Die Fleischindustrie: Wer schlachtet in Europa?

Fleischatlas 2021

Globale Fleischkonzerne spielen eine wichtige Rolle bei der Frage, wie Fleisch und Futtermittel produziert, transportiert und gehandelt werden. Ernährung ist lukrativ: Unter den 100 größten Lebensmittel- und Getränkemultis der Welt finden sich auch die zehn umsatzstärksten Schlacht- und Weiterverarbeitungsbetriebe.

Fleischatlas Infografik: Größte Unternehmen nach Umsatz, alle Tierarten
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Auf nur fünf Großunternehmen entfallen zwei Drittel der deutschen Schweinefleischproduktion

Obwohl die zehn wichtigsten Unternehmen der Fleischbranche ihren Hauptsitz in nur wenigen Ländern – in Brasilien, den USA, China, Japan und Ländern der EU – haben, dominieren sie die Märkte weltweit und sind in allen wichtigen fleischerzeugenden Regionen präsent. Diese Unternehmen sind für die industrielle Produktion und Schlachtung einer riesigen Zahl von Tieren verantwortlich.

Das größte von ihnen, JBS aus Brasilien, stellt dabei alle anderen in den Schatten. Das Unternehmen ist in 15 Ländern mit über 400 Niederlassungen vertreten und lässt täglich bis zu 75.000 Rinder, 115.000 Schweine, 14 Millionen Geflügeltiere und 16.000 Lämmer schlachten. Zusammen ergibt dies mehr als 210.000 Tonnen Fleisch pro Monat. Im Vergleich dazu bringt es der zweitgrößte Schlachter, der US-Gigant Tyson Foods, pro Tag „nur“ auf knapp 22.000 Rinder, 70.000 Schweine und 7,8 Millionen Hühner.

Die größten europäischen Konzerne sind weltweit eher schwach vertreten, während JBS, Tyson, Cargill und die chinesische WH Group auch in ganz Europa Niederlassungen haben. Sie erwirtschaften hier Gewinne mit frischem und gefrorenem Fleisch, das in Europa produziert oder aus Ländern wie Brasilien und Thailand importiert wird. Die beiden brasilianischen Konzerne BRF und Marfrig liefern über Vertriebszentren oder direkt nach Europa. Doch auch in der EU dominieren Umsatzmilliardäre. So zählen Danish Crown (Dänemark), Groupe Bigard (Frankreich), Tönnies (Deutschland), Coren (Spanien) und Westfleisch (Deutschland) zu den größten Produzenten von Rind- und Schweinefleisch. Dawn Meats (Irland) ist europäischer Marktführer bei Rind- und Lammfleisch, während LDC (Frankreich), Plukon Food Group (Niederlande), Gruppo Veronesi (Italien) und die PHW-Gruppe (Deutschland) führend in der Geflügelverarbeitung sind.

Durch Fusionen und Übernahmen kaufen sie immer mehr kleinere Unternehmen auf und festigen ihre Marktmacht. So hat beispielsweise Tyson seine Präsenz in Europa durch den Aufkauf der europäischen Betriebe von BRF verstärkt und beliefert den Markt nun mit tiefgefrorenem Hühnerfleisch aus seinen europäischen und globalen Lieferketten. In den USA liegt die Fleischverarbeitung in den Händen einiger weniger Konzerne. Bei Rindfleisch sind es JBS, Tyson, Cargill und Marfrig, die zusammen 85 Prozent des Marktes beherrschen. Bei Schweinfleisch bringen es JBS, Tyson und Hormel auf 66 Prozent, bei Hühnerfleisch Tyson, JBS, Sanderson Farms und Purdue auf 51 Prozent. In Deutschland kontrollieren nur fünf Unternehmen, nämlich Tönnies, Westfleisch, Vion, die Müller-Gruppe und Danish Crown, zwei Drittel der Schweinefleischverarbeitung.

Fleischatlas Infografik: Umsätze der größten Fleisch- und Molkereikonzerne
Vollständigkeit nicht möglich – weil Daten fehlen, stellen Chinas Fleischkonzerne, sofern sie nicht an einer Börse notiert sind, noch immer große Unbekannte dar

Mit einer derartigen Marktmacht sind diese Unternehmen in der Lage, niedrige Erzeugerpreise durchzusetzen und die Zuchtbetriebe manchmal selbst unter deren Produktionskosten zu zwingen. Daher produzieren die Landwirtinnen und Landwirte eine große Zahl von Tieren, um mit ihren Großkunden im Geschäft zu bleiben, oft mithilfe von öffentlichen Subventionen. Nach einem Bericht des internationalen Netzwerkes Agri Benchmark von 2019 haben die EU-Agrarsubventionen dafür gesorgt, dass die Landwirtschaftsbetriebe trotz der Verluste bei der Kuh- und Kälberaufzucht unterm Strich Gewinne verzeichnen konnten.

Die Rindfleischveredelungsbetriebe erlitten sogar noch größere Verluste als die Kuh- und Kälbermastbetriebe. Sie profitierten aber stärker von den Subventionen, da viele von ihnen auch noch als Produzenten von Futtergetreide aktiv sind. Die Schweinezuchtbetriebe verloren im Jahr 2016 in fast allen europäischen Ländern – mit Ausnahme von Belgien, Dänemark und Spanien – bei einem EU-weiten Durchschnittspreis von nur 1,48 Euro durchschnittlich sieben Cent bei jedem Kilogramm Schweinefleisch.

Über diese indirekte Subventionierung hinaus profitieren die globalen Giganten gelegentlich von speziellen staatlichen Hilfsmaßnahmen. So erhielt JBS 78 Millionen US-Dollar an Zahlungen aus dem von der Trump-Regierung während des US-chinesischen Handelskriegs aufgelegten Rettungspaketes für landwirtschaftliche Betriebe. 20 Prozent von JBS befinden sich im Übrigen in Besitz der Brasilianischen Entwicklungsbank, die sich aus Steuergeldern des Landes finanziert. 2017 hatte die brasilianische Staatsanwaltschaft eine der höchsten Geldstrafen in der Unternehmensgeschichte wegen Korruption verhängt, als festgestellt wurde, dass die JBS-Chefs für ihre Geschäfte fast 1.900 Regierungsbeamtinnen und -beamte bestochen hatten.

Manche Fleischgiganten, etwa Cargill, befinden sich vollständig in Privatbesitz. Andere sind zumindest teilweise börsennotiert. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Feedback investierten mehr als 2.500 Investment- und Privatbanken sowie Pensionsfonds aus aller Welt zwischen 2015 und 2020 insgesamt 478 Milliarden US-Dollar in Fleisch- und Molkereiunternehmen. Zu den größten Investoren gehören Black Rock, Capital Group, Vanguard und der Pensionsfonds der norwegischen Regierung.