Jahresbericht 2005 der Heinrich-Böll-Stiftung

Aus der Reihe

VORWORT
 

In den vergangenen Jahrzehnten ist in Deutschland eine ethnisch, religiös und kulturell vielfältige Gesellschaft entstanden. Faktisch ist die Bundesrepublik längst eine Einwanderungsgesellschaft; im öffentlichen Bewusstsein und hinsichtlich der Integration von Migrantinnen und Migranten über das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt hängen wir dieser sozialen Realität noch hinterher. Die multikulturelle Demokratie braucht zum Gelingen Weltoffenheit und Toleranz, aber auch gemeinsame Bezugspunkte wie die in unserer Verfassung verankerten Grundwerte, unser Rechtssystem und eine gemeinsame Sprache als Basis der Verständigung. Kulturelle Vielfalt ist auf solcher Grundlage eine Bereicherung. Sie darf jedoch nicht mit Werterelativismus verwechselt werden. In diesem Spannungsfeld arbeitet die Heinrich-Böll-Stiftung im In- und Ausland. Fragen der sozialen und politischen Einbürgerung, eines produktiven Umgangs mit gesellschaftlicher Vielfalt (Diversity) sowie der Dialog mit Muslimen gehören zu den Schwerpunkten unserer Arbeit. Herausragende Projekte dazu waren im Jahr 2005 der Kongress „Mythos Kreuzberg“, der Start der Website www.migration-boell.de und die Transatlantische Konferenz „Citizenship – Ethnos – Multiculturalism“. 

Auch für unsere Auslandsarbeit ist die Auseinandersetzung mit kultureller und religiöser Vielfalt grundlegend. Hier geht es nahezu täglich darum, den „Dialog der Kulturen“ zu organisieren und zugleich für universelle Menschenrechte einzutreten. Das Zusammenspiel unserer Inlands- und Auslandsaktivitäten ist gerade bei Fragen politischer Kultur ein Gewinn. Das wurde zuletzt bei unseren Veranstaltungen und Diskussionsbeiträgen zum Streit um die Mohammed-Karikaturen deutlich. 

Globalisierung ist ein widersprüchlicher Prozess. Er bringt Neues hervor und Traditionen werden zerstört. Zugleich entwickelt sich eine einzigartige Dynamik in der weltweiten Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen, Institutionen und Nationen. Die Heinrich-Böll-Stiftung nimmt an der Diskussion um die neuen globalen Herausforderungen teil und versucht, Einfluss im Sinne einer ökologisch und sozial gerechteren Welt zu nehmen. Wir engagieren uns mit Veranstaltungen und Publikationen zu den Themen Landwirtschaft, globale Geschlechtergerechtigkeit und Handel sowie zur künftigen Entwicklung. Ein Beispiel hierfür ist der EcoFair Trade Dialogue, ein mehrjähriges Projekt, in dem Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik Vorschläge für eine Reform der globalen Agrarhandelsordnung entwickeln sollen, die sich an nachhaltiger Landwirtschaft und der Sicherung kleinbäuerlicher Existenzen orientieren. 

Anlässlich des 10. Jahrestags der Ermordung von über 8000 bosnischen Jungen und Männern durch serbische Truppen in der „UN-Schutzzone“ Srebrenica haben wir im vergangenen Jahr eines der umfassendsten Kooperationsprojekte in der Geschichte der Stiftung auf die Beine gestellt. Die in Zusammenarbeit mit bosnischen Partnern erstellte Fotoausstellung „Srebrenica – Erinnerung für die Zukunft“ wurde in mehreren europäischen Städten und in Washington gezeigt. Flankiert wurde die Ausstellung durch Diskussionsveranstaltungen und eine Publikation mit international renommierten Autorinnen und Autoren wie Vàclav Havel und Carla del Ponte. Während es in Städten wie Berlin, Brüssel und Washington auf den Podien vor allem um die Lehren und Perspektiven der internationalen Politik ging, setzten sich die Veranstaltungen in Sarajevo und Belgrad vorrangig mit den Fragen der Verantwortung für und der Aufarbeitung von Krieg und Völkermord auseinander. Ebenso brisant war unsere Veranstaltung „Die Gegenwart der Vergangenheit“ anlässlich des 90. Jahrestags des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich. Auch dort ging es um die schwierige Aufarbeitung historischen Unrechts, ohne die eine demokratische und offene Gesellschaft kaum entstehen kann. 

Die Gleichheit der Geschlechter ist für die Heinrich-BöllStiftung ein zentrales Demokratie- und Gerechtigkeitsthema. Mit einem internationalen Kongress im September, den nahezu 1000 Frauen (und einige Männer) besucht haben, hat die Stiftung einen Diskussions- und Streitort angeboten, bei dem so wichtige politische Handlungsfelder wie Arbeitsmarkt und Globalisierung, Bio- und Wissenspolitik, Frieden und Sicherheit oder die Auswirkungen religiösen und politischen Fundamentalismus` aus geschlechterpolitischer Perspektive diskutiert wurden. Besonders erfreulich war, dass wir viele junge Frauen erreichen konnten, für die diese Themen noch neu waren.  
 
„Politische Personalentwicklung“ war schon immer eine Stiftungsaufgabe. Angesichts des anstehenden Generationenwechsels in der Politik nimmt ihre strategische Bedeutung aber noch zu. Dabei geht es uns sowohl um die Vermittlung von handwerklichem Know-how an Ehrenamtliche und Einsteiger als auch um professionelle Beratungs- und Qualifizierungsangebote für hauptamtliche Politikerinnen und Politiker und deren Mitarbeitende. Dieses Angebot richtet sich ausdrücklich auch an politisch Aktive in Verbänden und Initiativen. Zur Verbesserung unseres Angebots und zur Erschließung neuer Teilnehmerkreise haben wir im vergangenen Jahr gemeinsam mit unseren Landesstiftungen die Gründung einer professionellen „Weiterbildungsakademie“ vereinbart. Sie soll bereits in diesen Monaten ihre Arbeit aufnehmen.

Dieser Tage ist die vierte Nummer unseres Magazins Böll.Thema „In Gottes Namen? Frauen und Fundamentalismus“ erschienen. Die dreimal im Jahr erscheinenden Hefte haben einen Umfang von 34 Seiten und eine Auflage von 10.000 Exemplaren. Das Magazin wendet sich primär an unser politisches Umfeld und bietet jeweils zu einem aktuellen Thema eine breit gefächerte Auswahl an Beiträgen internationaler Autorinnen und Autoren. Wir können jede dieser Ausgaben nur empfehlen!

Bis Ende 2007 soll auf einem bislang unbebauten Grundstück in der Albrechtstraße, unweit des Deutschen Theaters, ein neues Domizil der Heinrich-Böll-Stiftung entstehen. Rund 200 Büros haben im vergangenen Jahr am Architekturwettbewerb teilgenommen. Die Wahl fiel schließlich auf das Modell von e2a – eckert eckert architekten. Der Entwurf der jungen Schweizer Baumeister verbindet das, wofür die Stiftung steht: Transparenz, Ökologie und demokratische Kultur. Wir sind sicher: Der kompromisslos moderne Entwurf wird eine architektonische Landmarke in der Berliner Mitte. 

Die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung wäre nicht möglich, ohne breite ehrenamtliche Unterstützung. Fachbeiräte und Fachkommissionen erweitern unseren Blickwinkel und geben uns kritischen Rat. Die Gelder des Förderkreises versetzen uns u.a. in die Lage, Projekte zu fördern, die wir nicht aus öffentlichen Mitteln finanzieren könnten. Auch unser Stipendienprogramm für Künstlerinnen und Künstler im früheren Wohnhaus der Familie Böll in Langenbroich (Eifel) wird schon heute durch private Patenschaften unterstützt. Wir würden dies
jedoch gerne ausbauen und das Programm mit Spenden langfristig sichern. Neben dem Förderkreis unterstützen viele Menschen die Stiftung ehrenamtlich durch ihre Mitarbeit in der Mitgliederversammlung, im Aufsichtsrat, im Frauenrat, in Fachbeiräten und -kommissionen. Bei ihnen allen bedanken wir uns nachdrücklich und immer wieder gerne.

Ganz besonderer Dank gilt unseren hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ihr engagierter und kreativer Einsatz ist das Fundament für die positive Resonanz, auf die wir mit unserer Arbeit weiterhin stoßen.  
 
Berlin, im April 2006
 
Ralf Fücks                 Barbara Unmüßig

Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
April 2006
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung e.V.
Seitenzahl
118
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Nachhaltige Entwicklung und Globalisierung
  • Kunst, Kultur und Globalisierung
  • Neue Weltordnung, Sicherheitspolitik und Krisenprävention
  • Europäische Nachbarschaftspolitik
  • Feminismus und Geschlechterdemokratie
  • Wissenspolitik
  • Nachwuchsförderung
  • Wirtschaft, Arbeit und Soziales
  • Zeitgeschichte
  • Migration, Diversity und Interkulturelles Management
  • Kommunalpolitik und Stadtentwicklung
  • Heinrich-Böll-Haus Langenbroich
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