Belarus: Die Farben der Polizeigewalt

Hintergrund

Farbliche Markierungen bestimmen, wie schlecht festgenommene Demonstrierende behandelt werden sollen. Ein Bericht der Gruppe „Unser Haus“ und Zeugenberichte.

Polizei stoppt Demonstrierende
Teaser Bild Untertitel
Straßensperre der Polizei, um Demonstrierende aufzuhalten, Minsk 2020.

Warnhinweis: Dieser Beitrag enthält Gewalt- und Verletzungsbeschreibungen.

 

Im Oktober 2019 berichtete die belarussische NGO „Nasch Dom“ von der Verwendung bestimmter Farbmarkierungen im Justizvollzugssystem von Belarus [1]. Seit Beginn der Proteste im Jahr 2020 weisen zahlreiche Zeugenberichte darauf hin, dass ein ähnliches Markierungssystem auch bei Festnahmen von Protestteilnehmer*innen und Unbeteiligten im Jahr 2020 verwendet wird [2]. Erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Sicherheitskräfte, diskriminierende Strafmaßnahmen, besonders schwere Misshandlung und Folter sind für die Betroffenen die Folge.

Die Farbmarkierung der Protestteilnehmer*innen sind kein spontanes Ereignis, sondern Teil eines über Jahre etablierten Systems - so schrieb Olga Karatch, die Vorsitzende der NGO „Nasch Dom“, an die Redaktion von „Stimmen aus Belarus“.

Die Heinrich-Böll-Stiftung dokumentiert an dieser Stelle den Bericht von „Nasch Dom“ (19.11.2020) sowie einige Zeugenberichte in der Zusammenstellung von „The Village Belarus“, in der Übersetzung von „Stimmen aus Belarus“.

 

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Farbliche Kategorisierung von friedlichen Demonstranten und Inhaftierten in belarussischen Gefängnissen

Wir möchten darauf hinweisen, dass die Mitarbeiter des belarussischen Innenministeriums eine Reihe von Farbmarkierungen für friedliche Protestteilnehmende und für die Gefängnisinsassen verwenden.

Die Polizei verwendet ein ausdifferenziertes Farbsystem von Markierungen, um kenntlich zu machen, welcher Art von Folter und Misshandlung diese oder jene Person unterzogen werden soll. Es werden auch Formen von Gewalt, die zu schweren bleibenden Gesundheitsschäden führen, angewendet.

Die Markierung eines inhaftierten Protestteilnehmenden oder eines Gefangenen mit einer bestimmten Farbe bedeutet, dass diese Person einer bestimmten Art von Folter oder Verschlechterung von Haftbedingungen ausgesetzt sein wird.

Dem Innenministerium, d.h. dem Sicherheitsapparat, unterstehen Isolationshaftanstalten (IWS, in denen Häftlinge Ordnungsstrafen verbüßen) und Untersuchungshaftanstalten (in denen Personen sich aufgrund strafrechtlicher Verfolgung in Untersuchungshaft befinden bzw. ein Gerichtsverfahren erwarten), Straflager und andere Orte des Freiheitsentzugs. Außerdem nehmen Mitarbeitende des Innenministeriums Personen bei Protestaktionen fest.

Seit Anfang August 2020 wurden zahlreiche Vorfälle über die Verwendung unterschiedlicher Farben zur Kennzeichnung der inhaftierten Demonstrierenden bekannt. Von der farblichen Markierung der Festgenommenen hängt ab, welcher Art von Folter die Person ausgesetzt sein wird.

Die folgende Farbcodierung für inhaftierte friedliche Demonstrierende ist derzeit in Gebrauch:

  1. Farbe Gelb - Der/Die Gefangene wird gefoltert und misshandelt, trägt aber in der Regel keine schweren gesundheitlichen Schäden davon.
  2. Farbe Rot - Der/Die Gefangene wird gefoltert, erleidet schwere gesundheitliche Schäden, die teils dauerhaft bleiben.
  3. Farbe Grün - Mit dieser Farbe werden Gefangene mit einem untypischen Aussehen gekennzeichnet (Dreadlocks, blaue Haarfarbe, Piercing usw.). Sie sind Folter und Misshandlung ausgesetzt, begleitet von verbalen Beschimpfungen und Beleidigungen.
  4. Farbe Schwarz - So markierte Personen werden heftigsten Arten von Folter ausgesetzt, und, nach unbestätigten Informationen, sogar getötet.

 

Auf beiliegenden Fotos wird der Kapuzenpullover einer Frau gezeigt, die wegen ihrer Teilnahme an einer friedlichen Protestaktion bei der Festnahme gelb markiert wurde. Darüber hinaus ist auf einem weiteren Foto die Jacke eines Mannes zu sehen, der zum Zeitpunkt der Festnahme ebenfalls mit der Farbe Rot markiert wurde. Am häufigsten werden jedoch die Farbmarkierungen direkt aufs Gesicht der Betroffenen aufgetragen.

Kapuzenpullover mit gelber Markierung
Von der Polizei markiert.

Farbmarkierungen in belarussischen Gefängnissen

Gegenwärtig verwendet die Polizei ein bestimmtes Farbsystem von Markierungen (Aufnäher auf der Gefangenenuniform), die zur Kennzeichnung von Gefangenen in Gefängnissen und Lagern in Belarus dienen. Von der Farbe, die einem Gefangenen zugewiesen wird, hängt ab, welcher Art von Folter und Misshandlung er ausgesetzt sein wird.

Die farbliche Markierung von Gefangenen in Haftanstalten führt zu ungleichen Bedingungen im Gefängnis. Die Gefängnisverwaltung hat eine erhöhte Aufmerksamkeit für markierte Gefangene und bestraft diese zusätzlich, einschließlich der Unterbringung in Einzelhaft bzw. Strafzellen. Des Weiteren werden Familienbesuche untersagt, Päckchen zurückgehalten und die Erlangung einer Bewährung erschwert. Dies führt zur Stigmatisierung und Diskriminierung bestimmter Gruppen von Gefangenen, vor allem von Teenagern und Jugendlichen, die zum ersten Mal wegen geringfügiger Vergehen nach Art. 328 StGB RB [Verstöße gegen das Betäubungsmittelstrafrecht] verurteilt wurden und grün markiert werden.

Sczwarze Lederacke mit rotem Kreuz markiert

Wir möchten betonen, dass Personen, die sich des Mordes, der Vergewaltigung oder Korruption schuldig gemacht haben und auch andere Gefangene, die wegen besonders schwerer Verbrechen verurteilt wurden mit keinerlei farblicher Markierung versehen und hervorgehoben werden, sondern neutrale Aufnäher in weißer Farbe tragen.

In einem Schreiben vom 23.07.2019 erklärt die zuständige Vollzugsbehörde der Stadt Minsk und des Minsker Gebiets [3], dass zurzeit drei Farben zur Markierung von Strafgefangenen verwendet werden:

 

A.) Farbe Grün – Teenager und junge Erwachsene, die wegen geringfügiger Delikte eine Strafe von 8-15 Jahren Haft wegen illegalem Handel mit Betäubungsmitteln, psychotrophen Substanzen u.ä. erhielten. In der Regel handelt es sich um eine Verurteilung nach Art. 328 StGB RB. In den Gefängnissen gibt es bereits ganze Gefangenengruppen, die nur aus Jugendlichen bestehen, die nach diesem Paragraphen verurteilt wurden.

B.) Farbe Gelb – So werden in der Regel Anarchisten und Antifaschisten markiert, die vom KGB und Sonderabteilungen der GUBOPiKa (Hauptverwaltung des Innenministeriums für den Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption) verfolgt werden. Das gelbe Etikett bezieht sich auf „Personen mit extremistischer Neigung“ und impliziert besondere Aufmerksamkeit seitens der Gefängnisverwaltung. Das bedeutet, dass diese Personen bei Inspektionen immer in der ersten Reihe stehen müssen, Briefe nur mit Alltagsinformationen erhalten dürfen und jede Anweisung der Verwaltung befolgen müssen, da sie sonst keine Anrufe und keine Besuche empfangen dürfen. Ihnen wird auch die Übergabe von Päckchen verweigert und sie müssen in einer Strafzelle einsitzen.

C.) Farbe Rot – So werden Gefangene markiert, die aus der Sicht der Gefängnisverwaltung zur Flucht oder zum Suizid neigen.

 

Interessant ist, dass das Innenministerium in einem anderen Schreiben vom 21.11.2017 versucht, die Verwendung von Farbmarkierungen von Gefangenen zu verneinen [2] und erklärt, dass die Verwendung bestimmter Farben „nicht gesetzlich geregelt wird“ und die Markierungen jede Farbe haben könne, einschließlich Grün. Aber das ist nicht wahr, denn die „Kinder-328“ [Teenager und Jugendliche die wg. Drogendelikten nach Art. 328 StGB RB verurteilt wurden] bekommen nie einen gelben oder weißen (neutralen) Aufnäher, sondern immer nur Grün.

So wird offensichtlich, dass ein und dieselben Farben zur Kennzeichnung dergleichen Verbrechen verwendet werden, was im Weiteren für eine bestimmte Logik und ein gezielt eingesetztes Markierungssystem des Innenministeriums spricht, das sowohl bei Gefängnisinsassen, als auch bei festgenommenen Demonstrierenden verwendet wird.

 

Wir rufen alle dazu auf, dafür zu sorgen, dass die Farbcodierung von festgenommenen Demonstrierenden und Gefangenen, die zu einer gezielten Gewalt und Folter führt, beendet wird.

Wir halten es für inakzeptabel, dass in belarussischen Gefängnissen und bei der Polizei die Farbe Gelb als Markierung von politisch aktiven Bürger*innen verwendet wird.

Zeugenberichte

Ewgenij – Festnahme am 11.08:

„Menschen, die besonders aufgefallen sind, wurden mit gelber Farbe aus einer Spraydose auf dem Rücken, einige von denen auch an der Hose oder an den Haaren, markiert. Jene, die nur auf dem Rücken markiert waren, hatten noch Glück. Sie konnten ihre Shirts oder Hemden von innen nach außen krempeln. Wenn jemand an den Haaren markiert wurde, kam er mit so einem Trick nicht mehr durch. Die Menschen mit solchen Markierungen wurden von allen und auf allen Durchgangsstationen geschlagen.“

 

Erik – Festnahme am 25. Oktober, bei der Sonntagsdemonstration „Marsch des Volksultimatums“, nach einem polizeilichen Angriff mit Blendgranaten.

„Einer der Polizisten packte mich an den Haaren, hob meinen Kopf und hinterließ auf meiner linken Wange irgendwelche Zeichen mit einem Filzstift. Ich weiß bis heute nicht, was er mir da eigentlich hingemalt hat, weil ich keinen Spiegel zu Gesicht bekommen hatte. Danach wurde ich in den Gefangenentransporter geworfen, wo ich von Polizisten einige leichte Schläge am Kopf abbekommen habe.

Danach wurden wir in die Polizeidienststelle des Bezirks Zentraljnyj gebracht. Wir waren ca. 50 Personen dort. In der Polizeidienststelle wurden wir nicht mehr geschlagen, aber das Gefühl, dass sie es wieder tun, begleitete uns ständig, weil wir immer wieder beleidigt und aggressiv angegangen wurden. Wenn einer der Polizisten das Zeichen in meinem Gesicht sah, sagte der: „Oh, jetzt bist du aber am Arsch.“

Ich wurde noch zu irgendwelchen Kriminalermittlern gebracht, die auch aggressiv aufgetreten sind. Sie sagten, der OMON [Bereitschaftspolizei] würde mich mit dem Analknüppel der Reihe nach durchnehmen. Sie sagten, sie würden mir auch gern eine verpassen, aber ich würde ihnen leid tun, „weil du sowieso noch vom OMON verprügelt wirst“, aber darauf reagiert ich gar nicht mehr.“

Erik wurde zunächst zu 12 Tagen Haft (Ordnungswidrigkeit) verurteilt, danach wurde er jedoch zum Tatverdächtigen nach Art. 324, Teil 1 StGB RB, gemacht: Vorbereitung oder aktive Beteiligung an Taten, die grob die öffentliche Ordnung verletzen. Nach Eriks Worten hat man versucht ihm vorzuwerfen, dass er einen OMON-Polizisten geschlagen hätte oder Steine auf die Polizeidienststelle im Bezirk Zentralnyj geworfen hätte.

 

Pawel Kabuscha, wurde am Sonntag, den 8. November, in Minsk festgenommen.

Nach der Festnahme wurde auf seinem Smartphone ein Video von Dreharbeiten zu einem Musikvideo gefunden. In diesem Video kamen Rauchbomben zum Einsatz. Auf dieser Grundlage behaupteten die Sicherheitskräfte, Pawel habe sie mit Rauchbomben bewerfen wollen, obwohl er keinerlei Rauchbomben bei sich trug.

„Sie drehten mich um, mit dem Gesicht in den Sitz, dann schlugen sie mich ein paar Mal, fesselten meine Hände, markierten sie mit Farbe aus einer Spraydose und auf meinem Rücken malten sie ein rotes Kreuz. Sie sagten, ich hätte ihnen genug erzählt, um für lange Zeit im Gefängnis zu landen. Wir fuhren ein wenig durch die Stadt, dann setzte man uns in einen Gefangenentransporter um. Einem der anderen Polizisten sagten sie, es gebe Beweise dafür, dass ich einen Angriff auf den OMON geplant hätte. Ich sagte, dass es keinerlei Beweise gäbe, wofür ich von einem Polizisten gleich einen Schlag in den Bauch verpasst bekommen habe. Von da an spielte es keine Rolle, was tatsächlich passiert war, das rote Kreuz auf meinem Rücken bedeutete einfach, dass ich schwer verprügelt werden muss.“

 

Igor, wurde am 11. August in Grodno festgenommen

"Eine Gruppe von Polizisten schleppte uns zum Gefangenentransporter, eine andere Gruppe Polizisten nahm uns in Empfang und schlug mit Holzstöcken auf uns ein. Mein Gesicht markierten sie mit einem grünen Filzstift. Sie haben sich an meinem Fahrrad gestört, einer meiner Aufkleber gefiel ihnen nicht, obwohl da einige Dutzend angebracht waren. Wir standen auf den Knien, das Gesicht zu Boden, die Hände hinter dem Rücken. Sobald du die Position gewechselt hast, bekamst du einen Schlag. So standen wir einige Stunden, bis sie uns weggebracht haben, um Protokolle zu erstellen. Im Büroraum stand ich mit dem Gesicht zum Boden, während die Polizisten meine persönlichen Daten aufnahmen.“

Igor wurde leicht verletzt.

 

Stanislav D., Festnahme am 11. August in Minsk

„Ich ging mit einer Freundin die Orlowskaja-Straße entlang und wir unterhielten uns. Zwei Kleinbusse mit abgedunkelten Fenstern überholten uns auf dem Weg. Ein Sicherheitsbeamter in einer grünen Uniform stieg aus dem Bus.

Wir fragten ihn, wie gefährlich es sei, weiter geradeaus zu gehen. Er sagte, wir sollten umkehren. Wir wollten zurückgehen, aber ein paar andere Männer stiegen aus dem Bus, einer von ihnen mit einem Gewehr. Sie kamen auf uns zu und forderten uns auf, unsere Handys zu entsperren und ihnen unsere Video- und Fotoaufnahmen zu zeigen. Bei meiner Freundin fanden sie ein Video von einer Aktion am Vortag. Dann sahen sie auch ein weißes Bändchen an meinem Handgelenk. Gleich daraufhin erhielt ich, glaube ich, den ersten Schlag.

Als wir am Einkaufszentrum „Riga“ vorbeifuhren, wurde unser Bus mit weißer Farbe beworfen. Die Sicherheitskräfte ärgerten sich sehr. Der, der das Gewehr bei sich hatte, bat darum das Fenster runterzulassen, damit er schießen kann. Ich kann mich nicht genau erinnern, ob er dann tatsächlich geschossen hat oder nicht.

Ich wurde gebeten mich auf den Boden zu legen. Meine Hände wurden hinter meinem Rücken gefesselt, wahrscheinlich mit einem Kabelbinder, davon sind an meinen Händen Spuren übriggeblieben.

In dieser Position bleib ich circa 20 Minuten liegen. Regelmäßig trat man auf mich drauf. Dann sahen sie meinen weiß-rot-weißen Gürtel. Der wurde, glaube ich, zerschnitten. Danach hat man uns aus dem Kleinbus in einen Gefangenentransporter verlegt. Was mit meiner Freundin danach passierte, weiß ich nicht.

Im Gefangenentransporter lag bereits ein Mensch. Man legte mich neben ihn und schlug ein wenig mit Knüppeln auf mich ein. Dann wurde ich rausgeführt, sie nahmen eine Flasche mit weißer Farbe und gossen sie mir über den Kopf. Dann packten sie mich an den Haaren und wischten mit meinem Kopf die Farbe am Bus ab.

Ich weiß nicht, ob die Farbe noch über jemand anderen gegossen wurde. Aber man sagte mir, da wäre noch ein zweiter Mann, mit dem zusammen ich die Farbe auf den Bus geworfen hätte. Aber ich hatte nichts mit dieser Farbe zu tun, ich wurde mit jemand verwechselt.

Danach wurden wir noch zwei Mal von einem zum anderen Gefangenentransporter verlegt. Dabei wurden wir geschlagen. Die OMON-Polizisten wurden auf die weiße Farbe in meinem Haar aufmerksam – das war wie eine Markierung: Dieser Mensch muss hart behandelt werden. Sie sagten es selbst ganz offen – dieser ist „markiert“.

In Okrestina wurden wir an einem Zaun auf die Knie gestellt, Kopf zum Boden. Dort wurden wir am meisten geschlagen. Häufig wurden die Polizisten auf die Farbe aufmerksam, die ich an mir hatte. Für die war es ein weiterer Grund mich zu schlagen. Meistens schlugen sie auf die Beine und auf den Rücken ein, und sehr häufig aufs Gesäß. Meist mit Knüppeln, manchmal mit den Füßen oder der Faust.

 

Alexander Worobjew - Festnahme am 11. August in Grodno.

Er wurde markiert, weil er Belarussisch sprach – an seinem Arm verblieben Spuren von einem Kreuz, mit dem er markiert wurde.

 

Ruslan Kulewitsch - Festnahme am 11. August in Grodno

„Am 11-ten abends wurde ich zusammen mit meiner Frau festgenommen. Wir fuhren Fahrrad. Bei der Festnahme, als die auf mich einschlugen, wurden mir beide Hände gebrochen. Sie hatten erfahren, dass ich Journalist bin. Sie schlugen mich auch, als sie mich aus dem Gefangenentransporter rausführten. Sie markieren die Menschen: Mit einem blauen oder grünen Filzstift malen sie einem ins Gesicht, und wenn sie einen dann aus dem Gefangenentransporter führen, sagen sie: „Der ist markiert, der muss es härter abkriegen.“ Das wussten alle im Gefängnis. Es gab Polizisten, die einem im Gefangenentransporter sagten: „Reib dir schnell die Farbe aus dem Gesicht.“ Und dann machten es die Leute.

Zuerst wurden die Markierten aus dem Gefangenentransporter geführt. Ich wurde auch markiert, weil ich eine Presseweste bei mir hatte. Später, als ich mit den Polizisten und den Offizieren sprach und ihnen erklärte, wer ich bin, wurde ich besser behandelt [4].“

 

Pjotr Murawej - Festnahme am 10. August in Minsk

Pjotr wurde gemeinsam mit seinem Freund Wjatscheslaw Schischkin festgenommen. Anders als Wjatscheslaw versuchte Pjotr den Sicherheitskräften zu entkommen. Mit der Farbe wurde nur Pjotr markiert, er wurde erheblich härter behandelt.

"Sie brachten mich in ein separates Büro, warfen mich auf den Bauch und fingen an, mich mit Schlagstöcken zu traktieren. Parallel dazu fragten sie mich, wie viel man uns bezahlt hätte, ob wir denn ein schlechtes Leben haben würden, wie viel wir verdienen, als was wir arbeiten usw. Was auch immer du geantwortet hast, du wurdest geschlagen. Dann hab ich einfach geschwiegen und versuchte den Schmerz auszuhalten. Da haben die dann weniger geschlagen.“

Danach begannen die Polizisten, Pjotr auf Video aufzuzeichnen.

"Ich sagte, ich ging die Straße entlang", erzählt er. „Sie schalteten die Kamera aus und fingen an mich zu verprügeln, sie sagten, ich hätte falsch geantwortet. Sie sagten: Ich sags dir vor und du wiederholst es. Da war ein Rucksack mit Benzin im Büro. Sie nahmen den Rucksack und gaben mir den die Hand. Und dann sagten sie, dass ich mit Molotow-Cocktails unterwegs sei, um OMON-Polizisten abzufackeln. Am Ende sagten sie, dass ich mit diesem Rucksack nicht bis zum Morgen überleben würde.“

Nachdem er verprügelt wurde, wurden die Shorts, das T-Shirt und die Haare von Pjotr mit gelber Farbe markiert. Als die Gefangenen am nächsten Tag aus der Polizeidienststelle nach draußen geführt wurden, mussten sie durch einen „Korridor aus Knüppeln bis zum Gefangenentransporter gehen“, erinnert sich Pjotr und ihm schrien die Polizisten zu: „Da ist er, der Fackelmann!“

 

Übersetzt aus dem Russischen für Stimmen aus Belarus und die Heinrich-Böll-Stiftung von Wanja Müller, mit freundlicher Genehmigung von Olga Karatsch und „Nasch Dom


[1] - Erster Bericht von „Nash Dom“ über Farbstigmatisierung von Gefängnisinsassen, vom 9.10.2019, hier in deutscher Übersetzung

[2] - Zweiter Bericht von „Nash Dom“ ergänzt um Zeugenberichte, mit Verweisen auf Originalquellen, vom Online-Magazin „The Village. Belarus“

[3] - Das vollständige Schreiben der Polizeibehörde ist dem zweiten Bericht von „Nash Dom“ zu Farbstigmatisierung beigelegt, hier auf Russisch.

[4] - Übersetzung des ausführlichen Berichts von Ruslan Kulewitsch zu seiner Festnahme und warum er (zwischenzeitlich) besser behandelt wurde. 

 

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[5]„Nasch Dom“ - (dt, „Unser Haus“), ist ein Bürgerrechtsnetzwerk, urspr. aus Witebsk, Belarus. Mit rund 20 Gruppen ist es mittlerweile in mehr als 15 Städten und Gemeinden in Belarus aktiv. Das Netzwerk organisiert öffentliche Kampagnen zu Themen Menschenrechte, staatliche Repression und Gewalt, unterstützt Aktivisten und Betroffene. Auch über eine deutschsprachige Webseite und einen Newsletter informiert „Nasch Dom“ die Öffentlichkeit über seine Arbeit.

Quelle 1: https://nash-dom.info/63467

Quelle 2: https://www.the-village.me/village/city/whatsgoingon/285925-metki?fbclid=IwAR2OHwSnB0BWFeBq3mv_XpEaZ2NPiiX9KVKs18G8BXwY_tGRDs5bDR5akVc