Neue Zonen – Ost vs. West?

Eine Analyse der Wahl der AfD und des regionalen Wahlverhaltens. Denn «die AfD-Wählerinnen und -Wähler» gibt es ebensowenig wie «die Ostdeutschen».

«Der Osten wählt anders» – so war es im Sommer in der FAZ zu lesen. Allerdings: im Sommer 2005. Doch auch 2018 geht die Debatte um die innerdeutsche Wahl-Teilung weiter. Doch wählen «die Ostdeutschen» anders, weil sie Ostdeutsche sind? So gängig diese Schlussfolgerung ist, so verkürzt ist sie.

Zum einen kann von Merkmalen einer regionalen Gesamtheit nicht eins zu eins auf individuelle Verhaltensweisen geschlossen werden, dies birgt die Gefahr von Fehlschlüssen. Zum anderen sind regionale Unterschiede zwischen bzw. innerhalb der Länder oft größer: 2017 erzielte die SPD in Bayern und Sachsen-Anhalt rund 15, in Niedersachsen gut 27 Prozent. Die Ost-West-Differenz von 8 Punkten ist demgegenüber geringer. Auch der Wahlkreisvergleich zeigt, bspw. für die AfD in NRW, mit Zweitstimmenanteilen von 5 bis 17 Prozent eine enorme Varianz. Doch wie kommt es zu diesen Unterschieden?

Regionale Unterschiede hängen u. a. davon ab, welches Angebot zur Wahl steht. Zwar treten im vertikal integrierten deutschen Parteiensystem alle sechs Bundestagsparteien in allen Bundesländern an (Sonderfall: CDU/CSU), dennoch bestehen historisch bedingt Ost-West-Unterschiede. Im Osten war der Bruch durch die NS- und SED-Regime so nachhaltig, dass alte Traditionslinien unterbrochen sind. Zudem prägte mit der PDS von Beginn an eine Regionalpartei den Wettbewerb.

Die im Westen über Jahrzehnte gewachsenen Parteien konnten im Osten nie in gleicher Weise Fuß fassen, weder elektoral noch gesellschaftlich. Grundbedingungen, Parteitraditionen und Wählerbindungen sind in Ost bzw. West stark unterschiedlich. Ebenfalls zu berücksichtigen sind sozialstrukturelle Aspekte, wenn regionale Unterschiede betrachtet werden sollen. Parteien haben in spezifischen Milieus einen stärkeren Rückhalt als in anderen. Diese Kernmilieus sind regional unterschiedlich stark.

Wer wählt die AfD nach ihrer Neuausrichtung?

Um jedoch Fehlschlüsse zu vermeiden, sind multivariate Analysen auf Individualebene geboten, die die Wahlentscheidung unter Berücksichtigung von Kontext- und Individualfaktoren untersuchen. Dies erlaubt eine Antwort auf die Frage, wer warum welche Partei wählt und ob «ost» eine Rolle spielt, etwa für die AfD-Wahl. Diese Antwort ist dabei nur vorläufig, denn: In den wenigen Jahren ihrer Existenz hat sich die AfD personell und programmatisch stark verändert und dementsprechend auch ihre Kernmilieus, wie die Daten der Deutschen Wahlstudie GLES im Zeitverlauf zeigen.

Die Neuerfindung der AfD im Spätsommer 2015 ist entscheidend für deren aktuelles Profil. Wer wählt nach dieser Neuausrichtung die AfD? Wie in allen Parteien ist die Wählerschaft divers.

‹Die AfD-Wählerinnen und -Wähler› gibt es ebensowenig wie ‹die Ostdeutschen›: Identitäre Zuspitzungen ignorieren die Pluralität der Realität.

Es gibt aber Einstellungsmerkmale, die stärker verbreitet sind. AfD-Wähler/innen stehen zunehmend häufig der Demokratie und den etablierten Akteurinnen und Akteuren skeptisch gegenüber. Sie fühlen sich benachteiligt, auch wenn sie selbst ökonomisch nicht übermäßig schlecht dastehen, und sind überdurchschnittlich pessimistisch.

Grosso modo bildet die AfD-Wählerschaft so trotz jüngster Homogenisierungstendenz einen Bevölkerungsquerschnitt ab, mit leichter Überrepräsentanz der unteren Einkommensmitte und der Arbeiterschaft – Letztere blickt auch häufig mit Sorge auf den ökonomischen Strukturwandel. AfD-Wähler/innen sind zunehmend migrationsfeindlich und verorten sich immer weiter rechts.

Mit der neueren Selbstbeschreibung als (Protest-)Partei der vernachlässigten Mittelschicht geht eine gestiegene Attraktivität der AfD in Ostdeutschland einher, wobei multivariate Analysen verdeutlichen: Nicht der Faktor «ost», sondern Demokratie- und Parteienunzufriedenheit, Migrations- und EU-Integrationsskepsis sowie neuerdings die Ablehnung Merkels sind signifikante Einflussfaktoren für die AfD-Wahl.

Daher ist die AfD nicht nur im Osten, sondern auch in den prosperierenden süddeutschen Industriestädten oder den vom Strukturwandel betroffenen Regionen NRWs erfolgreich. Die AfD knüpft teilweise an frühere rechte Wahltraditionen an, ihre populistische Demokratiekonzeption findet aber breiteren Widerhall. Kurzum: Es sind viele, regional differente Faktoren, die die AfD-Wahl erklären.

 

 

 


Sebastian Bukow, geboren 1977 in Heidelberg, ist Referent für Politik- und Parteienforschung der Heinrich-Böll-Stiftung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Parteien, Parlamente und Repräsentation im deutschen Mehrebenensystem.

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