#Brentering: Wie blickt der Rest Europas auf das Brexit-Chaos?

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Aktuelle Umfragen des Meinungsforschungsportals „What UK thinks EU“ vom Frühjahr 2019 untersuchten die Haltung der europäischen Öffentlichkeit zum Brexit im Ländervergleich - Frankreich, Deutschland, Irland - und bringen überraschende Ergebnisse hervor.

Plakat am Straßenrand - BREXIT: NOT GOING WELL IS IT!

„One thing is certain. It is a mess“ – resümierte die New York Times am 29. März, dem Tag an dem Großbritannien offiziell aus der Europäischen Union hätte austreten sollen, über die chaotischen Zustände auf der Insel. So verwirrt blickte auch der Rest der Welt auf das Vereinte Königreich, das noch immer sehr uneinig darüber ist, wie und wann es sich nun - oder eben doch nicht - aus der Union verabschiedet. Der Austiegstermin wurde in hastig anberaumten Abstimmungsrunden mit der EU erst auf den 12. April und nun anschließend auf den 31. Oktober verschoben. Ob die Briten dann wirklich austreten, bleibt ungewiss. Auch wenn jetzt festzustehen scheint, dass sie am 23. Mai an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen werden, ist dennoch immer wenig „for certain“ in diesen Tagen auf der Insel und das Land noch tiefer gespalten als zum Referendum 2016.

In Brüssel mehren sich dafür die Stimmen derer, die langsam die Geduld mit Theresa May und dem britischen Parlament verlieren. EU-Ratspräsident Tusk mahnte an, dass die EU sich wichtigeren Aufgaben widmen müsste, als den nun seit 3 Jahren andauernden Verhandlungen und begrüßte deshalb die Verschiebung des Termins auf Ende Oktober. So stehen vor allem die Bekämpfung von Fehlinformationskampagnen vor der Europawahl, die Handelsbeziehungen mit den USA und die Stärkung des EU Binnenmarkts als dringende Themen auf der Agenda.

Doch wie blicken eigentlich die restlichen Länder Europas gegenwärtig auf den turbulenten Brexit-Prozess? Versteht man in Frankreich und Deutschland noch, was sich zwischen Brüssel und London abspielt und wieso die Briten nicht endlich austreten? Wie abschreckend wirkt das Brexit Chaos auf andere EU-Länder, selbst austreten zu wollen? Und wie hat sich die Haltung Irlands gegenüber seinem europäischen Nachbarn durch den Brexit verändert? Aktuelle Umfragen des Meinungsforschungsportals „What UK thinks EU“ vom Frühjahr 2019 untersuchten die Haltung der europäischen Öffentlichkeit zum Brexit im Ländervergleich und bringen überraschende Ergebnisse hervor.

Frankreich- keine Angst vorm Frexit?

Präsident Emmanuel Macron legte beim letzten EU-Gipfel Mitte April eine besondere Härte gegenüber Großbritannien an den Tag und schlug vor, die Verlängerungsfrist für die UK höchstens auf Ende Juni zu verschieben. Hat die französische Öffentlichkeit die gleiche Haltung?

Auf die Frage, welche Prioritäten die EU bei den Verhandlungen setzen sollten, antworteten über ein Drittel der französischen Befragten, dass Großbritannien keinesfalls die Rechte eines EU-Mitgliedsland zugestanden werden dürfe, ohne noch Mitglied zu sein. Auch lediglich 11 Prozent gaben an, es wäre wichtig eine harte Grenze zwischen Irland und Großbritannien zu verhindern, dabei ist gerade die Einführung einer harten Grenze ein Risiko für ein mögliches Wiederaufflammen von Gewalt in der Region.
Von besonderer Bedeutung ist weiterhin für viele Franzosen und Französinnen die Zusammenarbeit in der Anti-Terror-Bekämpfung, die für über 35 Prozent einen wichtigen Verhandlungspunkt darstellt. [1]
Allerdings sehen die Franzosen das Brexit-Chaos überraschenderweise noch nicht als hinreichende Abschreckung für andere Länder, in der Zukunft ebenfalls die EU verlassen zu wollen. Noch immer antworten insgesamt über 50 Prozent, dass sie es für wahrscheinlich oder sogar sehr wahrscheinlich halten, dass in den nächsten Jahren weitere Exits bevorstehen.[2] Auf die Frage, wie sie in einem möglichen Referendum um die französische Mitgliedschaft wählen würden, geben auch fast 30 Prozent an, aus der EU austreten zu wollen. Diese Zahl ist im Vergleich zu den Vorjahren zwar etwas gesunken, doch ist für eines der größten EU-Länder eine Zustimmung zum Verbleib in der EU von weniger als 50 Prozent der französischen Befragten ein noch immer beängstigendes Ergebnis.

Irland – schwierige Grenzregelung

Ein Land welches in besonderem Maße vom Ausgang der Brexit-Verhandlungen betroffen ist, ist Irland. Gerade die schwierigen Diskussionen um die sogenannte „backstop“- Regelung, haben die Verhandlungen zwischen Premierministerin Theresa May und der EU immer wieder in eine Sackgasse geführt.

Es scheint deshalb kaum verwunderlich, dass das Brexit Chaos die Beziehungen zwischen Iren und Briten auf eine harte Probe stellt. Laut der Umfrage von „What UK Thinks EU“ vom Februar 2019 geben fast 70 Prozent der irischen Befragten an, dass sie seit dem Brexit Referendum eine deutlich negativere Meinung über Großbritannien und die Brit/innen haben. Über 80 Prozent sagen, dass sie lieber die wirtschaftlichen Beziehungen zum Vereinigten Königreich kappen würden als zur EU, wären sie gezwungen zu wählen.[3] Auch wenig erstaunlich, dafür umso eindrücklicher geben weitere 80 Prozent an, dass die britische Regierung schlecht bis außerordentlich schlecht verhandelt hat. Unschlüssig sind sich die Iren allerdings darüber, ob die irische Regierung mit der EU einen Kompromiss aushandeln sollte, um eine harte Grenze (43 Prozent) um jeden Preis zu vermeiden, oder lieber kompromisslos dieses Risiko in Kauf nehmen sollte (42 Prozent).[4] Den Ausgang der Verhandlungen betreffend, sind sich allerdings drei Viertel der Iren sicher, sollte es zu einem No-Deal Brexit kommen, wird dieser für Irland besonders negative Folgen haben.[5] Auch mit einem Deal gehen über 40 Prozent davon aus, dass Irland in jedem Fall negative Konsequenzen aus dem Brexit ziehen wird.

Deutschland – Brexit als Abschreckung?

Interessant sind auch die Ergebnisse aus Deutschland. Hier sind sich über 55 Prozent sicher, dass die EU die „upper hand“ in den Verhandlungen behalten hat (in Frankreich waren es nur 40). Aber auch in Deutschland sind zumindest über 30 Prozent der Meinung, die EU sollte einen harten Kurs gegenüber Großbritannien fahren, und 38 Prozent sagen, Großbritannien soll zahlen, was es der EU schuldet.[6] Im Vergleich zu Frankreich geben allerdings 64 Prozent an, dass Deutschland in der EU bleiben soll. Die Zustimmung zum Verbleib fällt hier deutlich höher aus, als bei den französischen Nachbarn. Diese Zahl ist im Vergleich zum Juli 2016, kurz nach der Brexit-Entscheidung, noch angestiegen (damals 59 Prozent). In Deutschland scheint das Brexit Chaos also eher für Abschreckung zu sorgen.[7]


[1] https://whatukthinks.org/eu/eu-questions/what-do-you-think-the-eus-top-priorities-for-the-brexit-negotiations-with-the-uk-should-be-4/

[2]  https://whatukthinks.org/eu/eu-questions/do-you-think-it-is-likely-or-unlikely-that-other-countries-will-leave-the-european-union-in-the-next-ten-years-french-views/

[3]  https://whatukthinks.org/eu/eu-questions/if-you-had-to-choose-would-you-rather-cut-economic-ties-with-the-uk-or-the-rest-of-the-eu-irish-views/

[4] https://whatukthinks.org/eu/eu-questions/do-you-think-the-irish-government-and-the-eu-should-compromise-to-help-secure-a-deal-or-should-not-compromise-even-if-this-risks-a-hard-border-irish-views/

[5] https://whatukthinks.org/eu/eu-questions/do-you-think-the-irish-government-and-the-eu-should-compromise-to-help-secure-a-deal-or-should-not-compromise-even-if-this-risks-a-hard-border-irish-views/

[6] https://whatukthinks.org/eu/eu-questions/what-do-you-think-the-eus-top-priorities-for-the-brexit-negotiations-with-the-uk-should-be/

[7] https://whatukthinks.org/eu/eu-questions/if-there-was-a-referendum-on-germanys-membership-of-the-eu-how-would-you-vote/