Corona-Krise in Südafrika: Händewaschen im Township?

Kommentar

Mit nur drei Tagen Vorwarnung trat in Südafrika in der Nacht zum 27. März eine landesweite Ausgangssperre in Kraft. Was in den drei Tagen vor der Ausgangssperre geschah, ist beeindruckend. Statt dem Reflex individueller Vorsorge zu folgen, bildeten sich spontan solidarische Nachbarschaftsnetzwerke.

Menschenschlange in den Cape Flats, Kapstadt
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People queuing in the Cape Flats, Cape Town

Die Regierung reagierte mit der landesweiten Ausgangssperre unter anderem auf düstere Modellrechnungen, die Zahlen von möglichen Infizierten in den Millionen und hunderttausende von Todesfällen voraussagten. Nach dem ersten bestätigten Fall am 05. März war die Zahl der Infektionen innerhalb von zwei Wochen auf über hundert angestiegen. Sie liegt derzeit bei knapp anderthalb Tausend. Fünf Menschen sind an Covid19 bisher verstorben. Trotz einer jüngeren Bevölkerung ist die Sorge groß, dass eine ungebremste Verbreitung des Corona-Virus aufgrund der hohen Zahl von Menschen, die durch HIV und Tuberkulose bereits mit geschwächten Immunsystemen leben, fatale Folgen hätte. Mit etwa 18 Krankenhausbetten pro 100,000 Einwohner, wäre das Gesundheitssystem mit einem exponentiellen Anstieg von schweren Fällen vollkommen überfordert.

Nachbarschaftliche Solidarität in Zeiten der Ausgangssperre

Was in den drei Tagen vor der Ausgangssperre geschah, ist beeindruckend. Statt dem Reflex individueller Vorsorge zu folgen, bildeten sich spontan solidarische Nachbarschaftsnetzwerke. In der Metropole Kapstadt gibt es mittlerweile über 70 sogenannte kommunale Aktionsnetzwerke locker organisiert unter dem Dach von Cape Town Together. Noch bevor die Ausgangssperre begann, sammelten Freiwillige die Kontakte vor allem bedürftiger Nachbarn und organisierten sich mithilfe sozialer Medien. Mittlerweile geht die Solidarität über die eigene Nachbarschaft hinaus und Netzwerke aus wohlhabenderen Teilen der Stadt bilden Partnerschaften mit denen in ärmeren Vierteln. Und der Bedarf ist so groß, wie die soziale Ungleichheit, die Südafrika seit langem plagt.

Händewaschen im Township?

Mag die Maßnahme einer Ausgangssperre angesichts der Entwicklungen in Europa verständlich sein, sie scheint für eine andere Gesellschaft gemacht. Bereits die Hinweise auf Hygiene und soziale Distanz wurden in weiten Teilen der Bevölkerung mit Kopfschütteln vernommen. Wie können sich Menschen ohne Wasserversorgung regelmäßig die Hände waschen? Wie angesichts von Wohnungsnot und dichtgedrängten Lebensverhältnissen vor allem in den Townships sozial auf Distanz bleiben? Wie können Menschen Vorräte anlegen, die von Tag zu Tag überleben?

Ausgangssperre für Ober- und Mittelschicht

Folgerichtig ist die Ausgangssperre eine Beschränkung der Mobilität der Ober- und Mittelschicht, die es sich leisten kann, 21 Tage relativ gut versorgt daheim zu bleiben, mit dem gelegentlichen Ausflug zum Supermarkt. Die Straßen der wohlhabenden Wohngebiete Kapstadts sind derzeit menschenleer. Ein vollkommen anderes Bild herrscht in den Townships. Dort bilden sich lange Schlangen vor Einkaufzentren nach dem kleinerer Kioske in der Nachbarschaft geschlossen wurden. Menschen warten stundenlang vor den Büros, die Sozialhilfen verteilen oder drängen sich an Haltestellen, um in einem der wenigen Minibusse an ihren als essentiell eingestuften Arbeitsplatz zu kommen. Kinder spielen in den Straßen, da die Schulen seit Wochen geschlossen sind.

Regierung ignoriert Realität in Townships

In Regierungskreisen wird laut darüber spekuliert, ob die Bewohner/innen den Ernst der Lage verkennen. Es scheint eher die Regierung zu sein, die nicht versteht, dass sich die allermeisten Menschen überhaupt nicht an die strikten Auflagen der Ausgangssperre halten können. Bereits zu Vor-Corona Zeiten war die Basisversorgung eines Großteils der Bevölkerung vollkommen unzureichend. Weniger als die Hälfte aller Südafrikaner/innen haben Wasser in ihren Häusern oder Wohnungen. Ein Fünftel der Haushalte hat unzureichenden Zugang zu Nahrung. Mit der Ausgangssperre geht den meisten Bewohner/innen der Townships die karge Einkommensquelle verloren, die bisher ihr Überleben sicherte.

Häusliche Gewalt

Und wer kann sich schon in einem Haus aufhalten, in dem Gewalt herrscht und das Leben gefährdet ist? Südafrika hat mit großem Abstand die höchste Femizidrate der Welt. Häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt belasten seit vielen Jahren Frauen, Kinder und ihre Familien. Die Gefahr ist groß, dass die Gewalt zunimmt. Partnerorganisationen der Stiftung arbeiten mit Nachdruck daran, Frauen weiterhin Angebote machen zu können, sich aus Gewaltsituationen zu befreien.

Zivilgesellschaftliche Mobilisierung gegen Nationalisierung und Militarisierung

Das Versprechen der Regierung, im Vorfeld der Ausgangssperre die Wasser-, Gesundheits- und Nahrungsversorgung in den Townships sicherzustellen hat sich bisher nicht materialisiert. Auch wenn hier nachbarschaftliche Solidarität einen Beitrag leisten kann, bleibt es die Aufgabe des Staates, eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten. Dort werden jedoch, statt Verständnis dafür zu zeigen, dass für Viele der tägliche Überlebenskampf schwerer wiegt als die Sorge vor einer Infektion, zum Teil martialische Töne angeschlagen.

Vor einer Nationalisierung und Militarisierung der Antwort der Regierung auf die drohende Corona Krise warnt das zivilgesellschaftliches Aktionsprogramm https://c19peoplescoalition.org.za/poa/, das mittlerweile über 180 Organisationen vereint, unter anderem das Büro Kapstadt der Heinrich Böll Stiftung. Die C19 People’s Coalition bildet eine starke zivilgesellschaftliche Stimme, unter anderem auch gegen autokratische Tendenzen des südafrikanischen Staates. Militär und Polizei gingen in den ersten Tagen der Ausgangssperre mit körperlicher Gewalt, Gummigeschossen und Wasserwerfern gegen Menschen vor, die sich anscheinend nicht an die Auflagen der Ausgangssperre hielten. Die C19 People’s Coalition fordert ein Umdenken in der Rolle der Sicherheitskräfte. Statt die Ausgangssperre gewaltsam umzusetzen, könnten sie die Versorgung und Aufklärung der Bevölkerung begleiten und absichern. Weitere Punkte des Aktionsprogramms umreißen, was notwendig ist, damit sich Menschen tatsächlich vor dem Virus schützen können und nicht Teil der Übertragungskette werden: Einkommens- und Ernährungssicherung, ein Dach über dem Kopf, Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen, Zugang zu Informationen, der Schutz vor Gewalt und die Solidarität von privilegierteren Schichten der Gesellschaft. Die Koalition macht damit auch ein Angebot. Ohne zivilgesellschaftliche Unterstützung ist die Versorgungsaufgabe kaum zu bewältigen.

Neues Denken für die Post-Corona-Welt

Mehr und mehr gehen die Diskussionen über unmittelbare Hilfe und Unterstützung hinaus und die Hoffnung breitet sich aus, dass diese Welle der Mobilisierung ein neues Denken und Handeln einläuten könnte. Während die berechtigte Sorge besteht, dass sich die alten Systeme in einer Post-Corona Welt erneut durchsetzen werden, steigt die Willenskraft vieler Akteur/innen in Südafrika, Strukturen zu schaffen, die das öffentliche Leben neu organisieren. Angesichts der massiven politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, die Südafrika in den nächsten Wochen und Monaten bewältigen muss, mögen diese Überlegungen naiv erscheinen. Aber der Geist der Solidarität ist aus der Flasche und wird die Entwicklungen der nächsten Zeit entscheidend mitbestimmen.