Polen bleibt gespalten

Kommentar

Polen hat nach einem spannenden Wahlkrimi seinen neuen Präsidenten gewählt. Was anfangs nach einem Durchmarsch des bisherigen Amtsinhabers Andrzej Duda aussah, erwies sich als der Versuch einen Richtungswechsel in der polnischen Innenpolitik einzuschlagen.

Protest vor dem Präsidentenpalast in Warschau, 10.07.2020
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Protest vor dem Präsidentenpalast in Warschau, 10.07.2020

Äußerst knapp entschied der polnische Wähler am 12. Juli über den Ausgang der Präsidentschaftswahl. Mit 51,1 Prozent wurde der bisherige Amtsinhaber Andrzej Duda, der dem Regierungslager der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) entstammt, bestätigt. Sein Herausforderer Rafał Trzaskowski, von der oppositionellen Bürgerplattform (PO), kam auf 48,9 Prozent der Stimmen. Den Unterschied machte eine knappe halbe Million der Stimmen aus.

Der Wahlausgang zeigte nicht nur ein gespaltenes Land mit zwei sich feindlich gegenüberstehenden Lagern. Die Präsidentschaftswahl war auch eine Art Volksplebiszit über die Fortführung der bisherigen Politik der regierenden PiS-Partei und darüber, ob Polen einen politischen Wechsel wünscht. Beobachter sprachen von der wichtigsten Wahl seit der Wende in 1989. Es verwunderte also nicht, dass die zwei Kandidaten sich über Wochen einen aggressiven und beispiellosen Schlagabtausch lieferten, der auch international für Aufmerksamkeit sorgte. Dabei nutzte der Amtsinhaber Duda anti-deutsche und antisemitische Ressentiments, hetzte auf widerliche Art und Weise gegen sexuelle Minderheiten - hier vor allem gegen die LGBT-Community -, mit der Begründung, dadurch werde das traditionelle polnisch-christliche Lebensmodell geschützt.

 Polen in zwei Lager getrennt

Die politische Szene Polens wird seit Jahren trotz anderer vorhandener Bündnisse von zwei Parteien dominiert. Auf der einen Seite ist es die PiS-Partei, die in der Koalition der Vereinigten Rechten (mit zwei kleineren Parteien: Solidarna Polska und Porozumienie) das Land regiert. Auf der anderen Seite befindet sich die Bürgerplattform (PO), welche die Opposition stark dominiert. Die Trennlinie, die zwischen den Parteien verläuft ist auch jene, die Polen in zwei Lager trennt. Die jahrelange Polarisierung der politischen Landschaft führte zur Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die sich zu den Gewinnern der Transformation zählen dürfen, wirtschaftlich erfolgreich sind, gut gebildet, mehrsprachig nach Europa blicken und ein modernes offenes Land wollen. Und in diejenigen, welche nicht von der Transformation profitierten, sich in traditionelle Werte und Vorstellungen flüchten, die moderne Welt als Bedrohung und Schwächung der eigenen Identität sehen. Beide Parteien unterstützen die jeweiligen Sichtweisen. Die PiS kreiert sich als Verteidigerin des traditionellen Polens und die Fürsprecherin der einfachen Menschen, die PO steht für wortgewandte kosmopolitische Großstadt-Eliten, die auf den Otto-Normalverbraucher aus der Provinz herabblicken. Was als bloße, fast schon populistische Vereinfachung klingt, gehört zur politischen Realität in Polen. Dementsprechend aufgeladen ist die Rhetorik.

Neue Dynamik im Wahlkampf

Vor dem zunächst ursprünglich geplanten Wahltermin am 10. Mai deutete alles darauf hin, dass der bisherige Amtsinhaber Andrzej Duda die Präsidentschaftswahl mit großer Mehrheit klar für sich entscheiden würde. Zumal mitten in der Covid19-Pandemie die Menschen sehr auf die Folgen der Corona-Krise konzentriert waren, die anderen 10 Kandidaten zudem keine Möglichkeit hatten einen richtigen Wahlkampf zu machen, anders als der amtierende Präsident, der seine Termine absolvierte, die Staatsmedien auf seiner Seite hatte und seine Wählerschaft so aktivieren konnte. Außerdem erwies sich die Kandidatin der Bürgerplattform Małgorzata Kidawa-Błońska als schwach und farblos, boykottierte teilweise die Wahl wegen der Corona-Pandemie; die anderen Kandidaten blieben ebenfalls unter ihren Erwartungen. Die Wahlkampagne dümpelte dahin, bis es kurz vor der Verschiebung des Wahltermins – dem eine handfeste Regierungskrise vorausging - zu einem Kandidatenwechsel im Lager der Bürgerplattform kam. Der Stadtpräsident von Warschau der liberalkonservative Rafał Trzaskowski (seit 2018) verlieh dem Geschehen eine neue Dynamik. Außerdem sorgte die Verschiebung des Wahltermins und die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen dafür, dass die Wahlkampagne an Fahrt gewann.

LGTB-Community noch immer diskriminiert

Die erste Runde der Wahl war noch durch breite inhaltliche Debatten geprägt, auch wenn die Innenpolitik die eigentlich für das Präsidentenamt wichtigere Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik weitgehend überdeckte. Zunächst ging es also viel um Gesundheits-, Sozial- und Rentenpolitik, sowie um ökonomische und umweltpolitische Fragen. Ein Teil davon war auch noch in der 2. Runde präsent, aber hier ging es dann doch vor allem um das große Ganze, also die Vision von Gemein- und Staatswesen, die den Kern der Rivalität zwischen Nationalkonservativen, gemäßigten Konservativen, Liberalen und Linken ausmacht. Der Stab von Duda versuchte vor allem das Thema LGBT, das gleich gesetzt wurde mit Sexualisierung von Kindern und der Pädophilie, in neuem Gewand nochmals aufzuwärmen, indem der Präsident einen Vorschlag zur Festschreibung elterlicher Entscheidungshoheit über extracurriculare Bildungsinhalte in Schulen in die Verfassung einbrachte und eine Familiencharta unterschrieb, die nur eine traditionelle heterosexuelle Form der Familie akzeptiert und unterstützt. Auf der anderen Seite war das Trzaskowski-Lager bemüht, sich nicht als liberaler Bildungsstürmer zu generieren und die populären sozialpolitischen Errungenschaften der PiS zu loben, gleichzeitig die Regierungspartei für ihre ja direkt auch gegen ihn gerichtete schamlose Propaganda im Staatsfernsehen anzugreifen. Er kreierte sich als Familienmensch, Brückenbauer, Kandidat aller Polen jenseits von Parteigrenzen und Überzeugungen, und als Europäer, der zwar modern denkt, aber durchaus auch konservativ agiert und sich z.B. gegen die Kinderadoption durch gleichgeschlechtliche Paare ausspricht.

1. Runde: Duda, erwartungsgemäßer Gewinner

Die Ergebnisse der 1. Runde der Präsidentschaftswahl am 28. Juni zeigten, dass die Polen trotz verschiedener inhaltlicher Differenzen weiterhin grundsätzlich in Unterstützer und Gegner der gegenwärtigen nationalkonservativen Regierung gespalten sind. Sobald mit Rafał Trzaskowski ein progressiver Liberalkonservativer ins Rennen eingestiegen war, hatte sich die Aufmerksamkeit sowohl des Regierungslagers als auch der auf Veränderung hoffenden Wählerschichten auf ihn konzentriert. Der große Gewinner der 1. Runde war erwartungsgemäß Amtsinhaber Andrzej Duda (43,5 Prozent), Rafał Trzaskowski bekam aus dem Stegreif 30,5 Prozent der Stimmen. Die großen Verlierer mit unter 3 Prozent der Stimmen waren Robert Biedroń (Linke) und Władysław Kosiniak Kamysz (Bauernpartei).  Überraschend war die Drittplatzierung des unabhängigen Kandidaten, Szymon Hołownia (13,9 Prozent). Und das starke Abschneiden der ultrarechten Konfederacja mit ihrem Spitzenkandidaten Krzysztof Bosak (6,8 Prozent).

2. Runde: Unfaires Kopf-an-Kopf-Rennen

In der 2. Runde am 12. Juli trat Andrzej Duda also gegen den Kandidaten der Bürgerkoalition Rafał Trzaskowski an. Es zeichnete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen in den Umfragen ab, und das obwohl Rafał Trzaskowski mehr als ein Dutzend Prozent Rückstand aufzuholen hatte.

Der zweite Wahlgang wurde sofort ein Kampf bis aufs Messer und um jede Stimme, denn der Sieg des Amtsinhabers war immer noch mit Abstand das wahrscheinlichste Ergebnis dieser Wahl, aber im Unterschied zu den letzten Jahren keineswegs mehr sicher, wie auch der erste Wahlgang zeigte. Ein wichtiges Zeichen dafür war das Verhalten von dem Parteichef der PiS und de facto dem Staatschef Jarosław Kaczyński: Bereits vor der ersten Runde gab er mit Blick auf den Oppositionskandidaten Trzaskowski einen sogenannten „Alarm für Polen“ an seine Parteigenossen aus, das Staatsfernsehen unter Leitung des ihm treu ergebenen Jacek Kurski brachte ein Trzaskowski diskreditierendes Material nach dem anderen, und Kaczyński selbst - die polarisierendste Figur des gesamten politischen Lebens in Polen - verschwand komplett von der Bildfläche – ganz so, als sei Andrzej Duda tatsächlich ein unabhängig agierender Politiker und Repräsentant des polnischen Staates und nicht einfach nur der (in der Sicht der Opposition) willfährige „Kugelschreiber“ seines Parteichefs, der die vorgelegten Gesetze der Regierung kritiklos unterschreibt und somit ein williger Helfer beim Staatsumbau ist. Kaczyński tauchte kurz vor der zweiten Wahlrunde auf und betonte, dass diejenigen die Duda und das traditionelle Polen nicht wählen nicht würdig seien Polen genannt zu werden.

Zukunftsaussicht auf Wechsel der Politik

Die zwei Kandidaten stehen für zwei Polen und zwei Weltanschauungen. Die Kampagne wurde zu einer von Hasstiraden begleiteten Schlammschlacht, bei der die bereits existierenden Gräben in der Gesellschaft noch weiter vertieft wurden. Am Ende gab es einen Gewinner, aber das Land ist in seiner Spaltung geblieben. Stadt gegen Land, West gegen Ost, Modern gegen Konservativ, Gebildet gegen Ungebildet, Reich gegen Arm, Zukunft gegen Vergangenheit, Europa versus Nationalstaat, europäisch gegen patriotisch. Gleichzeitig zeigt sich, dass sich die Formel der PiS zum Gewinnen von Wahlen - Sozialpolitik, setzen spalterischer Themen zur Teilung der Opposition, massive Mobilisierung der eigenen Wählerschaft - langsam auszuhöhlen beginnt, der Regierung gehen die Ideen aus. Je nachdem, wie sich die politische Landschaft weiter entwickeln wird (Bürgerkoalition vs. Linke, Konfederacja, ggf. neue Bewegung von Szymon Hołownia), dürfte es bei den nächsten Parlamentswahlen in drei Jahren spannend werden. Bis dahin wird die PiS allerdings alles daransetzen, ihr Maximalprogramm an Staatsumbau – Fortführung der Justizreform, Rezentralisierung der Macht, und Repolonisierung der Medien - umzusetzen. Zumal sie sieht, dass sie was ihre Entwicklung angeht, ein Ende erreicht hat und knapp die Hälfte der Wähler sich für eine andere Option ausgesprochen hat. Für einen Wechsel der Politik – wofür der Kandidat Trzaskowski stand. Der jetzt übrigens angekündigt hat, eine Bürgerbewegung gründen zu wollen.

 Hoffnung auf junge Wähler

Wenn man sich genauer die Wahl anschaut, ist die hohe Wahlbeteiligung mit knapp 68 Prozent der Wahlberechtigten ein Zeichen dafür, dass die polnische Gesellschaft trotz einer gewissen politischen Verdrossenheit – verursacht durch die fehlende politische Kultur – wieder aktiv in das Geschehen eingreifen will und sich ihrer Wirkungsmacht bewusst wird. Positiv zu werten ist die Anzahl der Jungwähler. Hier lag die Wahlbeteiligung bei 64 Prozent, die deutlich höher als 2019 lag (Parlamentswahl 46 Prozent, EP-Wahl 27 Prozent). Zudem wies diese Gruppe andere Präferenzen auf und wählte mehrheitlich den Oppositionskandidaten. Sie lehnen die Geschichtsfixierung der PiS genauso wie Anti-LGBT-Feldzüge ab, sprechen sich für mehr Europa und Klimaschutz aus. Ihnen ist die Sozialstaatsorientierung und die politisch-kulturelle Provinzialität der PiS-Kernwählerschaft fremd. Andrzej Duda punktete vor allem bei der Generation 50+.  Über 61 Prozent wählten ihn.

„Duda gewinnt auf dem Land“ lauteten viele Schlagzeilen und das stimmt. Der Amtsinhaber tourte durch Polens Dörfer und Kleinstädte, gab sich volksnah und diese Rechnung ging auf. Andrzej Duda steht mit seiner jovialen Art, seinen Unzulänglichkeiten, wie den nicht besonders ausgeprägten Englischkenntnissen, einem durchschnittlichen Kowalski näher als der gebildete, eloquente und mehrsprachige Trzaskowski, der für viele Polen aus der Provinz fremd und eingebildet erscheint. Duda fühlt sich für viele Menschen heimischer an, wie einer von ihnen, aus dem Volk. Der traditionell lebt und dem im Leben nicht immer alles gelang. Der zu Tante Grete zum Geburtstag kommt, Blumen mitbringt und den Wodka mittrinkt. Das zeigte auch die Wahl. Die PiS verfügt über ihre ideologische Kernwählerschaft vor allem in der Provinz, in Dörfern und Kleinstädten sowie bestimmten Regionen (Südosten, Zentralpolen und Osten). Der liberal-konservativen Opposition hingegen gehören vor allem die größeren Städte, ohne diese jedoch so zu dominieren wie die PiS „ihr“ Territorium. Zudem ist die Wählerschaft der Opposition in der Regel wohlhabender und besser gebildet. Duda punktet bei Landwirten und den wenig Gebildeten. Interessanterweise ist es der Bürgerkoalition mit Trzaskowski allerdings gelungen, ein wenig stärker als bisher in die Provinz vorzudringen, die weitestgehend vom Staatsfernsehen bedient wird – vielleicht noch nicht in Wahlergebnissen, aber in Sichtbarkeit macht das für die Zukunft gewiss einen Unterschied. In den Wahlkämpfen 2019 sah man z.B. in Kleinstädten in Masowien, Heiligkreuz, Podlachien fast ausschließlich Plakate der PiS, diesmal tauchten plötzlich auch Plakate der PO auf – sicher ist das eher darauf zurückzuführen, dass die lokal „Andersdenkenden“ Mut fassen.

Wechselwähler - Potenzial nicht zu verachten

Auf einen Aspekt sollte man im Zuge der Präsidentschaftswahl-Nachlese auch hinweisen und zwar auf das Phänomen der neu auftauchenden Kandidaten. Wie etwa Szymon Hołownia, der im ersten Wahlgang 13 Prozent der Stimmen geholt hat. Seit Jahrzehnten gibt es in der polnischen Politik dieses „Antisystem-Phänomen“ – also das Auftauchen (und relativ schnelle Verschwinden) von Formationen, die sich mit charismatischen Führungspersönlichkeiten gegen den korrupten, mit sich selbst oder der Vergangenheit beschäftigten Mainstream stellen. So war das in den 2000er mit der bäuerlichen Samoobrona (Selbstverteidigung von Andrzej Lepper) und der mit kulturell rechtsextremen Positionen liebäugelnden Liga der Polnischen Familien (Rechtsanwalt Roman Giertych), 2011 mit der linksliberalen Palikot-Bewegung (Unternehmern Janusz Palikot) und 2015 mit der rechtspopulistischen Bewegung Kukiz15 des Rockstars Paweł Kukiz. Diese Bewegungen waren alle im Kern populistisch ausgerichtet, hatten aber insofern eine Daseinsberechtigung, dass sie vom politischen System nicht ausreichend berücksichtigte Interessenlagen und Wählergruppen (vor allem Klein- und Mittelstädte, die am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt nicht genug teilhaben und daher ein Wechselwählerpotenzial aufweisen) transportierten. Die Kampagne des Medienstars Szymon Hołownia vereinte liberalkonservative Positionen mit starken grünen Akzenten und war ein deutliches, begrenzt progressives, aber vor allem frischeres Alternativangebot zu den etablierten Spielern Bürgerplattform und Bauernpartei. Das Wahlergebnis blieb zwar mit 13 Prozent deutlich unter den Erwartungen zurück (und mit dem Ergebnis der rechten Konfederacja entsprach es in etwa dem Ergebnis von Kukiz in 2015), doch für einen Politik-Neuling war es ein guter Start und die Kampagne selber hatte in den sozialen Medien für Aufsehen gesorgt und eine ganze Reihe junger, bisher nur zivilgesellschaftlich aktiver Personen für ein Engagement in der Politik geöffnet. Es bleibt abzuwarten, ob sich hieraus eine neue Bewegung entwickeln wird oder zumindest einige (personelle) Veränderungen auf Seiten der Oppositionsparteien ergeben. 

Tor offen für Populismus auf dem Land

Für Überraschung und Empörung zugleich sorgte das relativ gute Abschneiden der ultrarechten Konfederacja und ihres Kandidaten Krzysztof Bosak mit 6,78 Prozent in der 1. Runde der Präsidentschaftswahl. Gewählt wird die rechtsnationale Bewegung vor allem von jungen Männern auf dem Land. Entstanden aus verschiedenen Antisystem-Quellen (Nationalradikales Lager, Liberal-Chauvinisten um Janusz Korwin-Mikke, Freiheitliche, Verschwörungstheoretiker, Impf- und Abtreibungsgegner), die miteinander selber noch um die Vorherrschaft in der Partei ringen, hat sich die Konfederacja dank einer geschickten Strategie in den  Sejm wählen lassen (seit 2019 dort vertreten), wo sie sich trotz bestimmter programmatischer Übereinstimmungen nicht von der PiS vereinnahmen lässt und durchaus auch mal mit den anderen Oppositionsparteien stimmt. Ihr eloquenter und unter Jungen massiv attraktiver Präsidentschaftskandidat Krzysztof Bosak hat sich  mit einem Mal den Ruf des „Züngleins an der Waage“ erkämpft. In der 2. Runde buhlten interessanterweise sowohl Duda wie auch Trzaskowski um deren Stimmen.

Probleme mit der Stimmabgabe im Ausland

Nach der Wahl gab es vor allem aus dem Ausland stammende zahlreiche Wahlproteste und -beschwerden, die wegen Unregelmäßigkeiten und Schwierigkeiten bei der Stimmangabe gemeldet wurden. Gerade in Grossbritannien und Deutschland hatten die Auslandspolen Probleme mit der Stimmabgabe. Die Wahlunterlagen wurden zu spät zugestellt, waren nicht korrekt abgestempelt oder sie konnten nicht abgegeben werden. Ausgerechnet in den Ländern, in denen Duda bei grosser Wählerzahl verhältnismässig wenig Zuspruch findet. Nach der ersten Runde häuften sich zudem in den sozialen Medien Mitteilungen von Wahlbeobachtern der Oppositionsparteien, dass in Wahlkommissionen  „schludrig“ ausgezählt wurde. Daraufhin wurden von NGOs nochmals Aktionen für gesellschaftliche Wahlbeobachtung verstärkt. Am Ende gewann der Kandidat der Opposition Trzaskowski in Deutschland mit 77 Prozent der Stimmen deutlich.

Die antideutsche Karte wurde relativ spät im Wahlkampf gezogen. Diesmal spielten die Reparationen weniger eine Rolle. Vielmehr kam der Vorwurf der angeblichen Einmischung der deutschen Medien in den polnischen Wahlkampf. Es fing alles an mit einer kritischen Publikation des Boulevard-Mediums FAKT (Pendant der BILD-Zeitung) zu einem Begnadigungsakt von Präsident Duda für einen pädophilen Vater, dem die von ihm missbrauchte Tochter angeblich vergeben hatte (in Wirklichkeit war sie dringend auf dessen finanzielle Unterstützung angewiesen, die der polnische Staat unter der PiS Verbrechensopfern vorenthält). Mehrere hochrangige Regierungsvertreter brandmarkten daraufhin die angebliche „deutsche Einmischung“ in den Wahlkampf und drohten erneut mit einer „Neuordnung“ auf dem „vom Ausland gesteuerten“ polnischen Medienmarkt.  Ein deutscher Korrespondent in Warschau wurde persönlich vom amtierenden Präsidenten auf einer Wahlveranstaltung verbal angegriffen, sein Foto in den Hauptnachrichten des staatlichen Fernsehens gezeigt. Es hieße, der Journalist hätte in seinem Bericht dazu aufgerufen, es wäre besser für die deutsch-polnischen Beziehungen den Oppositionskandidaten Trzaskowski zu wählen. Der Streit darüber führte zu diplomatischen Zerwürfnissen. Ein hoher Vertreter der deutschen Botschaft wurde ins polnische Außenministerium zitiert. Der von Deutschland ernannte Botschafter hat bis heute keine Zulassung in Polen bekommen. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Unterstellungen den Beziehungen den beiden Ländern geschadet haben – und wie sich diese weiter entwickeln. Allerdings sind die bisherigen Kontakte eher vom Pragmatismus geprägt. Beide Länder sind wichtige Handelspartner füreinander. Und stehen als EU-Länder vor ähnlichen Herausforderungen.

Fazit

Zusammenfassend muss man sagen, es war ein knappes Ergebnis für den von der regierenden PiS-Partei unterstützten Amtsinhaber Andrzej Duda, aber ausreichend, um die Macht der PiS für die kommenden drei Jahre ihrer Regierung mit einem regierungsnahen Präsidenten zu sichern. Die Partei zeigte, dass sie mehrheitsfähig ist. Trotz der starken Polarisierung. Sie zeigte, dass es sich für sie nach wie vor lohnt auf das Nationale in Verbindung mit den Sozialleistungen zu setzen, auf die Spaltung in gute und schlechte Polen, auf die Gegenüberstellung von Tradition und Moderne. Der Umbau des Staates und die damit verbundenen sog. Reformen des Justizapparates, der Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung und -deutung, sowie die Umgestaltung des Medienmarktes, sog. Repolonisierung, Gesetze, die Frauenrechte beschränken und auf sexuelle Minderheiten abzielen – all das wird weitergehen.  Dass der Präsident Andrzej Duda in seiner zweiten und somit letzten Amtszeit sich emanzipiert und seine eigene Agenda hat, ist eher nicht zu erwarten. Auch wenn er sich am Wahlabend versöhnlich gezeigt hat. Spannend bleibt eher zu sehen, wie sich das Kräfteverhältnis in der Regierungskoalition entwickelt. Dort haben die kleinen Parteien mit ihren starken Leadern, dem Kultusminister Jaroslaw Gowin und dem Justizminister Zbigniew Ziobro viel Gestaltungsraum und eine gewisse Macht, die den Parteichef Kaczynski immer mehr stört. Das gute Abschneiden des Oppositionskandidaten Rafał Trzaskowski zeigte, dass in der polnischen Wählerschaft der Wille zum Wechsel vorhanden ist, und dass die quasi absolute Macht der regierenden PiS-Partei bröckelt. Abzuwarten bleibt es, wie die Opposition dieses Potenzial der Wähler nutzt.