8 Thesen zur US-Wahl

Students react as they see Donald Trump win the presidency
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Die jungen Menschen in den USA sind von den Wahlergebnissen geschockt

Entgegen aller Prognosen im Vorfeld ist Donald Trump in der Nacht vom 9. November 2016 zum Wahlsieger der US-Präsidentschaftswahlen ausgerufen worden.  Das markiert eine Zeitenwende für die Vereinigten Staaten und für die offenen Gesellschaften und Demokratien des Westens insgesamt. Was ist geschehen und was folgt daraus?

  1. Der Hope & Change Kandidat von Rechts

Wenn es ein bestimmendes Leitmotiv des gesamten Wahlkampfes auf beiden Seiten gab, dann war dies die Sehnsucht nach radikalem Wandel. Auf linker Seite stand Bernie Sanders für diesen progressiven Wandel, und Clinton hat es letztlich nicht geschafft, auf progressiver Seite den Spagat zwischen jahrzehntelanger politischer Erfahrung und Routine und dem Aufbruch in ein neues politisches Zeitalter glaubwürdig zu vermitteln. Im Gegensatz dazu hat Trump das antielitäre und reaktionäre Potential mobilisieren können, das er und breite Teile der republikanischen Partei als Gegenreaktion auf die Präsidentschaft Obamas mit rassistischen und antielitären Untertönen seit Jahren gepflegt und ausgebaut haben. Die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner beantwortete in allen Umfragen des letzten Jahres, dass Trump als radikaler Außenseiter eher als Clinton Wandel bringen könne. Gleichzeitig beurteilte eine klare Mehrheit Trump als riskanter und unberechenbarer. Offensichtlich war der Unmut über den als korrupt und inkompetent empfundenen Status quo der politischen Eliten bei breiten Bevölkerungsschichten so groß, dass sie bereit waren, das Risiko Trump einzugehen. Dieses russische Roulette nach dem Prinzip Hoffnung zeigt das Ausmaß an Wut und Frustration, das von den sogenannten politischen Expert/innen in Washington bis zuletzt unterschätzt wurde. Geholfen hat Trump dabei, das im Reality TV – im Gegensatz zur Realität - über Jahre vermittelte Image des überaus erfolgreichen Geschäftsmanns und eines Mannes, der offen ausspricht, was viele denken, aber nicht auszusprechen wagen.

  1. Die Schattenseiten der Digitalisierung

Dies war die erste US-Wahl, in der einige Schattenseiten der digitalen Kommunikation voll zum Tragen kamen. Mindestens drei Elemente spielten dabei eine Rolle. Zum einen trug die Digitalisierung in größerem Maße als je zuvor dazu bei, Krisen und Konflikte ungefiltert und in Echtzeit in jedes amerikanische Wohnzimmer zu transportieren. Die Angst vor ISIS und generell vor innerer und äußerer Sicherheit hat sich dadurch weiter potenziert, und in dieser Frage wurden Trump ebenfalls in Umfragen höhere Kompetenzen als Clinton zugesprochen. Zum Zweiten haben wir bei dieser Wahl erlebt, in welchem Maße digitale Kommunikation und insbesondere soziale Medien zu getrennten Wahrnehmungswelten beigetragen haben, in denen der Unterschied von Realität und Fiktion fließend ist, und viele Menschen vor allem auf Seiten der Rechten ihre Informationen nicht mehr über Leitmedien bekommen, sondern über Fake-News-Seiten in geschlossenen Kommunikationsräumen. Der Eintritt in dieses postfaktische Zeitalter als auch der Mangel an Kanälen der Kommunikation mit Andersgesinnten sind ernstzunehmende Bedrohungen für unsere Demokratien. Zum Dritten war diese Wahl die Wahl der Leaks. Von den russischen Cyberangriffen auf Emails der demokratischen Partei oder von Clintons Kampagnenchef John Podesta bis zu dem sexistischen Medientape von Donald Trump, ist die bleibende Frage, wie Politiker/innen in Zukunft mit vertraulicher Kommunikation umgehen, wenn jedes Gespräch und jede Email potentiell gegen sie verwendet werden kann. Die politische Gestaltung und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation ist vor diesem Hintergrund all dieser Entwicklungen eine der zentralen Zukunftsaufgaben unserer demokratischen Gesellschaften.

  1. Das Ende der Obama-Koalition

Obama hatte 2008 und 2012 erfolgreich Mehrheiten links der Mitte erzielt durch die Mobilisierung einer ungleichen Koalition aus ethnischen Minderheiten, gut gebildeten Frauen und progressiven Eliten. Clintons Versuch, dieselbe Koalition auf die Beine zu stellen, ist gestern gescheitert, trotz eines Gegenkandidaten, der eine Politik verkörpert, durch die für diese Koalition sehr viel auf dem Spiel steht. Es rächt sich jetzt, dass die demokratische Partei jahrelang weiße, ländliche und schlechter ausgebildete Wählerschichten ignoriert oder gar überheblich behandelt hat. Das ist zwar auch, aber nicht nur eine soziale Frage, denn die weiße Arbeiterschicht, die Donald Trump zum Wahlsieg getragen hat, gehört überwiegend zur Mittelschicht. Es ist vor allem eine kulturelle Frage, denn kulturell wurde dieser Wählergruppe von der Obama-Koalition lange Zeit als Unterschicht betrachtet. Es kann vor diesem Hintergrund für die Demokraten nicht mehr ausreichend sein, sich in Zukunft auf eine Minderheiten- und Elitenbasierte Koalition der modernen Transformation alleine zu verlassen, sondern sie müssen auch einen Weg finden, größere Teile der weißen Arbeiterschicht mitzunehmen, ihnen den Glauben an eine persönliche bessere Zukunft durch demokratische Politik zu vermitteln und sie letztlich für die Demokraten wiederzugewinnen.

  1. Das langsame Ende der Pax Americana

Von Obama wurde bereits der schrittweise Rückzug der USA als alleiniger Garant der sicherheitspolitischen und wirtschaftspolitischen Weltordnung eingeleitet. Mit der Wahl von Donald Trump rückt das Ende der Pax Americana nun deutlich näher. Das wird bedeutende Konsequenzen für die wirtschaftliche Globalisierung und für die sicherheitspolitischen Alliierten der USA haben. Der Druck auf Europa, sich finanziell stärker an Ausgaben für die Verteidigung des NATO-Raums zu beteiligen, wird steigen. Die Notwendigkeit für Europa, mehr Kapazitäten für die Sicherung und Durchsetzung von Stabilität in seiner östlichen und südlichen Nachbarschaft zu entwickeln, scheint offensichtlich. Dabei kommt Deutschland eine Schlüsselrolle zu und eine Verantwortung, der sich die in Deutschland politisch Verantwortlichen werden stellen müssen. Mit Präsident Trump naht auch das Ende der über Jahrzehnte von den USA und ihren westlichen Partnern forcierten wirtschaftlichen Globalisierung, von der gerade die deutsche exportorientierte Wirtschaft massiv profitiert hat. Nicht zuletzt ist seine Wahl zudem ein Signal gegen eine Politik durchlässiger Grenzen und gegen eine weltzugewandte Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik und damit zusammenhängend vielfältiger und offener Gesellschaften. Angesichts paralleler Entwicklungen in Europa ist dies eine gemeinsame Herausforderung, der sich die Fürsprecher einer offenen Gesellschaft und einer stabilen Weltordnung auf beiden Seiten des Atlantiks gemeinsam stellen sollten.

  1. Bewegung statt Institutionen

Trumps Erfolg ist nicht auf der Unterstützung durch Institutionen beruhend, sondern im Gegenteil der Erfolg einer Graswurzelbewegung gegen alle etablierten Institutionen einschließlich der republikanischen Partei. Das entspricht den Strategien anderer rechtspopulistischer Akteure in Europa, Bewegungen zu organisieren und mehr direkte Demokratie zu fordern, womit letztlich die Dominanz der Politik durch eine vornehmlich homogene Mehrheit angestrebt wird. Das ist nicht nur mit Blick auf Minderheitenrechte bedenklich, sondern auch mit Blick auf die Bedeutung von funktionierenden und angesehenen Institutionen für die Demokratie. Trumps Erfolg ist schlüssig vor dem Hintergrund des beständig sinkenden Ansehens der demokratischen Institutionen in den USA, vom Kongress über die Administration bis zum Obersten Gerichtshof und den freien Medien. Als Schlussfolgerung daraus bietet sich zweierlei an. Zum Einen müssen die politischen Institutionen es schaffen, wieder Vertrauen zurück zu gewinnen. Das geht nur, wenn sie vermitteln, dass sie wirtschaftliche, soziale und innere Sicherheit gewährleisten können und Kompromissfähigkeit anstatt weiterer politischer Polarisierung wieder zu einer politischen Tugend erklären. Zum Zweiten gibt es auf progressiver Seite jenseits partikularer Themen keine vergleichbare Bewegung wie auf Seiten der Rechten, weder national noch transnational oder transatlantisch. Es fehlt auch an einem gemeinsamen Narrativ.

  1. Genderpolitische Konsequenzen

Es ist bemerkenswert, dass der historische Aspekt der Präsidentschaftskandidatur von Hillary Clinton als erster Frau so wenig gegriffen hat. Unter der Schlammschlacht des Wahlkampfes und unter den jahrzehntelangen Angriffen, denen Clinton als Frau von unterschiedlichen Seiten ausgesetzt war, ging der meiste Glanz dieses möglichen historischen Moments verloren. Dabei stand ihr mit Trump ein genderpolitischer Kontrast gegenüber, der schärfer nicht hätte sein können. Die breite Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner geht zu Recht davon aus, dass Trump mangelnden Respekt für Frauen hat. Mit dem Blick auf seine Äußerungen und Biografie ist das noch milde ausgedrückt. Es scheint eher so, dass Trumps Verhältnis zu Frauen auf Verachtung und Unterwerfung begrenzt ist. Dass dies dennoch nicht in größerem Maße Frauen an die Urne für Clinton brachte, hängt unter anderem mit zwei Faktoren zusammen. Zum einen hat sich zwar viel am Frauenbild und Selbstbild von Frauen in den USA verändert in den letzten Jahrzehnten. Aber das Männerbild und Selbstbild von Männern hat keine vergleichbaren Änderungen vollzogen. Das führt zu kulturellen Abwehrkämpfen vieler verunsicherter Männer, für die Donald Trump ein Vorbild ist, der auch mit Blick auf Frauen das Leben lebt, das sie selbst gerne hätten oder von dem sie sich vertreten fühlen. Zum Zweiten gibt es in den USA derzeit anscheinend keine mobilisierbare, ausreichend umfassende und generationenübergreifende feministische Bewegung mehr. Auch dies könnte eine Lehre für die Zeit nach der Wahl sein.

  1. Klimapolitischer Rollback

Die Wahl von Donald Trump ist der klimapolitische Super-GAU. Er hat angekündigt, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen, den Abbau fossiler Brennstoffe deutlich auszuweiten, Förderungen für Erneuerbare Energien einzustellen, den Wiedereinstieg in die Kohle voranzutreiben, und klimapolitische Regulierungen der Obama-Regierung rückabzuwickeln. Jegliches klimapolitisches Engagement der Obama-Regierung, einzelner Bundesstaaten und vieler US-Städte wird damit konterkariert. Bemerkenswert ist, wie wenig Klimapolitik im Wahlkampf eine Rolle spielte. In keiner der drei Fernsehduelle zwischen Trump und Clinton gab es auch nur eine Frage dazu. Das spiegelt die Prioritäten der meisten Wähler/innen wieder, bei denen Klimapolitik unter ferner liefen läuft. Dramatisch ist dies für die jüngeren Wählerinnen und Wähler, die nicht nur mehrheitlich Clinton ihre Stimme gaben, sondern für die Klimapolitik auch laut Umfragen ein deutlich wichtigeres Thema ist als für ältere Wählerinnen und Wähler. Wie schon beim Brexit, wird hier nun die Zukunft der jüngeren Generation von der älteren in verantwortungsloser Weise verbaut.

  1. Machtfülle sondergleichen

Mit dem Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar 2017 muss sich zeigen, wie stabil die demokratischen Institutionen in den USA noch sind, und in welchem Maße sie ihrer Kontrollfunktion der Exekutive nachkommen werden. Die Vorzeichen dafür sind bedenklich. Denn Donald Trump ist nach dieser Wahl nicht nur der Held der Konservativen. Er hat zugleich eine ausgeprägte Machtfülle aufgrund der republikanischen Mehrheiten im Senat und Abgeordnetenhaus. Hinzu kommt die Option, den freien Richterposten am Obersten Gerichtshof in seinem Sinne zu besetzen und damit eine konservative Mehrheit der obersten Gerichtsbarkeit zu schaffen. Für viele Republikanischen Funktionäre ist die Wahl von Trump zwar ein Albtraum, da sie ihre eigene Partei nicht wiedererkennen und hinter verschlossenen Türen sorgenvoll auf die Zukunft der republikanischen Partei unter Trump blicken. Aber ob genug von ihnen bereit sind, Trump nach diesem Wahlsieg politisch entgegenzustehen, auch auf das Risiko, von der eigenen Wählerschaft dafür abgestraft zu werden, muss sich erst noch zeigen. 

Mehr zur US-Wahl gibt es bei Route16, dem Wahlblog unseres US-Büros.