"Ökonomische Bewertung von Natur stärkt das Verursacherprinzip"

Werden durch die Inwertsetzung von Natur tatsächlich diejenigen zur Kasse gebeten, die sie zerstören?

Neue Ökonomie der Natur: Emissionshandel reduziert nicht den Ausstoß von Treibhausgasen

Häufig wird argumentiert: Die ökonomische Bewertung von Natur stärke das Verursacherprinzip, indem sie detaillierte Informationen über den wirtschaftlichen Wert der geschädigten oder zerstörten Natur liefere. Dadurch, so die These, lasse sich die finanzielle Verpflichtung des Verursachers eines solchen Schadens genauer beziffern und Forderungen nach Kompensationszahlung erhielten mehr Gewicht.

Das Argument kommt in zwei unterschiedlichen Kontexten zum Tragen: Erstens in Bezug auf die Einführung von Preisen für Verschmutzung – wie etwa den Ausstoß von Treibhausgasen. Und zweitens bei der Festsetzung von Schadensersatz- und Kompensationszahlungen nach Umweltkatastrophen – zum Beispiel, wenn fruchtbares Land aufgrund eines Lecks in einer Ölpipeline verseucht wird oder die Bewohner/innen in Kohleabbaugebieten für den Verlust ihres Landes entschädigt werden sollen.

Ökonomische Preise für Verschmutzung können das Verursacherprinzip ins Gegenteil verkehren

Wie die realen politischen Machtverhältnisse die Einführung eines Preises für die Verschmutzung von Natur das Verursacherprinzip in sein Gegenteil verkehren können – anstatt es zu stärken – zeigt das Beispiel des EU-Emissionshandels. Eingeführt mit dem Ziel, der europäischen Industrie ein Preissignal zur Minderung von Treibhausgasemissionen zu geben, wurde das Handelssystem zum Goldesel für die größten Emittenten von Klimagasen in der EU. Anstatt entsprechend dem Verursacherprinzip zusätzliche Kosten tragen zu müssen, haben die größten europäischen Treibhausgasemittenten noch kräftig profitiert.[1] Einer umfassenden Studie zufolge konnten sie zwischen 2008 und 2014 durch überschüssige Emissionszertifikate – die sie gratis erhielten, dann aber nicht zum Abgleich ihrer Emissionen benötigten – Vermögenswerte von über acht Milliarden Euro anhäufen. Allein fünf der größten Zementproduzenten in der EU haben in diesem Zeitraum überschüssige Emissionszertifikate im Wert von über einer Milliarde Euro bekommen.

Nach Aussage der britischen Organisation Sandbag wären die Treibhausgasemissionen des Zementsektors in der EU ohne die „Regulierung“ durch den Emissionshandel heute sogar niedriger. Auch Stahlhersteller und Energieerzeuger haben durch den Verkauf kostenlos erhaltener Emissionszertifikate Gewinne in Milliardenhöhe (ArcelorMittal) bzw. dreistelliger Millionenhöhe (ThyssenKrupp) gemacht. Einen Teil dieser Gewinne erzielten sie, indem sie gratis erhaltene Emissionszertifikate verkauften und diese durch sehr viel billigere Emissionsgutschriften ersetzten, die das EU Emissionshandelssystem bis 2012 ebenfalls zum Abgleich von Emissionen anerkannte. Mit all dem stellt der EU-Emissionshandel und damit verbundene ökonomische Inwertsetzung das Verursacherprinzip auf den Kopf.

Bei Wiedergutmachung geht es um mehr als Geld

Ähnliches gilt auch für den zweiten Kontext, in dem die ökonomische Inwertsetzung das Verursacherprinzip nach Aussage ihrer Befürworter/innen angeblich stärken soll. Auch hier – bei der Kompensation für entstandene Schäden wie der Verseuchung von Boden und Wasser durch Lecks an Ölpipelines oder den Austritt von Chemikalien – ist ein solcher Effekt nicht erkennbar. Die Befürworter/innen argumentieren, dass Gerichte die Höhe von Schadensersatzzahlungen gerechter festlegen könnten, wenn sie hierbei auf belastbare Zahlen über den ökonomischen Wert der geschädigten oder zerstörten "Ökosystemleistungen" zurückgreifen würden.

Dieses Argument zeichnet allerdings ein viel zu einfaches Bild davon, wie unterschiedliche Rechtssysteme mit Wiedergutmachung umgehen: Die meisten Rechtssysteme reduzieren Wiedergutmachung nicht auf das Festlegen einer Geldstrafe, mit deren Zahlung der Verursacher seine gesamte Verantwortung für Wiedergutmachung – seine Schuld – ein für allemal auslöst. Ein finanzieller Ausgleich stellt meist höchstens eine Form von Entschädigung dar. Um einen Schaden oder Verlust angemessen zu kompensieren, ist häufig mehr als eine Geldzahlung erforderlich. Auch sehen die Betroffen die Zahlung einer Geldsumme weder automatisch als Schlusspunkt der Wiedergutmachung ihres Schadens an. Noch hängt die Frage, inwiefern sie ein Urteil als gerecht empfinden, nicht primär an der Höhe der Geldstrafe. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob sie den gesamten, oft sehr umfangreichen Prozess der Wiedergutmachung als angemessen erachten.

Die ökonomische Inwertsetzung droht, die Rechtsprechung zu verengen

Prozesse vor Gerichten oder im Rahmen einer traditionellen Rechtsprechung haben zudem ihre jeweils eigenen Verfahrensweisen. In der Regel machen neue Methoden der ökonomischen Bewertung diese Verfahren und die im Rahmen dieser Verfahren ermittelten Zahlen nicht klarer, besser oder exakter. Die Anwendung neuer Methoden zur ökonomischen Bewertung von "Ökosystemleistungen" schwächt die Rechtsprechung im Sinne der Betroffenen gegebenenfalls sogar: Wenn sich Rechtsprechung immer stärker auf die Berechnungen des ökonomischen Wertes von Natur bezieht, nehmen monetäre Kompensationen und Schadensbegleichung hierin einen immer größeren Raum ein. Damit könnten nicht-monetäre Elemente einer Wiedergutmachung an Bedeutung verlieren – wie etwa eine öffentliche Anerkennung des begangenen Unrechts, eine öffentliche Entschuldigung oder eine Selbstverpflichtung, das eigene Verhalten zu ändern und eine Wiederholung des Schadensfalls zu vermeiden. Auch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Verursacher eher als zuvor mit der Zahlung der Geldsumme eine Angelegenheit als abgeschlossen betrachtet.

Ökonomische Inwertsetzung trägt dazu bei, die Verursacher von Schäden gegen Geldzahlung aus der Verantwortung zu entlassen

Bei Kompensationszahlungen ist zudem zu beachten, dass sie in zwei gänzlich unterschiedlichen Kontexten angewandt werden: Zum einen können Kompensationszahlungen rückwirkend fällig werden. Dabei bestimmen zum Beispiel Gerichte, welche Entschädigung ein Bergbaukonzern oder eine Ölfirma an geschädigte Einzelpersonen oder Gemeinschaften zahlen muss oder welche Kosten für anfallende Aufräumarbeiten und für die Linderung gesundheitlicher Folgen fällig werden.

Zum anderen sind Kompensationsfragen aber auch fester Bestandteil vieler Projektprüfungen, bei denen im Voraus über die Genehmigung einer geplanten Zerstörung entschieden werden muss. Auffallend ist, dass die von von der geplanten Zerstörung betroffenen Menschen die Idee einer finanziellen Entschädigung meist kategorisch ablehnen. Bezeichnend für eine solche Situation ist die Antwort eines Bewohners aus dem Narmadatal in Westindien. Wegen des Baus des Sardar-Sarovar-Staudamms sollte die Familie umgesiedelt werden; es wurde dafür eine Kompensation angeboten: “Ihr sagt uns, wir sollen die Kompensation annehmen. Wofür bietet der Staat uns eine Kompensation an? Für unser Land, für unsere Felder, für die Bäume neben unseren Feldern? Aber wir leben nicht nur davon. Geben sie uns auch einen Ausgleich für unseren Wald? […] Oder für unseren großen Fluss – für den Fisch und das Wasser darin, das Gemüse, das an seinen Ufern gedeiht, für die Freude, dort zu leben? Was ist der Preis dafür? […] Die traditionelle Lebensweise der Adivasi – welchen Preis veranschlagen sie dafür?”

In solchen Kontexten, in denen vorab über die Kompensation zukünftiger Schäden entschieden wird, finden sich heute die meisten Initiativen zur ökonomischen Bewertung von Natur. Ökonomische Bewertung dient hier dazu, die zukünftige Zerstörung von Natur durch Vorauszahlung in Form von Kompensationsgutschriften zu rechtfertigen. 

Kurzum: Es ist nicht nur sehr fragwürdig, ob ökonomische Bewertung von "Ökosystemleistungen" das Verursacherprinzip bei Schadensregulierung und Kompensationszahlungen wirklich stärkt. Ökonomische Inwertsetzung trägt auch dazu bei, die Verursacher von Schäden mit einmaligen Geldzahlungen aus der Verantwortung zu entlassen.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers "Neue Ökonomie der Natur".

 

Quelle

 [1] S. de Bruyn et al. (2016): Calculation of additional profits of sectors and firms from the EU ETS. A CE Delft report for Carbon Market Watch.