zurück in Chamelecón, doch sie will es wieder versuchen. Auf einem alten Sofa sitzend sagt sie: „Diesmal hat es nicht geklappt, aber wir geben nicht auf. Hier in Honduras haben wir gar nichts“. Hinter ihr erinnert die verschlammte Straße an die Tragödie vom November und die staatliche Gleichgültigkeit. 

 

Originaltext aus dem Spanischen übersetzt von Beate Engelhardt.