Der grenzenlose digitale Wahlkampf

Analyse

Der amerikanische Wahlkampf wird wegen des Coronavirus zunehmend im Internet stattfinden. Doch trotz vergangener Skandale fehlt es immer noch an Regulierung digitaler Wahlkampfwerbung. Datenmissbrauch, Manipulation und Desinformation könnten bei den kommenden Wahlen erneut zum Problem werden - und wahlentscheidend sein.

Mark Zuckerberg

„Ein Geschenk an Donald Trump“ nannten die Medien Googles Ankündigung, in Zukunft Anzeigen, bei denen das Coronavirus erwähnt wird, auf ihren Plattformen zu verbieten. Google wollte verhindern, dass Betrüger/innen aus der Krise Profit schlagen, beschränkte damit aber auch die Möglichkeit, den US-Präsidenten für seine Versäumnisse während der Krise bei der kommenden Wahl zur Verantwortung zu ziehen. Mittlerweile hat Google die Regelung teilweise wieder aufgehoben. Trotzdem zeigt die Episode, welche Macht bei den Konzernen liegt in einem Wahlkampf, der zunehmend über ihre Plattformen geführt wird.

Homeoffice statt Town Hall

Digitale Wahlkampfwerbung spielt nicht erst seit der Verbreitung des Coronavirus eine immer größere Rolle. Viele sehen in Trumps kontinuierlichen Investitionen in Online-Werbung und der damit verbundenen Sammlung von Daten einen entscheidenden Vorteil seiner Kampagne. Schon 2016 hatte er etwa ein Drittel seines Budgets für digitale Anzeigen ausgegeben – vier Mal so viel wie die Demokratin Hillary Clinton  und dabei über 6 Millionen verschiedene Formate ausgespielt.

Grafik: Wahlkampfausgaben der U.S. Präsidentschaftskandidaten in den sozialen Medien

Im Wahljahr 2020, in dem öffentliche Auftritte vor Publikum unmöglich sind, müssen Kampagnen potenzielle Wähler/innen erst recht erreichen, wo sie in solchen Zeiten anzutreffen sind: in den sozialen Medien, Suchmaschinen und auf Video Streaming-Plattformen. Von Anfang Januar bis Ende April gaben allein Trump und sein Gegner Joe Biden über 70 Millionen US-Dollar für Anzeigen bei Google und Facebook aus. Der Multimilliardär Mike Bloomberg hatte im demokratischen Vorwahlkampf 16 Millionen US-Dollar in einer einzigen Woche ausgegeben.

 

Die aufgeregte Debatte über Desinformation und Manipulation, die im Rahmen des Cambridge-Analytica-Skandals um Online-Wahlwerbung geführt wurde, hat derweil wenig Früchte getragen. Als 2018 bekannt wurde, dass das Unternehmen für Donald Trumps Präsidentschaftswahlkampf detaillierte Persönlichkeitsprofile von mehr als 87 Millionen Facebook-Nutzer/innen verwendet hatte, um sie mit personalisierten Nachrichten zu manipulieren, wurde die problematische Rolle der Plattformen im Wahlkampf offenbar. Durch dieses „Microtargeting“ wurden persönliche Informationen genutzt, um beispielsweise afroamerikanische Wähler durch das Streuen von Gerüchten über Hillary Clinton vom Wählen abzubringen. Gleichzeitig wurde bekannt, dass russische Akteure in großem Maße Anzeigen gekauft hatten. Vor der Wahl 2016 waren diese Maßnahmen noch relativ unbekannt – doch auch vier Jahre später hat sich am gesetzlichen Rahmen wenig geändert. “Wir sind heute noch weniger geschützt als vor vier Jahren,” warnte eine Cambridge Analytica Whistleblowerin in einem Interview. Die fehlende Regulierung könnte erneut dazu führen, dass der digitale Wahlkampf mit problematischen Mitteln geführt wird.

Regulierung, wie es euch gefällt

Die Plattformen haben die Problematik zumindest erkannt und bemühen sich um mehr Transparenz. Google und Facebook haben eine „Ad Library“ eingeführt, in der alle Anzeigen einer Kandidatin oder eines Kandidaten angesehen werden können – so soll dem manipulativen Ausspielen verschiedener politischer Botschaften an verschiedene Zielgruppen entgegengewirkt werden. Wie viele Wähler/innen sich letztlich durch eine Bibliothek klicken, in der sich wie bei Trump momentan 615.302 Anzeigen befinden, ist allerdings fraglich. Außerdem wissen Nutzer/innen (und möglicherweise selbst Facebook) nicht, auf Basis welcher Daten und Eigenschaften ihnen eine Botschaft angezeigt wird. Der Vorstoß von Twitter, politische Werbung komplett zu verbieten, war ebenso problematisch: Die Demokraten kritisieren, dass die Regelung besonders jenen zugutekomme, die bereits eine etablierte Anhängerschaft auf der Plattform haben, sprich Donald Trump. Seine Twitter-Seite hat über 78 Millionen Anhänger, während Joe Bidens Twitter-Beiträgen gerade einmal 5 Millionen Menschen folgen. Auch die Entscheidung von Facebook, nicht über Wahrheit oder Lüge der Inhalte politischer Anzeigen entscheiden zu wollen – und  somit den Weg für die bezahlte Verbreitung von Falschmeldungen zu ebnen - wurde scharf kritisiert.

Weil es an Regulierung fehlt, entscheiden also profitorientierte Unternehmen, die an Wahlwerbung gut verdienen, über solche potenziell wahlentscheidenden Regelungen selbst. Ob die verschärften Regeln bei Google und Facebook die Probleme lösen ist ebenso umstritten wie die Frage, ob Internet-Portale, die weniger im öffentlichen Fokus stehen, die Ressourcen und Anreize haben, um adäquat zu reagieren. Mittlerweile gibt es so viele Arten, mit Wahlwerbung umzugehen, wie es Plattformen gibt.

Alles Gute kommt von oben?

Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat eine aktivere Rolle des Staates bei der Regulierung gefordert, um „Wahlen zu schützen. Er forderte die Regierung auf, Klarheit zu schaffen, was als politische Werbung gilt, und eine Datenschutz-Regelung einzuführen. In den USA gibt es kein nationales Datenschutzgesetz, das mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung vergleichbar wäre.

Doch Fortschritte sind vor der Wahl 2020 nicht zu erwarten, insbesondere in einer Zeit, in der der Kongress größtenteils mit der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus beschäftigt ist. Die für Wahlwerbung zuständige Federal Election Commission (FEC) ist seit dem Rücktritt eines Republikaners nicht beschlussfähig – nur drei der vier benötigten Sitze sind besetzt, und eine Nachbesetzung würde die Zustimmung des Senats erfordern.

Die FEC hatte die Regeln für Wahlkampfwerbung zuletzt 2006 geändert, noch bevor Facebook für den Wahlkampf relevant wurde. Die Regeln umfassen zwar auch Online-Werbung, doch in der Praxis gewähren sie einige Ausnahmen: Während bei Radio- und Fernsehwerbung gesetzlich vorgeschrieben ist, dass der Käufer einer Anzeige in genannt wird, sind digitale Anzeigen davon ausgenommen. Auch Videos auf digitalen Plattformen und Smart TVs, die wie traditionelle TV-Werbung funktionieren, nur deutlich besser nach Konsumverhalten und soziodemographischen Merkmalen der Nutzer ausgerichtet werden können, fallen nicht unter die bisherigen Regelungen für Fernsehwerbung.

Politische Botschaften zwischen Werbung und Aktivismus

Auch bei voller Besetzung wäre nicht klar, ob die FEC das Mandat und die Zuständigkeit hätte, diese Probleme zu lösen. Im Hintergrund steht die Frage, der sich auch Twitter stellen musste: Was gilt als politische Anzeige? Sind das nur Anzeigen der Kandidat/innen, oder auch solche, die für ein bestimmtes Thema werben, ohne Kandidat/innen zu erwähnen? Und wie soll mit bezahlter Desinformation umgegangen werden, etwa mit Videos, die gegen eine/n Kandidat/innen gerichtet sind und sich viral verbreiten? Prinzipiell kostet die Produktion der Inhalte Geld und beeinflusst die Wahl – insofern könnten sie unter das Mandat der FEC fallen.

Der Versuch, die Regulierung von Wahlkampfwerbung an die Gegebenheiten digitaler Medien anzupassen, gab es bereits auf höherer Ebene: Schon 2017 hatte die demokratische Senatorin Amy Klobuchar den „Honest Ads Act“ im Senat vorgeschlagen, der bisherige Regeln für Wahlkampfwerbung und Finanzierung auf digitale Medien ausweitet. Doch obwohl an dem Vorschlag auch Republikaner/innen mitgearbeitet hatten, wurden hier kaum Fortschritte gemacht. Im Senat, in dem die Republikaner eine Mehrheit haben, konnte das Gesetz bisher nicht verabschiedet werden, und jeder Fortschritt scheint auch hier, wegen der Beschäftigung mit den Folgen des Coronaviruses, noch vor der Wahl unwahrscheinlich.  

Neue Medien, neue Herausforderungen

Während die Gesetzgebung nur langsam voranschreitet, entstehen zeitgleich unentwegt neue Methoden und Formate, digitale Medien für den Wahlkampf zu nutzen. Die demokratischen Vorwahlen haben schon viele Innovationen hervorgebracht: So nutzen Kampagnen zum Beispiel die chinesische Video-Plattform TikTok, um eine junge Zielgruppe zu erreichen. Apps wie „Hustle“ oder „GetThru“  automatisieren und personalisieren den Versand von SMS teilweise so, dass bestehende Regeln umgangen werden können. Und der demokratische Kandidat Mike Bloomberg hat mit dem Bezahlen von Influencer/innen, neue Fragen über das Kaufen von Einfluss aufgeworfen. Von den noch unbekannten Methoden, die wohl erst nach der Wahl bekannt werden, ganz zu schweigen.

Die Politik läuft der technischen Entwicklung hinterher: Politische Grabenkämpfe, die Angst, der Opposition einen Vorteil zu verschaffen, und das Coronavirus lähmen die Gesetzgebung, während sich gleichzeitig neue Medien so schnell verändern und verbreiten wie noch nie. Und auch wenn die Wirksamkeit schwer zu messen ist, und der Diskurs zunehmend von den Versprechen von Wahlkampf-Beratern beeinflusst wird, die mit Vorsicht zu genießen sind: Wenn die Wahl 2020 wieder so knapp ausgeht wie 2016, als etwa 77.000 Stimmen Trump den Sieg bescherten, kann jeder Effekt entscheidend sein.