Arbeit – mit Vergnügen

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Es muss bezahlte Auszeiten oder Teilzeit geben. Ein Einfallstor dafür könnte die Familienzeit von Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) sein

Die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit ist derzeit nicht mehrheitsfähig. Wie können wir es trotzdem schaffen, sie für alle entspannter und gesünder zu gestalten?

Schon wieder sagt M den Kinobesuch ab. Sie ist einfach zu kaputt. Sie arbeitet in einem Verlag. Völlig unterbezahlt, das ist für kleine Verlage normal. Dazu arbeitet sie frei für andere Verlage. Aber immer wieder gibt es Sonderprojekte, an denen sie bis in die Nacht sitzt. Das Wochenende ist dann der Zeitpuffer, in dem sie ihre freien Aufträge abarbeitet. Um die Tochter kümmern sich dann Großeltern und Kinderfrau. Denn ihr Mann, der arbeitet ähnlich wie sie und hat auch kaum Freizeit.

Vor einigen Jahren war M zusammengeklappt: Angststörung und Depressionen. Sie kam in eine Klinik, wo sie die Sorge begleitete, dass sie nun ihre freien Aufträge verlieren könnte. Und dass ihr Kind sie vermissen würde oder – noch schlimmer – nicht vermissen, weil es sich an anderen Personen orientiert.

In der Klinik lernt M Stressbewältigung. Sie meditiert. Mehrmals am Tag drei Minuten lang nur auf den Atem konzentrieren. Wichtige und unwichtige Aufgaben unterscheiden. Und die Angst vor Misserfolg bekämpfen. Wenn ich es mal nicht schaffe, dann geht auch nicht gleich die Welt unter. Die anderen werden Verständnis haben. Lauter Sätze gegen die Angst, dass man hinausrutscht aus dem Arbeitsleben.

Das Meditieren hilft. Gegen die Schlaflosigkeit ist es ein gutes Mittel geworden. Gegen die Angst eher nicht. Bald soll der Verlag verkauft werden, und was ist dann?

Rund um uns kennen wir solche Beispiele. Wir neigen zum Individualisieren: M war schon immer so perfektionistisch, das sollte sie sich einfach mal abgewöhnen. Ja, stimmt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn der innere Druck trifft auf äußeren Druck. Ms Chef geht schlicht und einfach davon aus, dass sie Mehrarbeit leistet, schließlich sitzt sie auf einer beliebten Stelle im Verlag, Hunderte andere würden sich die Finger ... und so weiter.

Fehltage wegen Depression haben sich verdoppelt

Man kann es drehen und wenden wie man will, es ist unser Arbeitsregime, das Menschen krank macht. Arbeitsverdichtung und Entgrenzung, die berühmten E-Mails nach Feierabend sind die Stichworte. Die DAK ermittelt die durchschnittlichen Fehltage wegen Depressionen: Sie haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, 2014 kamen auf hundert DAK-Versicherte 112 Fehltage. Die Kasse rät zur Prävention. Doch das ist ein unbestelltes Feld, die meisten Arbeitgeber haben keinen Schimmer, was sie tun könnten – und auch die Arbeitnehmer/innen selbst sehen meist keine Möglichkeit, der Mehrarbeit zu entkommen.

Genau dieses Gefühl der Arbeitnehmer/innen ist es auch, das die Gewerkschaften hilflos reagieren lässt. Zahlreiche Initiativen fordern eine Arbeitszeitverkürzung, zumeist mindestens mit Lohnausgleich in den unteren Einkommensgruppen. Aber der große Bündnispartner fällt weitgehend aus: Man habe in den Betrieben nachgefragt, ob die Mitglieder mit diesem Thema zu mobilisieren seien: Die Antwort lautete Nein, so erklärt Jörg Wiedemuth von ver.di in der Jungen Welt die traurige Realität. Die Menschen befürchten weitere Lohnkürzungen - nicht von ungefähr: Teilzeitarbeit ist generell schlechter bezahlt als Vollzeit. Und oft verdichtet sich die Arbeit noch mehr, wenn man die Arbeit einer 40-Stunden-Stelle in eine 30-Stunden-Stelle drückt. Zudem seien in den Dienstleistungsberufen Teilzeitstellen ohnehin an der Tagesordnung, dass man nun noch mehr von diesen schlecht bezahlten Jobs einrichten wolle, sei nicht vermittelbar.

Es ist also eine nicht ganz so große Avantgarde, die eine Arbeitszeitverkürzung fordert. Dafür aber wortgewaltig: Der Philosoph Patrick Spät in seiner Streitschrift «Und was machst Du so?»: «Die Lohnarbeit ist ein Selbstmord auf Raten. Sie hält uns von allem Schönen und Freudvollen ab: Wir haben immer weniger Sex, wir essen Junkfood aus der Mikrowelle, wir spielen nicht mehr mit unseren Kindern, wir unterhalten uns mehr mit unseren Geschäftskunden als mit unseren Lebenspartnern und Freunden, wir sehen die Natur nur noch im Fernsehen. Erst die Arbeit, nie das Vergnügen.»

Der Soziologe Richard Sennett gehört zu den Befürwortern der 30-Stunden-Woche, Attackies sowieso, die Arbeitsgruppe alternative Wirtschaftspolitik verfasste 2011 zu diesem Zweck bereits ein Manifest. Und die linke Feministin Frigga Haug möchte schon lange eine Vier-in-einem-Perspektive verwirklichen: Die 16 Stunden, in denen wir wach sind, sollen zu gleichen Teilen auf die Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, politische Arbeit und individuelle Entwicklung aufgeteilt werden. Das würde – wie viele dieser Vorstellungen – die Kombination mit einem Grundeinkommen erfordern.

Der soziale Status eines und einer jeden steht und fällt immer noch mit dem Beruf

Doch die Probleme sind immer gleich: Ein Grundeinkommen jenseits von Hartz IV ist in unserer Gesellschaft im Moment undenkbar. Und die Arbeitszeitverkürzung ist ebenfalls nicht mehrheitsfähig. Warum? Weil die Erwerbsarbeit zu einer Art Ersatzreligion geworden ist. Der soziale Status eines und einer jeden steht und fällt mit dem Beruf. Davon können etwa die Hausfrauen ein Lied singen, die immer in einer merkwürdigen Zwischenposition lebten: Eigentlich war ihr Status als Nichterwerbstätige eher niedrig, doch wurde er ihnen als insgeheim hoher Status verkauft. Das verlogene Motto lautete: Die Haus- und Sorgearbeit der Frauen ist unbezahlbar. Die Hausfrau wurde geradezu zum Refugium vor der bösen Erwerbswelt stilisiert: Sie war die Person, die sich der kapitalistischen Verwertbarkeit des Menschen widersetzte – quasi ein Hort des Widerstands.

De facto allerdings sind Hausfrauen massiv unterbezahlte Arbeiterinnen. Das rückt immer stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein, worunter konservative Hausfrauen leiden, die immer der Ideologie der guten Seele im Haus gefolgt waren und sich nun erst entwertet fühlen. Dabei waren sie es schon immer.

Von den Frauen kann man auch lernen, dass Teilzeitarbeit ebenfalls massiver Abwertung unterliegt. Neun von zehn Teilzeitarbeiter/innen sind Frauen. Siebzig Prozent der Mütter mit kleinen Kindern arbeiten in Teilzeit. Hier haben wir also bereits einen Großversuch mit Arbeitszeitverkürzung, der keineswegs ermutigend ist.

Die Idee der Arbeitszeitverkürzung hat also zwei gravierende Probleme: Das eine ist die finanzielle Absicherung. Das zweite ist unser kollektives Unbewusstes: Nur der, der viel arbeitet, hat einen hohen Status, haben wir verinnerlicht. Und das ist ein sehr starkes Bild. Wer weniger da ist, ist weniger wert. Generalvorwurf: Faulheit und mangelndes Commitment, Desinteresse. Geradezu beleidigt fühlen sich die Chefs, wenn jemand signalisiert, dass er oder sie noch ein Leben außerhalb der Arbeit hat, und reagieren, vielleicht gar nicht bewusst, mit Liebesentzug, und das ist immer auch Beförderungsentzug. Die Frauen in Teilzeit bestätigen das.

Wie kann man ansetzen? Wenn man diesseits des Grundeinkommens bleiben will, muss es mehr Möglichkeiten für bezahlte Auszeiten oder Teilzeit geben. Der Kollegin M hätte ein Sabbatical von einigen Monaten vielleicht gereicht, um nicht vollends in ihre Angstattacken hineinzurutschen. Sie hätte dann auch nicht den Stempel der «Kranken» (= nicht Leistungsfähigen) fürchten müssen.

Von dem Modell der Familienzeit könnten auch Nichteltern profitieren

Auszeit oder Teilzeit: Ein Einfallstor dafür könnte die Familienzeit von Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) sein: Das entfallende Arbeitsentgelt wird dabei vom Staat in einem begrenzten Rahmen finanziell aufgefangen. Ein Grund auch für Nichteltern, sich für dieses Modell einzusetzen: Denn es ist ausbaufähig. Zunächst begründet man es mit der gesellschaftlich allgemein anerkannt notwendigen Familienarbeit, dann kommt die Sorge für ältere Menschen dazu, und schließlich können sich auch die anderen andocken: Eine Phase der Arbeitsverkürzung, weil man die Zeit für sich einfach gerade braucht – auf dieser Schiene könnte man allen ein entspannteres Arbeitsleben ermöglichen.

Die zweite Frage, die nach unserem Unbewussten, lässt sich ähnlich beantworten. Wieder sollten die Nichteltern Huckepack reisen, denn ein Umbau ist bereits in Vorbereitung. Eltern können mit dem Elterngeld plus gleichzeitig in großer Teilzeit, also 30 Stunden, arbeiten. Ideologisch ist das fest abgesichert, schließlich geht es um das Wohl unseres Nachwuchses. Und wenn Väter erst einmal merken, dass die gewonnenen 10 Stunden sie entstressen, dann könnten sie auf die Idee kommen, in großer Teilzeit weiterzuarbeiten. Und wenn dann die vermeintlichen Leistungsträger, also die Männer, auf den Geschmack gekommen sind, dann müssen Unternehmen mitziehen und auch ihre Führungsjobs in großer Teilzeit anbieten. Und wenn wir alle gemerkt haben, dass die Welt dann auch nicht untergeht, ist es Zeit, dieses Modell auf alle auszuweiten.

Vorteil: Kein Systemwechsel mitsamt seinem ideologischen Brimborium ist nötig. Es gibt eine Schiene, auf die wir langsam und leise einbiegen können und sie dann gemütlich weiterfahren. Am Ende stehen entspanntere Arbeitnehmer/innen, die immer weniger Angst vor Leistungsausfall haben müssen. Und damit auch weniger Depressionen entwickeln dürften.