Zukunft sieht anders aus

Unsere Gesellschaft braucht eine Verständigung über den Generationenvertrag der für Fairness und Zukunftsfähigkeit sorgt. Die Publikation „Freiräume für die Zukunft. Plädoyer für einen Neuen Generationenvertrag“ gibt Anstöße und erklärt was das für die unterschiedlichen Politikfelder bedeutet.

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Wenn es nach der Politik geht, sieht die Zukunft genauso aus, wie alles was wir bisher kennen. Wir müssen die Zukunft aber offen halten, um Innovationen und neue Strukturen zu möglichen

„Kinder sind unsere Zukunft“ – das ist einer dieser Sätze, denen niemand wiedersprechen kann. Doch wer ihn oft genug gehört hat fragt sich irgendwann, was das denn bedeutet für ein Land in dem die Zahl der Geburten seit Jahren hartnäckig niedrig ist und auch auf lange Sicht wohl nicht signifikant steigen wird? Ist ein alterndes Deutschland zwangsläufig ein Land mit weniger Zukunft?

Das wäre ein fatalistisches Szenario dem alle, die an die Kraft der politischen Gestaltung glauben, widersprechen müssen. Doch es reicht eben auch nicht, die Verantwortung für die Zukunft allein künftigen Generationen zu überlassen. Die Freiheit der kommenden Generationen,  ihr Leben nach ihren Vorstellungen einzurichten, entscheidet sich heute: gegenwärtige Entscheidungen, heute angelegte Strukturen bestimmen maßgeblich über die zukünftigen Möglichkeiten der Gesellschaft. Also muss hier und jetzt Verantwortung für die Zukunft übernommen werden und zwar ohne die anmaßende Annahme, wir wüssten schon genau wie diese Zukunft aussieht – nämlich im Großen und Ganzen so, wie die uns bekannte Gegenwart nur mit ein paar High-Tech Geräten mehr. Analog zu dieser Auffassung hieße der Handlungsauftrag an die Politik: Alles soll möglichst so bleiben wie es ist, und wenn die Bevölkerungsstruktur nicht mehr zum Renten- oder Schulsystem, zu den Anforderungen der Arbeitswelt oder den althergebrachten Mustern von Familienleben passt, dann werden die Menschen passend gemacht, nicht das System. Dann müssen die Akademikerinnen nur mehr Kinder kriegen, die Alten ein bisschen länger arbeiten und beizeiten Geld, für die Pflege auf die Seite legen, und wenn die Jungen flexibler auf dem Arbeitsmarkt sind, dann kann alles irgendwie so weiter gehen wie bisher.

Doch Zukunft sieht anders aus. Niemand kann mit Sicherheit wissen wie Menschen in 50 oder gar 100 Jahren leben wollen. Künftige soziale, kulturelle und technologische Innovationen können wir nicht vorwegnehmen, aber wir müssen die Zukunft offen halten um diese Innovationen weiterhin zu ermöglichen. Das erfordert, den in Zukunft lebenden Menschen funktionsfähige, stabile Systeme zu übergeben. Dazu gehören die umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme ebenso wie die Staatsfinanzen und die natürlichen Ressourcen. Dafür braucht es eine proaktive, gestaltende Politik, die den Erhalt und die Modernisierung der dafür notwendigen Grundlagen ebenso im Blick hat, wie Ausbau und Förderung in den unterschiedlichen Bedarfsfeldern. Die Publikation gibt einen ersten Überblick, was genau das in den einzelnen Politikfeldern heißt. Sie orientiert sich am Leitbild der Generationengerechtigkeit, welches im Kern bedeutet, dass die Entscheidungsfreiheit und Entfaltungsmöglichkeiten künftiger Individuen nicht unter die Räder kommen dürfen.

Neben der Zukunftsdimension geht es auch um den gerechten Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Altersklassen der jetzt Lebenden. Das gilt für potentielle finanzielle Verteilungskonflikte zwischen den Generationen, aber auch für viele andere Fragen des Zusammenlebens: Bildung, Arbeitszeitpolitik, Pflege, Gesundheitswesen und vieles mehr. Wenn die verschiedenen Altersgruppen die mit ihrer Lebensphase verbundenen Perspektiven gleichberechtigt einbringen, lässt sich für viele politische Vorhaben feststellen, wie zukunftstauglich sie sind. Ein solches „generational Mainstreaming“ kann in einer Gesellschaft, in der die zahlenmäßigen Verhältnisse zwischen Jungen und Alten so unausgewogenen sind, zu den unverzichtbaren „Check-and-Balance“-Instrumenten der Demokratie werden.

Derzeit erleben wir hautnah, wie alle demografischen Prognosen von der Wirklichkeit eingeholt werden: Die große Zahl flüchtender Menschen, die aufgrund von Krieg und Not nach Europa und insbesondere nach Deutschland kommen, wirft Fragen auf, die in einem zweiten und dritten Schritt weit über Willkommenspolitik, Versorgung und Logistik hinausgehen. Wer heute als minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan ankommt, oder als junge syrische Familie, könnte in einigen Jahren dazu beitragen, das Deutschland nicht ganz so vergreist, geschrumpft und Fachkräfte-arm dasteht wie befürchtet. Allerdings nur, wenn es uns endlich gelingt, diejenigen, die im Laufe ihres Lebens in mehr als einem Staat zu Hause sind als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger zu behandeln. Ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen. Auch das ist ein Thema dem sich der Neue Generationenvertrag widmen muss.

 

Die Publikation „Freiräume für die Zukunft. Plädoyer für einen Neuen Generationenvertrag“ ist Teil eines umfassenderen Vorhabens der Heinrich-Böll-Stiftung zum demografischen Wandel, mit dem wir die gesellschaftliche Debatte befördern wollen. Dazu gehört auch der Berliner Disput „Wie viel Erben ist gerecht“ am 3. Dezember 2015, der sich einem Thema widmet, das heute und in den nächsten Jahren entscheidend zur Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit zwischen und innerhalb von Generationen beiträgt.