Abschied von Nelson Mandela - Gefühl der Hoffnung bleibt

Statue Nelson Mandela

Am 5. Dezember verstarb Nelson Mandela, der erste schwarze und demokratisch gewählte Präsident Südafrikas. Kein anderer Politiker inspirierte die Welt wie Mandela. Mit Mzukisi Qobo sprach Layla Al-Zubaidi darüber, was Mandela symbolisierte und wo das Land heute steht.

Nach Monaten des Bangens verstarb Nelson Mandela, erster schwarzer und demokratisch gewählter Präsident Südafrikas, am 5. Dezember im Alter von 95 Jahren.

Kein anderer Politiker inspirierte die Welt wie Mandela. Während er weltweit Solidarität gegen die brutale Rassenunterdrückung in seinem Land mobilisierte, verbreitete er gleichzeitig die Botschaft friedlicher Versöhnung zwischen Schwarz und Weiß. In einer Person verkörperte er sowohl militanten Freiheitskampf als auch verantwortungsvolle Regierungsführung. Nur wenige symbolisieren derart glaubwürdig moralische Autorität, menschliche Würde und Empathie.

Mit seinem Tod schafft es Mandela, das Land wieder zu vereinen, zumindest für einen Moment. Südafrikaner aller Rassen und Klassen versammeln sich in diesen Tagen um ihren ‘Madiba’ zu trauern, wie sie ihr Vorbild hier liebevoll nennen, aber auch die Errungenschaften seines außergewöhnlichen Lebens zu feiern. „Er hat sein Bestes getan“ ist der fast allzu bescheidene Kommentar einer weinenden Frau auf der Straße vor seiner Residenz. Viele bezeugen, dass es die Ausdauer Mandelas, aber auch die vieler anderer Freiheitskämpfer waren, die ihrem Leben die entscheidende Veränderung gebracht haben. Während Kondolenzbekundungen aus aller Welt eintreffen und dem opferreichen Kampf gegen die Apartheid Tribut zollen, ist das Land von Mandelas Vision der rassenblinden und blühenden “Regenbogennation” jedoch weit entfernt.

19 Jahre nachdem Mandela zum Präsidenten gewählt wurde ist die junge Demokratie von tiefen Rissen geplagt. Auch wenn der ANC - ehemalige Befreiungsbewegung und jetzige Regierungspartei - mit einer umfassenden Bill of Rights, der demokratischen Transformation der Regierungsinstitutionen und staatlichen Dienstleistungen Bemerkenswertes erreicht hat um die von Kolonialismus und Rassismus hinterlassenen Schäden zu beheben, sind Millionen von Südafrikanern enttäuscht. Mandelas Versprechen, dass jeder ein Dach über den Kopf bekommen solle, hat sich nicht erfüllt. Die breite Unzufriedenheit über den Fortbestand massiver sozio-ökonomischer Ungleichheit entzündet sich zunehmend konfrontativ: In den vergangenen drei Jahren haben sich gewaltsame Proteste verdoppelt. Die öffentliche Debatte ist von Kontroversen über die Gründe der anhaltenden Arbeitslosigkeit und mangelhaften Bildung geprägt. 100 Jahre nach dem land act, der die Mehrheit der Bevölkerung ihres Landes beraubte und es der weißen Minderheit zusprach, hat sich kaum etwas an den ungerechten Besitzverhältnissen geändert. Mit zunehmenden Streiks gegen Niedriggehälter bei internationalen Bergbauunternehmen und dem Blutbad in der Marikana-Mine im August 2013 ist das Image des Landes mit „der besten Verfassung der Welt“ angeschlagen.

Besonders bitter stößt nach dem Tod Mandelas jedoch der Verlust moralischer Vorbilder auf. Während Mandela mit seiner persönlichen Integrität weltweit den Standard setzte, versinkt der jetzige Präsident Jacob Zuma im Sumpf eines erneuten Nepotismus- und Korruptionsskandals.
 

Was symbolisierte Mandela, und wo steht das Land heute?
Layla Al-Zubaidi, Leiterin des Büros Südliches Afrika in Kapstadt, befragt Mzukisi Qobo.
 

Qobo ist politischer Kommentator im Business Day und anderen südafrikanischen Zeitungen und Mitglied der Midrand Group, ein neuer think tank kritischer Intellektueller. Er unterrichtet zudem am Center for Governance Innovation an der University of Pretoria.
 

Welche Gefühle und Gedanken haben Sie bewegt, unmittelbar nachdem Sie von Mandelas Tod erfahren haben?

Qobo: Ich hatte sehr gemischte Gefühle. Von einer Sekunde zur anderen begann ein ganzer Strom von Nachrichten zu fließen, den ich auf Twitter und im Radio verfolgte. Der Umstand, dass sich immer mehr Menschen vor Mandelas Haus versammelten und die Stimmung immer gedämpfter wurde, ließ darauf schließen, das etwas geschehen sein musste. Als schließlich die Nachricht durchsickerte, dass Zuma, eine Rede an die Nation halten wolle, ging ich davon aus, dass Mandela gestorben sein musste. Wie ich bereits sagte, waren meine Gefühle sehr unterschiedlich. Angesichts der symbolischen Bedeutung, die er für Südafrika und die Demokratie in unserem Land besitzt, fühlte ich mich fast ein wenig sprachlos und war von großer Trauer erfüllt. Gleichzeitig fühlte ich auch so etwas wie Erleichterung, weil er schon so lange krank gewesen war. Da gab es also auch dieses Gefühl, dass der richtige Zeitpunkt für ihn gekommen war, um zu gehen.

Es scheint, als befänden sich die Menschen nun, wo Mandela wirklich gestorben ist, in einer Art Schockzustand, obwohl sie während der langen Krankheit Zeit gehabt hatten, sich auf einen Abschied vorzubereiten. Entspricht das auch dem, was Sie gefühlt haben?

Qobo: Genau. Dieser Widerspruch entsteht aus dem Gefühl, dass niemand wirklich auf den Tod vorbereitet sein kann. Und so war die Nachricht von seinem Ableben unermesslich traurig und ein Schock, obwohl alle wussten, dass sein Zustand sich mit der Zeit immer weiter verschlechtert hatte. Denn nun müssen wir uns mit seinem tatsächlichen Tod auseinandersetzen und nicht wie bisher mit Spekulationen  darüber; mit der Realität, dass er gegangen ist.

Sie gehören nicht zu der Generation der “born-frees”. Sie wurden im System der Apartheid geboren und haben Erinnerungen an diese Zeit. Verbindet Sie das auf eine persönliche Art mit Mandela?

Qobo: Ja, ich beziehe mich sehr stark auf ihn. Ich erinnere mich an den Moment, als ich zum ersten Mal seinen Namen hörte. Dieser Moment hat in meinem Bewusstsein immer noch eine wichtige Bedeutung. Es war zwischen 1984 und 1985, die Zeit der “Release Mandela Campaign” und ich war ungefähr neun Jahre alt. Es gab Protestmärsche und Kundgebungen mit Transparenten und Slogans zu Mandela. Wir wussten damals nicht, wie er aussah und in der Kampagne wurden alte Aufnahmen von ihm aus der Zeit vor seiner Inhaftierung verwendet. Es war auch die Zeit, in der das Bündnis der UDF, die United Democratic Front (Vereinigte Demokratische Front) gegründet wurde, die sich mit sehr eindrucksvollen Botschaften in Bezug auf Mandela hervortat. Sein Name wirkte stark in unseren Townships nach. Ich wuchs in der Township von Langa auf und zog später nach Khayelitsha. Eine ganze Mythologie hatte sich darum entwickelt wie er verhaftet wurde und was sein Leben bedeutete. Damals begann ich damit, Mandelas Leben zu verfolgen. Er beflügelte meinen Aktivismus und den von vielen Townshipbewohnern. Er war ein Begriff und ein Symbol für den Befreiungskampf. Mandelas Name war für diejenigen, die unter den schlimmsten Bedingungen aufwuchsen, mit einem Gefühl der Hoffnung verbunden. Mit ihm, so glaubten sie, würden sich die Dinge irgendwann ändern, Südafrika befreit werden. Viele Menschen sahen in ihm einen Menschen, dessen Rückkehr in die Gesellschaft sie voller Vorfreude entgegensahen. Er verkörperte Hoffnungen, die in unseren Gefühlen unterdrückt wurden: Dass sich mit seiner Freilassung aus dem Gefängnis – und es gab die Erwartung, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt frei kommen würde – unsere Lebensbedingungen, unsere sozioökonomischen Bedingungen verbessern würden, das die Spannungen in unserer Gesellschaft aufgehoben werden würden und eine neue Gesellschaft entstehen würde, in der wir nebeneinander existieren könnten. In der wir eine menschliche Würde besäßen.

Wie haben Sie sich als Junge und Teenager beteiligt?

Qobo: Ich war noch ziemlich jung damals, daher erinnere ich mich an so Dinge wie die Teilnahme an Versammlungen von Aktivisten oder an Gefährten, die von der Polizei erschossen wurden. Das waren wichtige Momente der Mobilisation. Ich war ein Teil der Menge, ohne eine klare Vorstellung, was das im Einzelnen bedeutete. Ich konnte die Dinge beobachten, aber es gab keine Möglichkeit, sich zu äußern. Ich sah wie vor allem Frauen in Langa aufgrund der restriktiven Passgesetzgebung von der Polizei gejagt wurden. Einige wurden am Boden festgehalten, in Polizeiwagen geschoben und weggebracht, weil sie ihre Pässe nicht bei sich hatten. Ich habe sehr viel durch Beobachtung gelernt. Meine Mutter arbeitete als Hausangestellte und so sah ich den Unterschied zwischen dem Ort, an dem sie in dem Vorort von Newlands arbeitete und unseren eigenen Lebensbedingungen in Langa. Man musste also nicht die gesamte Literatur des Befreiungskampfes studieren, um ein Bewusstsein für Mandela zu entwickeln. Dadurch, dass wir diese Bedingungen an uns selbst erfuhren, hatten wir eine Vorstellung von ihm, auch ohne ein Bild von ihm zu haben. Er war eher ein Symbol, das für eine Veränderung unserer Lebensumstände hin zum Besseren stand. Dieses Bild von ihm war natürlich eng mit dem ANC verbunden und sein Leben war mit dem Narrativ über den Freiheitskampf, den der ANC zu jener Zeit führte, eng verflochten.

Das von ihnen beschriebene Versprechen - für ein besseres Leben, eine neue Gesellschaft, die vollständige Umwandlung von allem, das Sie damals kannten und was ihr Leben ausmachte - hat sich dieses Versprechen wenigstens zum Teil erfüllt?

Qobo: Fairerweise muss man festhalten, dass sich eine Menge geändert hat. Nehmen Sie beispielsweise mein Leben: als Schwarzer in Südafrika hätte ich niemals geglaubt, dass ich einmal an der Universität studieren und eine Position und Privilegien, wie ich Sie nun genieße, erreichen würde. Selbst wenn ich mir meine Eltern und Verwandten anschaue, die bis heute in Khayelitsha leben, stelle ich fest: ihre Lebensbedingungen haben sich ebenfalls verbessert. Während der Apartheid in den 1980er Jahren gab es dort nicht einmal Elektrizität. Als ich aufwuchs, dienten Kerzen und Petroleum als Lichtquellen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass diese Verbesserungen noch nicht ausreichen und das die Lebensbedingungen deutlich besser sein könnten, wenn das Land gut geführt werden würde. Ich weiß, dass Millionen Menschen weniger privilegiert leben als ich und ich bin sicher, dass es möglich wäre, einen großen Teil der sozioökonomischen Not der Südafrikaner von heute zu verhindern, wenn die gegenwärtige Regierung, die ANC-Regierung, die Ressourcen sinnvoll verwaltet und eingesetzt und die richtigen politischen Strategien, mit dem vordringlichen Ziel, sich auf die heutige Not der meisten Menschen zu konzentrieren, entwickelt hätten.
Selbst wenn wir also Verbesserungen erreicht haben, sind wir immer noch weit davon entfernt, unser Potential als Nation ausgeschöpft zu haben. Nehmen Sie beispielsweise die räumliche Trennung, die zwischen den schwarzen und coloured Townships und den weißen Vororten besteht, die durch Eisenbahnlinien getrennt sind. Diese äußerst störenden sozioökonomischen Gegensätze, werden heute als ein Teil der Normalität hingenommen. Sie lösen nicht länger Empörung oder das Gefühl dafür aus, dass die Dinge eben nicht normal sind. Stattdessen funktioniert alles immer noch entlang der durch Rasse definierten Linien, mit den schwarzen und coloured Menschen in den Townships und den in der Regel weißen Bewohnern der Vororte, in die sich zunehmend Einsprengsel der schwarzen Mittelklasse mischen. Aber im Großen und Ganzen sind die Gesichter von Ungleichheit und Privilegien in Südafrika immer noch schwarz und weiß. Das sind die in uns bis heute wirkenden störenden Folgen der Apartheid, die die ANC-Regierung in größerem Umfang hätte minimieren können. Aber sie hat versäumt, das zu tun und ist, wie ich fürchte, in einigen Fällen, auch ziemlich hoffnungslos.

Betrachtet man Mandela als Figur, kommt einem sofort seine Vorstellung von einer verantwortungsvoll ausgeübten Führungsrolle in den Sinn. Die moralische Autorität, für die er steht und seine Auffassung von seiner Stellung als der eines Dieners des Volkes. Denken Sie, dass die gegenwärtige südafrikanische Elite diesem Beispiel gerecht werden kann?

Qobo: Mandelas politische Identität als Führungspersönlichkeit war sehr komplex. Denn obwohl er aus der eigentlichen Kern des ANC stammte, hat er die eng gefasste Identität des ANC in etwas Neues überführt. Er war nicht einfach nur ein in engen Grenzen handelnder, afrikanischer Nationalist. Seine Rolle ging über den ANC hinaus, er wollte einen wesentlich universaleren Rahmen und ein globaler Führer der Transformation sein. Seine Perspektiven waren durch diesen globalen Ansatz geprägt und seine Menschlichkeit, seine Führungskraft, seine Vision, seine Fähigkeit zu vergeben und komplexe Zusammenhänge und Kompromisse zu verhandeln, unterschieden ihn von der übrigen Führungselite des ANC. Das hatte sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt gezeigt. Als er aus dem Gefängnis frei kam, gab es innerhalb des ANC Spannungen über die Frage, welche Richtung man einschlagen sollte. Er legte die Richtung nach vorne fest, mit militanten, immer noch zum bewaffneten Kampf entschlossen Kräften auf der einen Seite und Menschen, die eher zu einem gemäßigten Kreis wie er selbst gehörten und bereit waren, Risiken für eine Zukunft einzugehen und sich einem neuen Paradigma zuzuwenden. Eines, das nicht unbedingt der Denkweise des ANC entstammte.
Dort, wo wir jetzt angelangt sind, fällt es wirklich schwer, eine Führungspersönlichkeit innerhalb des ANC zu finden, die Mandela entsprechen würde. Eine, von der man sagen könnte, dass sie dieselben Werte verkörpert. Ich habe es als schockierende Ironie empfunden, dass ausgerechnet Jacob Zuma derjenige war, der die Rede auf Mandela halten sollte: Zuma, der im Zentrum der unterschiedlichsten Auseinandersetzungen steht – angefangen bei der Sicherheitsaufrüstung für 15 Millionen Euro seiner Privatresidenz in Nkandla über ungeklärte Fragen zum Waffenhandel bis zu seiner unzuverlässigen Regierungsführung. Natürlich war es die Bedeutung seines Amtes, die ihn dazu zwang, eine Lobrede zu halten. Aber es ist fast auch eine Erinnerung daran, wie tief wir bereits gesunken sind und wie weit wir uns als Nation bereits von einem Koloss, einem Riesen wie Mandela entfernt und uns jemandem wie Zuma angenähert haben. Zuma, der immer mehr zu einer tragischen Figur der Nation wird und zu einem Symbol für all das, was falsch in unserer Gesellschaft ist. Ich glaube wirklich nicht, dass sich die gegenwärtige Führungsriege des ANC auf die Werte bezieht, für die Mandela steht und die er in seinen Worten, in seinen Taten und in seiner Ausstrahlung ausdrückte.

Sehen Sie in der Zukunft politische Führungskräfte in den Reihen der neuen Generation, die über Mandelas einigende Kraft verfügen könnten?

Qobo: Ich bin zuversichtlich, dass es in Südafrika Führungspersönlichkeiten geben kann, die weitsichtig und reformorientiert sind und die über genug soziale und emotionale Intelligenz verfügen, um ihre persönlichen Ansichten und Interessen zugunsten der Einheit, Stabilität und dem kollektiven Fortschritt der Nation zurückstellen können. Südafrika kann sie immer noch hervorbringen. Ich denke nicht, dass Mandela eine einzige Ausnahme in der gesamten Geschichte unseres Landes darstellt. Dennoch müssen wir verstehen, dass Mandela das Produkt eines speziellen Kontextes und einer bestimmten Epoche in der Entwicklung von Südafrika war. Er war zum richtigen Zeitpunkt der richtige Führer. Nicht unbedingt in Bezug auf Regierungsgeschäfte oder politische Strategien oder Programme sondern in Bezug auf seine Fähigkeit, Geist und Gefühle anzusprechen, Hoffnungen zu entzünden und die Nation in eine bestimmte Richtung zu führen.
Er war von 1994-99 Präsident und so erstreckt sich die Zeit unter seiner Führung zusammen mit den Jahren nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis über einen Zeitraum von ungefähr acht Jahren. Als er aus dem Amt ausschied, hat man meiner Meinung nach bei der Suche nach einer geeigneten Person, an die der Stab weitergereicht werden sollte, versagt. Eine Person, die auf sein Erbe hätte aufbauen können und die in der Lage gewesen wäre, mit den komplexen Aufgaben im Land umzugehen. Ich bin der Überzeugung, dass die Ära Mandela mit Thabo Mbeki zu Ende war, vor allem angesichts der Spannungen, die er dann mit Tony Leon von der Democratic Alliance, DA, (Demokratischen Allianz) bekam. Ich denke, dass diese zwei Politiker Südafrikas im Stich gelassen haben, denn statt gemeinsam an dem sehr empfindlichen Gewebe aus Versöhnung, Einheit und Nationenbildung zu wirken, blieben sie ihren parteipolitischen Identitäten verhaftet und schufen und repräsentierten verschiedene politische Wählerschaften. Mit ihnen nahm die Spaltung zu. Heute benötigen wir nicht unbedingt einen einzelnen politischen Führer sondern eine Gruppe von Personen, eine Reihe von Führungskräften, die die politischen Trennungslinien in Südafrika überwinden und die bereit sind, zusammen zu kommen, weil sie sich den Fortschritt für ihr Land wünschen. Die dazu bereit sind, ihre Interessen einander anzunähern und eine breit angelegte Agenda für Südafrika zu erarbeiten, um das Erbe der Apartheid zu überwinden und die Zukunft des Landes in eine andere, eine nicht-konfrontative Zukunft, die sich von den heutigen Zuständen unterscheidet, zu steuern.

Viele Menschen sagen, dass Mandela ein “geborener Führer” war. Würden Sie dem zustimmen?

Qobo: Ich bin sehr skeptisch in Bezug auf die Vorstellung des “geborenen Führers”. Denn wenn wir jemandem ein angeborenes Recht auf Führerschaft zuschreiben, tun wir das, weil wir uns, selbst wenn wir gezwungen wären, unvollkommen fühlen in Bezug auf unsere eigene Fähigkeit, uns den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Führungskraft zu zeigen. Dennoch gibt es dort draußen Führungspersönlichkeiten, die sich von anderen durch ihre persönlichen Qualitäten unterscheiden. Mandela wurde durch eine Vielfalt an Erfahrungen geformt. Das Leben in seinem Dorf, seine Schulzeit, sein Stammesleben, sein Leben mit den Ältesten, mit den Frauen, die ihn umgaben, seiner Mutter, usw., bis zu dem Zeitpunkt, als er sich bewusst dem ANC anschloss. Falls Sie sich erinnern: Er gehörte dem extremen Flügel des afrikanischen Nationalismus an, er war ein Hitzkopf und radikal eingestellt. Er war einer derjenigen, die den Weg des bewaffneten Kampfes verfolgten. Der Großteil seiner späteren Prägung fand im Gefängnis statt. Im Gefängnis hat er sehr viel reflektiert, nicht nur für sich persönlich, sondern auch zusammen mit den politischen Mitgefangenen. Er dachte über sein Verhalten nach und darüber, wie er seine Stimme in der Öffentlichkeit zur Geltung bringen könne, usw.. Mandela kam also aus einer bestimmten sozialen Struktur, er durchlief eine bestimmte politische Bildung, aber im Laufe seiner Entwicklung entwächst er diesem kollektiven Hintergrund und kann als authentische Führungspersönlichkeit identifiziert werden, als authentisches Individuum, als authentischer Mensch, der seine Stimme gefunden hat und eine feste Vorstellung davon hat, wie eine Nation aufgebaut werden kann. Er war sich bewusst, dass einige der Dinge, die er unternahm, experimentellen Charakter trugen. Einiges kam bei seinen Gefährten nicht gut an, also musste er sich mit ihnen zusammensetzen und sie überzeugen. Persönliche Überzeugungen und individuelle Initiative spielten also eine große Rolle in seinem Führungsstil. Diese Führungsrolle ist daher weitaus komplexer, als dass sie sich auf eine bestimmte soziale oder politische Identität reduzieren ließe.

Es gibt auch kritische Stimmen zu Mandela. Einige behaupten, er habe das Land verkauft und vertreten die Ansicht, dass die Ungleichheiten von heute daraus resultieren, dass Wirtschaft und Landbesitzverhältnisse nicht vollständig umstrukturiert wurden. Finden Sie diese Kritik legitim?

Qobo: Ich würde sagen, dass diese Art der Kritik nachvollziehbar ist, besonders von Menschen, die das Gefühl haben, dass sie sehr dafür preisgeben mussten, dass der Übergang so sanft gestaltet werden konnte. Menschen, die schon über Jahrzehnte Ungerechtigkeiten ertragen hatten und sich mit der weißen Vorherrschaft Südafrika abfinden mussten. Es gibt Stimmen, die sagen, dass Mandela als Präsident schwarze Ambitionen verleugnen  musste, um die Ängste der Weißen zu besänftigen. Wenn ich darüber nachdenke, so haben diese Ansichten weniger mit Mandela selbst zu tun, als vielmehr mit der Wahrnehmung dessen, wie die weiße Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt reagierte. Dass weiße Gesellschaftsgruppen sich weder gedanklich noch emotional mit ihrer privilegierten Stellung, die sie dem System der Apartheid zu verdanken hatten auseinandersetzten. Nicht mit den Fragen von Ungleichheit, Armut, Umverteilung, etc. und damit, wie mit der fortgesetzten Marginalisierung einer Bevölkerungsmehrheit auch nach dem Ende der Apartheid umgegangen werden sollte. In der weißen Bevölkerung wird verleugnet wie man von der Apartheid profitiert hat, dass die Privilegien einiger weniger auf der Unterprivilegiertheit vieler Menschen beruhen. Es geht also eigentlich um die Ermangelung eines anhaltenden Dialogs, der eine gemeinsame Plattform ermöglichen würde, auf der jede Seite darüber sprechen kann, wie sie die Vergangenheit  und die Gegenwart und die Zukunft sieht und wie der Übergang gestaltet werden sollte. Zur Zeit gibt es keinen solchen anhaltenden Dialog. Selbst diejenigen, die sich zu diesen Fragen in den Zeitungen oder im Radio äußern, kommunizieren nur untereinander. Aber die Mehrheit der Bevölkerung, die weiterhin unter der Last von Arbeitslosigkeit, Hunger und anderen Unsicherheiten und Mangel leiden, ist von diesem Diskurs ausgeschlossen.

International ist Mandela vermutlich am bekanntesten für seine Botschaft der Versöhnung und Vergebung. Wenn man die schockierende Gewalt in Südafrika betrachtet - hohe Kriminalitätsraten, Gewalt gegen Frauen, Gewalt aufgrund von Drogenmissbrauch und anderer sozialer Problemen - glauben Sie, dass dies mit den Jahrzehnten staatlicher Gewalt und Unterdrückung zu tun hat, die unter den Teppich gekehrt wurden?

Qobo: Ganz allgemein hat das eine Menge mit Identität zu tun. Wir haben uns nicht mit uns selbst und unseren Mitmenschen versöhnt. Wir wissen nicht, wer wir sind, ob schwarz, coloured oder weiß. Einige Schriftsteller und Analytiker haben versucht, die heftige Gewalt in der heutigen südafrikanischen Gesellschaft zu fassen zu bekommen und ich denke, dass es richtig ist, sie mit der Vergangenheit in Verbindung zu bringen. Wir sind mit der Gewalt aufgewachsen und das gilt sowohl für Schwarze als auch für Weiße. Selbst wenn man privilegiert war, so waren die Bedingungen nicht normal und das unterwanderte die Menschlichkeit. Das waren nicht die besten Voraussetzungen, um Mensch zu sein. Als Weißer lebte man mit den falschen Vorstellungen über die einen umgebende Gesellschaft und so lebte man mit Angst und Misstrauen. Als Schwarzer lebte man mit der Brutalität der Polizei, grausamen Arbeitsbedingungen und damit, dass einem keine Grundrechte zugestanden wurden, was ebenfalls eine Form der Gewalt darstellt. Die meisten schwarzen Familien in Südafrika hatten durch die ständigen Umsiedlungen und die Arbeitsmigration kein normales Familienleben. Männer wurden von ihren Frauen und Familien getrennt und mussten in den Minen arbeiten, wo sie in Wohnheimen untergebracht waren. Das hat sich ebenfalls entstellend auf ihre Humanität und auch auf das Gefühl der eigenen Maskulinität ausgewirkt. Die Menschen haben Gewalt und entmenschlichende Bedingungen internalisiert und absorbiert. Versöhnung muss also, genau betrachtet, noch stattfinden, auf der nationalen und der lokalen Ebene, aber auch auf einer zwischenmenschlichen Ebene. Wenn wir weiterhin auf abstrakte Weise über Beziehungen reden und wenn wir uns nicht ehrlich mit dem psychologischen Schaden befassen, den das System der Apartheid uns allen zugefügt hat, jagen wir einem nicht greifbaren Schattenbild nach. Und obwohl es notwendig ist, sich über das, was die Apartheid angerichtet hat, bewusst zu sein, müssen wir noch weiter gehen. Während uns eine Diagnose der Vergangenheit hilft, die Gegenwart zu verstehen, gibt sie uns keine Antwort auf die Fragen danach, weshalb die Gesellschaft in Südafrika heute so gewalttätig ist. Woran liegt es, dass einige Menschen, die dieselbe Vergangenheit erlitten haben, daraus als Friedensstifter hervorgehen und sich für gesunde gesellschaftliche Strukturen einsetzen? Diese Vergangenheit erzählt uns auch nicht viel darüber was unternommen werden muss, um die gegenwärtige Gewalt abzubauen.

Wird Mandelas Tod in Südafrika etwas verändern?

Qobo: Das denke ich nicht. Mandela hat sich aus der südafrikanischen Politik vor 14 Jahren zurückgezogen. Seit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt 1999 war er nicht mehr politisch aktiv. Eine Folge für uns als Südafrikaner könnte sein, dass wir ein stärkeres Gefühl für unsere Realität bekommen. Dafür, dass unsere Probleme real sind und dass es keinen Heiligen gibt, der eine Zauberformel bereithält. Mandela war ein Symbol der Hoffnung und auf eine bessere Zukunft, sicher, aber wir sind diejenigen, die mit unseren Problemen zurecht kommen müssen. Wir sind kein einzigartiges Land mehr, wir haben keinen Sonderstatus mehr. Abgesehen von den symbolischen Aspekten haben wir, wie jedes andere Land, unsere Probleme, mit denen wir zurechtkommen müssen. Wir sind jetzt als Bürger verantwortlich und müssen uns in der Zivilgesellschaft engagieren und aktiv werden, um unsere Demokratie zu erhalten. Daher liegen die Hoffnungen für die Zukunft heute in uns selbst und sind auf die kommenden Generationen gerichtet.

Denken Sie, dass Mandelas Tod die bevorstehenden Wahlen im Jahr 2014 beeinflussen wird?

Qobo: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits wird der ANC Mandelas Image und seine Person und seine Identifikation mit dem ANC sicherlich ausschlachten. Angesichts der gegenwärtigen Trauer, die das Land ergriffen hat, wird es dem ANC wichtig sein, darauf hinzuweisen, dass sie die Befreier waren und dass der 2013 verstorbene Mandela ihr Produkt war. Andererseits wird das viele Menschen irritieren, weil sie den enormen Unterschied zwischen den Werten, die Mandela verkörperte und dem, was derzeit im ANC vor sich geht, sehen. Daher könnte ein zu starker Bezug zu Mandela für den ANC nach hinten los gehen, weil es den degenerierten Zustand, in dem der ANC sich heute befindet, zu sehr in den Vordergrund rücken könnte.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Hiller.