"Kompensieren ist besser als gar nichts zu tun"

Nützt Kompensation der Natur oder verstellt sie den Blick auf die eigentlichen Lösungen?

Neue Ökonomie der Natur: Flugverkehr und CO2-Kompensation

"Wer reist, sollte mit möglichst geringen CO2-Emissionen reisen – oder den Klimagas-Ausstoß wenigstens kompensieren". So oder ähnlich argumentieren viele Anbieter/innen und Nutzer/innen von Emissionsgutschriften. Sie verweisen hierbei auch gern auf die positiven Entwicklungsaspekte: Wenn etwa ein Kompensationsprojekt den Einsatz von Brennholz zur Wasseraufbereitung in Entwicklungsländern reduziert oder Solarmodule den Einsatz von Dieselgeneratoren verringern.

Emissionsgutschriften mindern den Druck für strukturelle Veränderungen

Kritiker/innen halten dagegen: Auch wünschenswerte Maßnahmen, die vordergründig Vorteile etwa für ländliche Entwicklung im globalen Süden mit sich bringen, schaden dennoch dem Klima: Denn der Erwerb von Emissionsgutschriften trägt dazu bei, den öffentlichen Druck für strukturelle Änderungen in emissionsintensiven Sektoren zu verschleppen. Ohne diesen Druck aber wird es keine rechtzeitige Abkehr von der Nutzung fossiler Energieträger geben. Auf diesen Zusammenhang weist auch der britische Wissenschaftler Kevin Anderson hin: Ein Verhalten, das viele Emissionen verursacht, werde mit dem Argument gerechtfertigt, der Kauf von Emissionsgutschriften 'neutralisiere' den Klimaschaden. Das aber verhindere ein Überdenken des individuellen und kollektiven Konsumverhaltens. Gut beobachten lässt sich dieses Rechtfertigungsmuster in der Tourismus-Branche: Diese tut die Kritik an Wachstumsplänen immer offensiver mit dem Verweis ab, sie wachse klimaneutral und außerdem fließe hierdurch Geld an Kompensationsprojekte in Entwicklungsländern. Weil Kompensation immer offensichtlicher zum Greenwashing für weiteres Wachstum genutzt wird, bietet z.B. die Reiseagentur Responsible Travel seit Oktober 2009 ihren Kunden die Möglichkeit der Kompensation von Emissionen nicht mehr an.

Ganz offensichtlich wird der Zusammenhang zwischen Kompensation und der Rechtfertigung von klimaschädlichem Wachstum in der internationalen Luftfahrtindustrie, dem weltweit am schnellsten wachsenden Industriezweig überhaupt. Um die Kritik zu entkräften, die Branche entziehe sich mit ihren immensen Wachstumsplänen jeglicher Verantwortung für den Klimawandel, stellte die internationale Luftfahrtindustrie 2016 ein Maßnahmenpaket vor, das ihr zusätzliches Wachstum ab 2020 bzw. 2027 'kohlenstoffneutral' gestalten soll. Erreicht werden soll das aber nicht etwa, indem Emissionen reduziert werden. Vielmehr will die Branche die Freisetzung von Treibhausgasen durch den Kauf von Emissionsgutschriften ausgleichen. Auf die gleiche Weise wird auch immer häufiger der umstrittene Ausbau von Flughäfen gerechtigt: Der Bau einer neuen Piste, so die Argumentation, trage nicht zum Klimawandel bei, weil die Emissionen durch den Kauf von Gutschriften kompensiert würden.

Die zusätzliche Emissionsminderung ist nicht nachweisbar

Der Verweis auf Klimaneutralität ist auch aus einem anderen Grund problematisch. Letztendlich können die Verkäufer/innen von Emissionsgutschriften nicht nachweisen, dass die angebotenen Gutschriften wirklich auf einer zusätzlichen Emissionsminderung basieren. Denn dieser Nachweis beruht auf der Annahme, die Zukunft zu kennen: Jedes Projekt, das Emissionsgutschriften anbietet, gibt vor zu wissen, wie hoch die Emissionen in einem hypothetischen Fall ohne Emissionsprojekt gewesen wären. Diesem hypothetischen Fall wird ein Szenario gegenübergestellt, in dem es das Projekt gibt und es zusätzlich Emissionen mindert. Die Differenz der Berechnungen dieser beiden Szenarien ergibt die Anzahl der Emissionen, die angeblich eingespart werden – und damit die Menge der Emissionsgutschriften, die ein Projekt verkaufen kann. Ist diese Zusätzlichkeit der Emissionsminderung jedoch in der Realität nicht gegeben – hätte die Emissionsminderung also auch ohne Kompensationsprojekt stattgefunden – steigt die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre trotz Kauf von Emissionsgutschriften.

Zahlreiche Studien legen nahe, dass mehr als 80 Prozent der CDM-Projekte Emissionsgutschriften anbieten, die nicht auf zusätzlichen Reduzierungen beruhen. Auch Projekte, die Emissionsgutschriften auf dem freiwilligen Markt verkaufen, stehen immer wieder in der Kritik, Gutschriften anzubieten, die nicht durch zusätzliche Emissionsminderung gedeckt sind. Begünstigt wird dies dadurch, dass der freiwillige Handel mit Emissionsgutschriften weitgehend unreguliert ist. Um zu berechnen, wie viele Emissionen Projekte angeblich eingespart haben, kommen häufig nicht miteinander vergleichbare Methoden zum Einsatz. Viele Projekte, die ursprünglich eine CDM-Registrierung anstrebten, verkaufen oft zumindest einen Teil ihrer Gutschriften auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Seit 2015 bietet die 'Climate Neutral Now'-Initiative des CDM zudem Emissionsgutschriften aus CDM-Projekten auch für Firmen und Organisationen an, die keiner bindenden Verpflichtung zur Emissionsminderung unterliegen.

Emissionsgutschriften können zu Konflikten führen

Zusätzlich schaffen Emissionsgutschriften neue Probleme: Waldschutzprojekte, Aufforstungsprojekte oder Projekte zur Änderung der Landnutzung bedürfen immer einer Landnutzungsänderung, wollen sie Emissionsgutschriften generieren: Die Landnutzung im tatsächlichen Projekt muss sich von der Landnutzung im hypothetische Nutzungsszenario unterscheiden. Dies bedeutet i.d.R. Nutzungseinschränkungen und eine stärkere Kontrolle der Gebiete, die Teil eines Projektes sind, das Emissionsgutschriften verkauft. Das führt immer wieder zu Konflikten - insbesondere dann, wenn Besitz- und Nutzungsrechte für das Land strittig sind, auf dem ein Kompensationsprojekt umgesetzt wird. Denn in solchen Fällen sind die Empfänger/innen der Zahlungen nicht zwangsläufig identisch mit denjenigen, die von den Nutzungsbeschränkungen betroffen sind. Die tatsächlich Betroffenen werden oftmals nicht oder nicht angemessen entschädigt.

Freiwillige Kompensationsangebote machen Kompensation in anderen Sektoren salonfähig

Freiwillige Kompensationsangebote, die 'Klimaneutralität' versprechen, sind auch deshalb problematisch, weil sie den Ansatz 'kompensieren statt reduzieren' in anderen Bereichen salonfähig machen. Sie sind Teil eines beginnenden Paradigmenwechsels, der zum Beispiel die Genehmigung von umstrittenen Bergbauprojekten in besonders artenreichen oder geschützten Lebensräumen erleichtert.

Kompensationsangebote schwächen das Verursacherprinzip

Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass eine Ausweitung des Kompensationsansatzes das Verursacherprinzip schwächt. Bei Nichteinhaltung gesetzlich festgesetzter Grenzwerte droht bisher eine zivil- oder strafrechtliche Verfolgung, deren finanzielle Folgen für Konzerne nur schwer kalkulierbar sind. Damit bieten Grenzwerte einen klaren Anreiz zur Vermeidung von Umweltbelastung. Kommen nun in der Umweltgesetzgebung und in Raumplanungsverfahren vermehrt Kompensationsinstrumente zum Einsatz, führt das dazu, dass Umweltverschmutzung durch den Erwerb von Kompensationsgutschriften gesetzeskonform wird. Mit anderen Worten: Dort, wo zuvor der Verstoß gegen gesetzlich festgelegte Grenzwerte zivil- oder strafrechtlich verfolgt wurde, wird nun lediglich eine Gebühr fällig. Das macht die Kosten für die Verletzung von Grenzwerten für Konzerne kalkulierbar. Und es führt dazu, dass Konzerne den Widerstand lokaler Initiativen gegen Umweltverschmutzung mit dem Argument abtun können, für die Zerstörung oder Verschmutzung an dieser Stelle werde andernorts sogar mehr Natur wiederhergestellt.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers "Neue Ökonomie der Natur".